Nur noch 999.999 Unterschriften und es geht los. Bild: citizens-initiative.eu

Eine Million Bürger machen Gesetz

Eine Million Unterschriften von EU-Bürgern können die EU zu neuen Gesetzesregelungen auffordern, so sieht es der neue Vertrag von Lissabon vor. Doch diese Anzahl allein wird wohl nicht ausreichen, um das neue Instrument einer partizipativen Demokratie zu definieren.

Veröffentlicht am 20 Januar 2010 um 16:47
Nur noch 999.999 Unterschriften und es geht los. Bild: citizens-initiative.eu

Die Distanz zwischen Bürgern und Europa kann mit dem Inkrafttreten der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) deutlich verringert werden. Es handelt sich dabei um die wohl innovativste Neuerung des Vertrags von Lissabon. Ein erster Schritt zur direkten Demokratie. Eine EBI erlaubt es den europäischen Bürgern, wenn sie eine Million Unterschriften gesammelt haben (das entspricht 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung), die EU-Kommission zu Gesetzesinitiativen aufzufordern, zu allen Fragen, die sie beschäftigen. Themenbereiche, die von solchen Europäischen Bürgerinitiativen betroffen sein könnten, wären beispielsweise Umwelt, Soziales oder Fragen zu den Folgen der Finanzkrise. Bei diesem Instrument handelt es sich um nichts Anderes als um den Teiltransfer der legislativen Gewalt zum Bürger, denn diese Macht liegt bis heute ausschließlich in der Hand der EU-Institutionen.

Wie bei so manchen EU-Verfahren, hängt auch hier alles von der konkreten Anwendung ab. Der Vertrag spricht ohne nähere Präzisierungen von "mindestens einer Million EU-Bürgern aus einer erheblichen Anzahl von Mitgliedsstaaten". Wie Jean Jean-Claude Pirirs in seinem Buch Der EU-Verfassungsentwurf: eine juristische Analyse erklärt, geht es heute darum, zu klären, wie viele Mitgliedsstaaten es sein müssen, wie viele Bürger jeden Staates mindestens unterzeichnen müssen, wer unterzeichnen darf, sowie die Vorgehensweise des Gesetzesvorschlags und die Prüfung der Unterschriften.

Um auf diese Fragen Antwort zu geben, hat die EU-Kommission ein Grünbuch zur dieser Frage erarbeitet und auf der Website der EU eine öffentliche Konsultation ins Leben gerufen, um in 23 offiziellen EU-Sprachen Bürgervorschläge zu den Institutionen zu sammeln. Die Konsultation kam am 11. November ins Netz und dauert noch bis zum 31. Januar. Bis jetzt sind nur ca. 50 Reaktionen auf das Grünbuch und die Konsultation, die von der Kommissions-Vizepräsidentin Margot Wallström unterstützt werden, eingegangen. Das Grünbuch unterbreitet konkrete Vorschläge zur Verfahrensweise bei einer EBI. Man erwartet außerdem von der Konsultation konkrete Vorschläge, um eine genaue Regelung zu erstellen, die dann vom Parlament und dem Europarat verabschiedet werden soll.

Der spanische EU-Staatssekretär Diego López Garrido meint, dass die Bürgerinitiative "eine Priorität der spanischen EU-Ratspräsidentschaft sein wird". Erklärtes Ziel ist es, die Regelung in den ersten Monaten dieses Jahres vom Europarat und EU–Parlament verabschieden zu lassen.

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Das Straßburger Parlament arbeitet derzeit an einer Resolution zum Grünbuch der Kommission mit dem Ziel "die Rahmenbedingungen [in dem Dokument] so weit es geht zu lockern, damit den Menschen der Zugriff auf die Bürgerinitiative erleichtert wird", erklärt Ramón Jáuregui, Sprecher im Parlamentsausschuss für Verfassungsfragen. Ihm zufolge wären Fragen zur Arbeit, zur Regulierung der Finanzmärkte, zum internationalen Steuerrecht und zu Steuerparadiesen Themen, die von Europäischen Bürgerinitiativen angeschnitten werden könnten.

In der Debatte

Einige Details bleiben zu klären

Stein des Anstoßes bei der Europäischen Bürgerinitiative bleibt immer noch die Frage der Repräsentativität: Man muss in der Tat ein Minimum an Unterschriften vorlegen in einer Mindestanzahl von Mitgliedsstaaten, schreibt El País. Anlässlich des informellen Treffens der EU-Außenminister am 12. Januar erklärte sich die Mehrheit der Anwesenden damit einverstanden, dass mindestens eine Million Unterschriften in einem Drittel der Mitgliedsstaaten gesammelt werden müssen, damit eine Europäische Bürgerinitiative auf den Weg gebracht werden kann. Auch die Kommission erklärte sich mit dieser Regelung einverstanden. Das Europäische Parlament hingegen würde gern eine Ein-Viertel-Grenze für die Länder festlegen. Die Initiative solle, immer noch laut Kommission, 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung als Unterzeichner nachweisen, das wären eine Million Menschen, proportional auf die Bevölkerung jedes Landes verteilt (z.B. respektive 160.000 in Deutschland, 20.000 in Belgien oder 800 auf Malta). Dieser Prozentsatz, so El País, läge deutlich unter dem der nationalen Bürgerinitiativen ( 1,2 Prozent der Bevölkerung in Spanien und Österreich, 1,0 Prozent in Lettland, 1,55 Prozent in Litauen). Zudem diskutierten die Minister darüber, wie entschieden werden soll, welche Initiativen man unterstütze. Verhindert werden sollen Missbrauch, sowie "illegale" Initiativen, oder solche "die den Interessen der EU zuwiderlaufen". Eine endgültige Entscheidung darüber konnte jedoch nicht gefällt werden. Das Alter der Unterzeichner ist ebenfalls problematisch, denn das Wahlalter ist von Land zu Land unterschiedlich. Ebenso gäbe es Schwierigkeiten bei der Authentifizierung der Unterschriften, bei Kontrolle und Finanzierung der Wahlkampagnen, sowie bei der Verfahrensweise, um eine EBI zu unterbreiten.

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