Was wollen die von mir? Barack Obama im Außenministerium in Washington, Januar 2009. (AFP)

Europas gefährliche Liebschaft

Europa-Woche in Washington: Angela Merkel spricht vor dem amerikanischen Kongress, anschließend findet der USA-EU-Gipfel statt. Jedoch sollten europäische Politiker sich keine Illusionen machen, warnt die europäische Presse. Niemand erwartet sie im Weißen Haus. Dort hat der Präsident nur eines für sie übrig: Geringschätzung.

Veröffentlicht am 3 November 2009 um 16:41
Was wollen die von mir? Barack Obama im Außenministerium in Washington, Januar 2009. (AFP)

"Wenn der Präsident der Europäischen Kommission mit einigen seiner Seniorkollegen im Weißen Haus zum Mittagessen Platz nehmen wird, wird ihr Gastgeber der Vizepräsident Joe Biden sein", schreibt Simon Tisdall im Guardian. "Wer sich nun vor den Kopf gestoßen fühlt, der fühlt richtig". Das mangelnde Interesse, beziehungsweise die Geringschätzung, die Barack Obama seinen europäischen Verbündeten zuteil werden lässt, bereitet vielen auf dem alten Kontinent Sorgen, stellt die britische Tageszeitung fest. Glaubt man dem European Council on Foreign Relations, so trägt die Schuld daran Europa selbst.

In einer am 2. November veröffentlichten Studie schätzt der britische Expertenzirkel, dass das so untergebene Europa endlich damit aufhören muss, seine transatlantischen Beziehungen derart fetischisieren. Vielmehr sollte es die post-amerikanische Ära einläuten und sich von alten Mythen befreien.

Im Gegensatz zu den USA, welche die Doktrin des Kalten Krieges über Bord geworfen haben, halten die "EU-Staaten […] am über Jahrzehnte gepflegten Glauben an Amerikas Hegemonie fest, was zu übertriebener Unterwürfigkeit gegenüber Washington führe", stellt Spiegel-Online fest. Das Ergebnis: "In ihrem Eifer, den Amerikanern zu schmeicheln, verstrickten sie sich in Unternehmungen wie den Afghanistan-Krieg, die Europas Interessen nicht unbedingt dienten." Aus amerikanischer Sicht ähnelt "das Verhalten der europäischen Regierungen beinahe [dem] von Kleinkindern. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erhalten", fügt die Internetversion des deutschen Nachrichtenmagazins hinzu.

Buhler, Nebenbuhler, Europa

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Allerdings gibt es ausreichend Beweise dafür, dass Barack Obamas Herz tatsächlich ganz woanders ist: Gordon Browns Bitte um einen Privatbesuch wurde abgelehnt. Und auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy war frustriert. "Anstatt einer 'entente cordiale' und gegenseitiger Bewunderung war er gezwungen, auf verfängliche Fragen wie die Anzahl der Soldaten in Afghanistan, die 'Türkeiphobie' und die französischen Atomwaffen zu antworten“, schreibt Simon Tisdall. In Osteuropa hat man es noch immer nicht verkraftet, dass Barack Obama das Raketenabwehrprojekt über Bord geworfen hat und dies übers Telefon mitteilte. Für Angelegenheiten wie Afghanistan, den Nahen Osten oder Russland investiert Europa viel Geld und stellt die Elite seines Personals zur Verfügung, um letztendlich "von den USA oft ignoriert, marginalisiert" und "gelegentlich gezielt gespalten" zu werden, meint Spiegel-Online.

Und die Reaktionen der Europäer? Auf eine solche Ablehnung reagieren die Europäer auf vorhersehbare Art und Weise: "Sie buhlen einfach noch entschlossener um die Gunst des Präsidenten", empört sich Spiegel-Online. Anstatt gemeinsame Positionen auszuarbeiten "sind Europas Politiker beim Washington-Besuch vorrangig damit beschäftigt, andere Europäer auszustechen - wen hat der US-Präsident mehr lieb?" Ohne eine gemeinsame Politik wird Europa auch in Zukunft uninteressant bleiben, urteilen die Zeitungen. Wie es der Guardian ausdrückt, wird man dann auch weiterhin wie "ein unsozialer und pickeliger 'Freak' aussehen, der sich in die Jahrgangskönigin verknall hat".

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