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In Belgien werden die EU-Wahlen von den Nationalwahlen überschattet

Die Herausforderungen der Europawahlen treten angesichts der belgischen National- und Regionalwahlen, die ebenfalls am 9. Juni stattfinden, in den Hintergrund. Das Erstarken der rechtsextremen Politik in Flandern und, in geringerem Maße, der radikalen Linken im französischsprachigen Teil droht, Belgien unregierbar zu machen.

Veröffentlicht am 23 Mai 2024 um 23:42
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Belgien hat beschlossen, das Wahlrecht für die Europawahlen auf Jugendliche ab 16 Jahren auszuweiten. Da das Land so ist, wie es ist – sein Motto „Einigkeit macht stark“ könnte auch durch „Warum einfach, wenn's auch schwer geht?“ ersetzt werden – sorgte die Neuerung für Durcheinander. Das Gesetz sah vor, dass 16- und 17-Jährige bei den Europawahlen wählen können, es verpflichtete sie jedoch nicht dazu. Diejenigen, die sich an der Wahl beteiligen wollten, wurden gebeten, sich registrieren zu lassen.

Im März rief das Verfassungsgericht den Gesetzgeber und die Regierung zur Ordnung: Es gebe keine Rechtfertigung dafür, zwischen minderjährigen Wählern und Volljährigen zu unterscheiden, die in Belgien verpflichtet sind, zur Wahl zu gehen. Die Situation ist nun de facto die einer „fakultativen Wahlpflicht“. Die 16- bis 17-Jährigen (3 % der Wählerschaft) werden aufgefordert, an die Urne zu gehen. Der flämisch-liberale Justizminister Paul Van Tigchelt erklärte jedoch, dass Jugendliche, die ihre Wahlpflicht „schwänzen“, im Gegensatz zu den Erwachsenen weder verfolgt noch mit einer Geldstrafe belegt würden.


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So abenteuerlich diese Angelegenheit auch sein mag, hat sie keine große Aufregung verursacht. Obwohl Belgien während der Europawahlen die EU-Ratspräsidentschaft innehat, zeigt sich das (nicht ganz so) flache Land nicht gerade euphorisch. Allerdings sind die EU-Wahlen, wie bereits 2014 und 2019, mit den Parlaments- und Regionalwahlen gekoppelt. Bei ersteren wird die Abgeordnetenkammer des Bundesparlaments erneuert. Bei den zweiten werden die Mitglieder der Regionalparlamente von Flandern, Wallonien, Brüssel und der kleinen deutschsprachigen Gemeinschaft im Osten des Landes gewählt, sowie indirekt auch die Mitglieder des Senats und des Parlaments der Französischen Gemeinschaft.

Rechtsextremer Tsunami in Flandern erwartet

Die Herausforderungen der föderalen und regionalen Wahlen sind einfacher abzustecken als die der Europawahlen und werden sicherlich als prioritär angesehen. Denn am 9. Juni könnte ein politischer Tsunami über das Land hinwegfegen. In Flandern liegt die rechtsextreme und separatistische Partei Vlaams Belang laut Umfragen bei über 25 %. Wenn sie den angekündigten Durchbruch auf föderaler Ebene, in Flandern und Brüssel schafft, besteht die Gefahr, dass Belgien unregierbar wird. 

Die Bildung einer föderalen Regierung wird – gelinde gesagt – äußerst kompliziert sein. Vor allem, wenn sich in Flandern die von ihrem ersten Platz verdrängten Nationalisten der N-VA mit dem Belang verbünden, um eine Regionalregierung zu bilden, was sie für die frankophonen Parteien auf Bundesebene „unangreifbar“ machen würde. In Belgien sind die Machtebenen nicht undurchlässig. 

Erschwerend kommt hinzu, dass auf der französischsprachigen Seite die Partei der Arbeit Belgiens (PTB, radikal links) voraussichtlich fast 15 % erreichen wird. Diese Gleichung könnte sich als arithmetisch und politisch unlösbar erweisen.

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