“Es bleibt keine Zeit zum Schmollen”

Mehr Macht der Regierung, weniger Macht der Opposition. Der Umbau Ungarns wird von der Presse in In- und Ausland kritisiert. Gleichzeitig versinkt das Land aber immer tiefer in der Finanzkrise, und das Misstrauen der Investoren in die Regierungspolitik wächst.

Veröffentlicht am 6 Januar 2012 um 14:09

Während die linksliberale Wochenzeitung 168 ora von Orbán prompt “einen friedlichen Rückritt” fordert, “solange ihm das noch möglich ist”, um “die Wirtschaftskatastrophe abzuwenden”, ist für die Kollegen von Heti Világgazdaság das Ende der “Republik Ungarn” eingeläutet. In der am 1. Januar in Kraft getretenen Verfassung ist nur noch von “Ungarn” die Rede. Die Wochenzeitung veröffentlicht auch einen offenen Brief der EU-Kommissarin für Justiz und Grundrechte Viviane Reding. In dem Schreiben, welches die Medien beruhigen soll, signalisiert sie dem Magazin, dass die EU-Kommission gegen Ungarn ein “Vertragsverletzungsverfahren wegen Nicht-Einhaltung des Gemeinschaftsrechts” einleiten könne. Des Weiteren stellt sie klar, dass...

die EU-Kommission alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen wird, um die Grundrechte und europäischen Werte in Ungarn zu sichern. Im Prinzip kommentieren wir nicht die Verfassung eines Mitgliedsstaates, doch müssen die Gesetze aller Mitglieds- Länder der Grundrechte-Charta der Europäischen Union entsprechen. Die Europäische Union wird alle Mittel nutzen, damit die Werte der Charta in Ungarn respektiert werden.

Eine Kritik, die selbst die regierungsnahen Medien in Bedrängnis zu bringen beginnt. So notiert die konservative Tageszeitung Magyar Nemzet, dass die Regierung nun nicht nur “im Kreuzfeuer” der europäischen Partner und Institutionen stehe, sondern auch der Vereinigten Staaten und des IWF.

Das kann nicht mehr als Witz oder als eine internationale Verschwörung abgetan werden. Es bleibt auch keine Zeit zum “Schmollen”. Selbst wenn die Kritik aus der europäischen Presse und Politik manchmal unfair oder auch lächerlich ist, wir haben keine andere Wahl mehr. Von den erreichten Ergebnissen der Regierungspolitik zu berichten, macht keinen Sinn mehr, denn die Lage ist viel brisanter. Wir kommen nicht umhin, uns einer tiefen Selbstkritik zu unterziehen, denn wir müssen so schnell wie möglich aus diesem Kreuzfeuer herauskommen.

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Die Lage sei derart schlimm, notiert HVG, dass sich die Haltung Budapests gegenüber der Kritik aus Europa geändert zu haben scheint. Dem Blatt zufolge ist “die Regierung bereit, mit dem IWF und der EU-Kommission vorbehaltlos zu verhandeln.” Die Zeit drängt umso mehr, da sich die Finanzkrise in Ungarn nun auch auf die Nachbarländer niederschlägt. So schreibt România libera, dass “Orbáns Erpressung” — ginge Ungarn Pleite — “eine Schockwelle durch ganz Europa hervorrufen und Osteuropa destabilisieren wird.” In Prag beispielsweise erklärt Hospodářské noviny, dass die tschechische Krone, welche im vergangenen Jahr 8 Prozent gegenüber dem Euro eingebüsst hat, derzeit vom ungarischen “Forint in die Tiefe gezogen wird.”

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