Ausschnitt eines Polizeiphotos von Iratxe Sorzabal, mutmaßliches Mitglied der ETA-Führungselite.

ETAs tödliche Amazonen

Am 31. Juli feiert die ETA ihren 50. Geburtstag. Seit ihrer Gründung vor fünfzig Jahren verfolgt die nationalistische baskische Bewegung ein und dasselbe Ziel: Ein separater, auf beiden Seiten der spanischen und der französischen Grenzen liegender Staat. Ihrem Kampf sind seither über 800 Menschen zum Opfer gefallen. In einer Woche, in der sie wieder zugeschlagen haben, macht ein Bericht des Observer deutlich: die Bewegung, die seit dem fehlgeschlagenen Waffenstillstand von 2005 eigentlich immer schwächer wurde, scheint wieder in Bewegung zu geraten. Diesmal haben Frauen die Zügel in der Hand.

Veröffentlicht am 29 Juli 2009 um 16:28
Ausschnitt eines Polizeiphotos von Iratxe Sorzabal, mutmaßliches Mitglied der ETA-Führungselite.

In den Albia Gärten von Bilbao spazieren etwa 50 ältere Menschen langsam unter den Platanenbäumen. Die meisten von ihnen sind ernst dreinblickende Frauen, die Plakate mit verschiedenen Fotografien hochhalten. Es ist eine friedliche Demonstration, bei der die Gesichter von ETA-Mitglieder von den Bildern blicken (es handelt sich um ihre im Gefängnis sitzenden Söhne, Töchter, Ehemänner, Ehefrauen und Geschwister). Die baskischen Separatisten jedoch haben innerhalb der letzten 40 Jahre mehr als 800 Menschen in Bombenanschlägen und Schießereien umgebracht. Unter den jüngeren Gesichtern auf den Photos sind zahlreiche Frauen. Sie gehören zu den 750 Menschen, die momentan für Verbrechen im Gefängnis sitzen, die in Beziehung mit der ETA stehen.

Für den Großteil der Spanier sind die Mitglieder der ETA blutrünstige Terroristen. Für die Menschen, die die Bilder in den Albia Gärten hochhalten, sind sie "politische Gefangene" oder "Patrioten". "Warum wir ein paar Feinde unseres Volkes ermordet haben? Weil man uns dazu gezwungen hat", sagt Manuel. Er ist der Onkel von Irantzu Gallastegui, einer Frau, die an der berühmt-berüchtigten Entführung und der grausamen Ermordung des jungen baskischen Stadtrates Miguel Angel Blanco mitbeteiligt war.

Gegenwärtig befindet sich die geschwächte Führung der ETA hauptsächlich auf der französischen Seite der Grenze. Überall in Südfrankreich schmücken Plakate mit den "meistgesuchten" sechs Mitgliedern die Mauern der Polizeiwachen. Die vier Männer unter ihnen sind seit der Veröffentlichung dieser Plakate vor fünfzehn Monaten gefangen genommen wurden. Die sich noch immer auf freiem Fuß befindenden sind zwei Frauen, Iratxe Sorzabal und Izaskun Lesaka.

Eine Männerwelt

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Dass, wie es die Plakate zeigen, ungefähr gleichviele Frauen und Männer diesen Kampf weitermachen, zeugt von einer wirklich tiefgründigen Veränderung in einer Gruppe mit katholisch-konservativen Wurzeln. Einst war die ETA eine Männerwelt. Jahrelang war die offizielle Rolle der Frau eine ganz andere: Vor allem sollten Frauen ihrer Rolle als trauernde Mütter an den Grabstätten männlicher Aktivisten erfüllen. Wie es Jesus Casquete von der Universität des Baskenlandes ausdrückt, "sah man in ihnen vor allem die Hüterinnen der Flamme".

Iratxe Sorzabal und Izaskun Lesaka liefern den Beweis dafür, wie weit es Frauen in der ETA seitdem tatsächlich bringen können. Die der Gruppe über zehn Jahre nahestehende und heute dreißigjährige Sorzabal saß seit 1997 für zwei Jahre in einem französischen Gefängnis, nachdem sie mit zwei bewaffneten männlichen ETA-Mitgliedern in der Nähe eines Bauernhofes gefangen genommen wurde, der bretonischen Separatisten gehörte. Als sie 1999 nach Spanien zurückkehrte, wurde sie in Irun nicht nur Lehrerin für die baskische Sprache Euskara, sondern auch Wortführerin für ETA-Häftlinge. Erneut verhaftete man sie und warf ihr vor, ein Kommandomitglied der ETA zu sein. 2001 aber musste man sie aufgrund von mangelnden Beweisen wieder freilassen. Anschließend floh sie nach Frankreich, wo sie, im Gegensatz zu anderen "meistgesuchten" Kollegen, des Öfteren wundersame Fluchtaktionen durchführt. Im Februar verursachte sie, zusammen mit dem ETA-Einsatzchef Iurgi Mendinueta, einen Unfall mit einem gestohlenen Auto. Bevor sie flohen, gruben sie in der Nähe noch ein Loch und versteckten darin einen Laptop. Darin befand sich ein Bild von Sorzabal und einem kleinen Kind. Sie ist jedoch keineswegs die erste weibliche ETA-Agentin, die in französischen Kleinstädten Kinder unter falschem Namen aufzieht.

Von Hüterin und Tigerin

Experten meinen, dass sie zu den ETA-Falken gehört, denjenigen, die glauben, dass das Töten weitergehen muss, wenn der Traum vom baskischen Staat, als einem aus vier spanischen Provinzen und einem Teil des südwestlichen Frankreichs bestehenden Land, Wirklichkeit werden soll. Sie befindet sich bereits unter den Bestplatzierten, wenn es um die Nachfolge von Mendinuetas Posten geht.

Die vierunddreißigjährige Izaskun Lesaka kann eigentlich schon als eine der Dienstältesten der ETA-Hierarchie gelten. 2002 floh sie aus Spanien. Momentan mangelt es aber an Informationen über sie. Verschiedene Berichte gehen davon aus, dass sie Mit-Verfasserin von ETA-Mitteilungen und eine der drei Personen ist, welche politische Kontrolle über die gesamte Gruppe ausüben und den Kommandos Befehle erteilen.

Nur einige wenige Frauen haben es so weit geschafft. "Der Weg zur Führungselite führt zwingendermaßen auch über aktive Kommandos", erklärt die Historikerin Carrie Hamilton. "Es ist natürlich unvermeidlich, dass einige von ihnen irgendwann auch eine Position als Anführerin einnehmen möchten."

Statistiken und anekdotenhafte Beweise zeigen, dass sich die Situation seit 2002 recht schnell verändert hat. Damals waren nur 12 % der mit der ETA in Verbindung stehenden Häftlinge Frauen. 2009 ist diese Zahl auf fast 25 % angewachsen. Die jüngsten Verhaftungen weisen sogar darauf hin, dass das Verhältnis nun fast 50 zu 50 steht. Nicht alle überrascht das. Frauen gehören seit dem Bestehen zur ETA, auch wenn sie fast immer nur im Hintergrund aktiv waren. Sie kümmerten sich um sichere Häuser, versteckten Aktivisten oder geheime Waffen. Sie machten massenweise Politiker oder Polizeioffiziere ausfindig, indem sie sittsam in den hinteren Reihen der Kirchen saßen. Für die erste Frau, die einem Kommando beitrat, war ihr Geschlecht noch ein Hindernis.

Die Berüchtigtste unter ihnen ist die grünäugige, bezaubernde und bewaffnete Idoia López Riaño, Deckname: La Tigresa. Polizei, Journalisten und einige reumütige ehemalige Lebensgefährten beschrieben sie als männerfressendes und männermordendes Monster. Es wird erzählt, dass sie in Diskotheken herumfuhr und sich junge Polizisten für One-Night-Stands aussuchte, bevor sie deren Kollegen dann ganz gelassen einige Tage später mit Gewehrkugeln niederschoss. Gegenwärtig sitzt sie eine dreißigjährige Gefängnisstrafe für 23 Morde ab. "Sie beschwerte sich gewöhnlich darüber, dass Frauen sich im Vergleich zu Männern doppelt so sehr anstrengen und beweisen mussten", erzählt ein ehemaliger Mitstreiter.

Märtyrerin mit Doppelleben

In den vergangenen zehn Jahren zeichnete sich immer mehr ein neuer Trend ab. Die erste, welche diese Veränderungen symbolisierte, war die 22-jährige Grundschullehrerin Olaia Castresana aus San Sebastian. Die Woche über kümmerte sie sich um Kinder unter sechs Jahren. An den Wochenenden und während der Ferien jagte sie Sachen und Menschen für die ETA in die Luft. Irgendwann im Jahr 2001 explodierte eine Bombe in ihrer Hand, als sie sich im Urlaubsort Torrevieja befand. Die Explosion war so stark, dass Teile des Mauerwerkes und ihres Körpers auf den naheliegenden Swimmingpool regneten. Castresana wurde zur neuen weiblichen "Märtyrerin" erklärt. Später benannte die ETA ein Kommando nach ihr.

Schon bald bemerkte die Polizei, dass die Anzahl der ETA-Frauen bemerkenswert anstieg. Einige, wie beispielsweise Soledad Iparraguirre, führten sogar Kommandos an. Iparraguirre galt innerhalb der spanischen Polizei als Legende. Nachdem ihr Freund in einer Schießerei getötet wurde, als sie 20 Jahre alt war, schwor sie Rache. Die Polizei spürte sie 2004 zusammen mit dem ETA-Anführer-Paar Mikel Albisu in einem französischen Bauernhof auf. Sie entdeckten den achtjährigen Sohn des Paares, den man als Pierre kannte.

Am 19. Juni wurde der Inspektor Eduardo Puelles, ein dem Anti-Terrorismus-Kampf lange Jahre dienender Polizeioffizier ermordet. Und das Leben geht ganz normal weiter. Eben genau so wie in der separatistischen Herriko Taberna Kneipe in Bilbao. An der Wand hängen hier drei Reihen von Farbbildern, auf denen 24 Menschen aus diesem einsamen Ort zu sehen sind, die sich momentan in Haft befinden. Sieben von ihnen sind Frauen. Wenig Zweifel hat man darüber, wer die Helden für die Einheimischen sind. Das junge Mädchen an der Bar gibt zu, sie zu kennen, aber sie möchte nicht darüber sprechen. "Ich bin selbst eine ehemalige Gefangene", erklärt sie, während sie ihr sich ein Bier eingießt. "Ich möchte keinen Ärger bekommen."

ANALYSE

ETA: 50, isoliert, entschlossen

Etwa 50 Menschen wurden bei dem am 29. Juli in Burgos verübten Attentat verletzt. Auf diese Art und Weise erinnert sich die ETA an den 31. Juli 1959 und feiert ihr fünfzigjähriges Bestehen. Angeführt werden die Mitglieder der terroristischen Vereinigung von "einem Nationalismus, den man als einen ethnischen und ausschließlichen Nationalismus verstehen muss (…), der tendenziell intolerant ist und Gewalt rechtfertigt", erläutert der Terrorismus-Spezialist und Professor für Politikwissenschaften an der Universität Juan Carlos I, Fernando Reinares, in der Tageszeitung El País.

Der Sache der etarras [ETA-Mitglieder] kommen ebenso die "französische Zufluchtsstätte" und das "gesellschaftliche Ansehen" in bestimmten Milieus der baskischen Bevölkerung zugute. Die jungen Rekruten vereinen auch all das, was man als "leidenschaftliche Motivationen" bezeichnen kann: Frust, "Hass auf Spanien und auf all das, was sich für spanisch hält" und die Auswirkungen einer "Subkultur der Gewalt", in der sie alle aufgewachsen sind. "Im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Verbindungen, wie beispielsweise in Verwandschafts- oder Freundschaftskreisen", ist das Bedürfnis, "ganz klar als Basken aufzutreten" ganz besonders wichtig und für viele grundsätzlich. Jedoch ist es heutzutage so, meint Reinares, dass die Terroristen "nur noch ein paar Hundert pistoleros seien, denen ihre Gesellschaft den Rücken gekehrt hat".

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema