Das Museum aan de Stroom (Museum am Strom).

Ein MAS macht noch keinen Sommer

Das frisch eingeweihte Museum der flämischen Metropole macht vor allem wegen seiner Architektur von sich reden. Kann es aber die Stadt verändern, so wie seine Erfinder es sich erhoffen? Der Stadtplaner Filip Canfyn hat so seine Zweifel.

Veröffentlicht am 20 Mai 2011 um 14:29
Stijn Hosdez  | Das Museum aan de Stroom (Museum am Strom).

Vor einem Jahr schrieb ich: „Das Hochhaus des neuen Jahrhunderts steht in Antwerpen, 65 Meter hoch auf dem Eilandje [Inselchen], wo ehedem noch der alte Hafen nach Öl stank und der Wind in den Segeln metallisches Klirren hervorrief. Es heißt „Museum aan de Stroom“ [Museum am Strom] oder MAS im heutigen Zeitalter der Abkürzungen und Kurznachrichten. Antwerpen zählt nicht nur ein Hochhaus mehr, sondern besitzt ein städtebauliches Phänomen.“ Ich bin in der Tat hingerissen vom MAS, diesem „Bauernturm“ Art-Déco-Hochhaus der 1930er Jahre des 21. Jahrhunderts. Obwohl, Europas erster Wolkenkratzer hat keine Weltgeschichte geschrieben.

Während der Park Spoor Noord auf horizontaler Ebene von europäischem Niveau ist, ist das MAS vertikales Topniveau. Bei diesem Gebäude kriegt man das Gefühl, sich in einer Stadt mit Stil, in einer Weltstadt zu bewegen, in der großen, weiten Welt schlechthin. Für meine Begriffe sollte das MAS wie der Eiffelturm als Aushängeschild der Stadt genutzt werden, um für Antwerpen zu werben. Auf Kaffeetassen, als Eis am Stil oder in einer Schneekugel (Bedenkt man, dass der Architekt, ein Holländer, Willem-Jan Neutelings Reproduktionsrechte verlangt hat, kann man davon ausgehen, dass sich diese Art von Vermarktung lohnt...)

Die Mittelschicht flieht in die Vororte

Ist Antwerpen schöner geworden? Ja! Sagen wir mal, beinahe. Ein MAS macht noch keinen Sommer. Antwerpen muss eine konsequentere Haltung zur Qualität zeigen. Im selben Zeitraum (die Planung des MAS begann 1999!) konnte Jaspers, der Architekt von Brüssel-Nord, das Kievitplein, eine wahre Schande bauen, jenes grauenhafte Hochschulgebäude am Italiëlei. Des Weiteren wurden zwei sterile Wohnblocks am Kattendijksdock errichtet, und wir konnten der Komödie um den Bau von Zaha Hadid und Richard Rogers beiwohnen, ein sündhaft teurer Justizpalast, der heute schon altmodisch und nicht einmal solide ist. Das MAS kompensiert dies ein wenig, aber nicht vollständig.

Ist Antwerpen besser geworden? Nein! Der ersuchte Bilbao-Effekt (der internationale Aufstieg einer Stadt im Schatten eines einzigen Prestigebaus) hat noch nie den sozialen Kontext einer Stadt verbessert, ganz zu schweigen davon, dass das Guggenheim-Museum zur Lösung urbaner Probleme beizutragen. Das MAS wird einige Begeisterung auslösen, und man wird das Stadtleben überschwänglich loben, wie kreativ und sexy doch alles sei. Richard Florida wird einmal mehr reichlich zitiert werden. Wir sollten es unterdessen aber besser wissen.

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In Antwerpen wie in allen Städten Flanderns, Europas und auch sonst überall, ziehen die jungen Leute der Mittelklasse in die Vororte und von den Vororten aufs Land, während sie von den sozial Schwachen und anderen Freiwilligen aus China auf der Suche nach billigem Wohnraum ersetzt werden. Wie in jeder Stadt konkurriert auch in Antwerpen der veraltete und oftmals zu teure oder heruntergekommene Wohnraum mit dem billigeren Angebot von außerhalb, zumal das System sich weigert, die Kosten der Mobilität und der Platzverschwendung mitzuberechnen.

Einen regelrechten Marshallplan

Antwerpen ist in der Lage das MAS zu bauen, aber unfähig die genannten Probleme zu lösen. Und das ist noch nicht alles. Verängstigt blickt Antwerpen auf das Match Real Madrid-FC Barcelona der Schiedsrichter ist Flame, auf die sozial Schwachen, auf die Slumlords, auf das Sprachwirrwarr. Das Problem Antwerpens wie aller anderen Städte Flanderns sind die Behörden.

Sie müssen mit ihrer Selbstbeweihräucherung und den fadenscheinigen Lippenbekenntnissen zu ihren Städten aufhören, solange sie keine wirkliche Politik und Stadtplanung für ihre Städte machen. Flandern muss zuerst einmal einen regelrechten Marshallplan starten und immense Summen auf den Tisch legen, um die Altbauten (immerhin fast die Hälfte des Wohnparks!) günstig und energieeffizient zu sanieren, damit die Stadt wieder eine Stadt werden kann.

„Mas que nunca“ („Mehr denn je“) war 1984 der Schlachtruf von Barcelona, als man begann, die Stadt von einer toten in eine lebendige umzuwandeln. Es wurde massiv investiert. Möge das MAS — „mas que nunca“ — der Motor des Revivals Antwerpens und aller anderen Städte Flanderns werden, und möge es sich hier nicht nur um ein Umstyling handeln. Möge Antwerpen nicht eine schönere, sondern auch eine bessere Stadt werden. (js)

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