EZB greift ein: zu spät, zu schwach

An diesem 9. August macht die europäische Presse — mit Ausnahme der britischen — geschlossen mit einem Thema auf: Die Talfahrt der Aktienkurse trotz Einschreitens der Europäischen Zentralbank.

Veröffentlicht am 9 August 2011 um 15:06

Konfrontiert mit der Trägheit der Euroländer hat die EZB im Alleingang eingegriffen und massiv italienische und spanische Anleihen aufgekauft, um eine Zahlungsunfähigkeit dieser beiden Länder zu verhindern, welche das Ende des Euro bedeuten könnte. Aber das reicht nicht, um die Investoren zu überzeugen.

„Zertrümmert Italien den Euro?“ fragt Die Presse und illustriert ihre Schlagzeile mit dem Foto eines drohenden Gewitters über Venedigs Canale Grande. Die Wiener Tageszeitung bedauert, dass die EZB — vom Blatt als „der brave Pudel der Politik“ bezeichnet — ihre Unabhängigkeit dargebracht und massiv italienische Anleihen aufgekauft habe. Dennoch fügt die Zeitung aus, stehe die EZB „mit ihrem Vertragsbruch nicht allein da. Die Regierungen der Euroländer, die sich allesamt für propere Rechtsstaaten halten, pflegen schließlich seit vielen Jahren ein bemerkenswert großzügiges Verhältnis zur Vertragstreue. Der Stabilitätspakt wird gebrochen? Macht doch nichts. Kein Eurostaat darf die Schulden eines anderen übernehmen oder dafür haften? Wer wird denn schon so genau sein. Es ist exakt dieser Zugang, der die Eurozone in eine existenzielle Krise geführt hat.“

„Die Krise macht keinen Urlaub“ titelt Libération, für die die Zentralbank mit dem Kauf der Anleihen „schwere Geschütze“ aufgefahren habe, ohne jedoch das Blatt wenden zu können: „Eine regelrechtes Gerangel ist im Gange“ zwischen den Ländern, welche die Intervention der EZB befürworten und jene, wie Deutschland, die sie ablehnen, schreibt die Tageszeitung aus Paris. Daher auch „der Eindruck, dass ihr Präsident Jean-Claude Trichet nur widerwillig eingegriffen hat. Deshalb glauben die Finanzmärkte dem Ganzen auch nicht. Der erhoffte Effekt auf die Zinsen bleibt aus.“

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„Europa gerettet“ — die Tageszeitung zeigt einen entschlossenen Jean-Claude Trichet auf dem Titelblatt und darunter: „oder auch nicht“, und illustriert dies mit dem Foto eines sichtlich erschöpften Silvio Berlusconi. Der eine, der EZB-Chef, versuche die Börsen mit dem Ankauf von spanischen und italienischen Anleihen zu beruhigen, der andere, der italienische Regierungschef, mache den Finanzexperten mit seinen „Schuldenbergen“ Sorgen. Dennoch, schreibt die Tageszeitung aus Berlin: „Die Krise stärkt Europa“, denn ein erster Schritt zu einer vollständigen Währungsunion sei gemacht.

De Morgen sprichtvon einem „Sturm über der Weltwirtschaft“ und zeigt auf dem Titelblatt, wie bei einem meteorologischen Problem, ein Diagramm der Turbulenzen, welches die Intensität der Gewitter über den Europäischen Finanzmärkten verdeutlichen soll. Rote Zahlen beziffern die Verluste der Börsen am Vortag und verschiedenfarbige Kurven repräsentieren jedes einzelne Land je nach dessen Bonitätsnote. Der einzige positive Aspekt dieses „schwarzen Montags“ sei, dass „der Ölpreis gesunken ist, was den Benzinpreis drücken könnte“, notiert die Tageszeitung aus Brüssel.

„5.000.000.000.000 €“: das seien die Kosten der Weltfinanzkrise, schreibt De Volkskrantauf seiner Titelseite. „In zwei Wochen haben die Börsen fünf Billionen Euro vernichtet“, notiert die Tageszeitung aus Amsterdam. Auf diesen Betrag belaufen sich die Verluste „für die Portfolios der Investmentfonds, Pensionsfonds und anderen Finanzinstituten und Privatinvestoren.“

„Die Angst vor der Rezession“ lasse „die Börsen zusammenbrechen“, titelt ihrerseits La Vanguardia. „Der G-20 und die EZB berechnen zu knapp“, meint die Tageszeitung aus Barcelona. In diesem „schwarzen August“ für die Börsen seien Kompromisse der Institutionen zur Kontrolle der Finanzstabilität und der Liquiditäten der Märkte in erster Linie unzureichende „große Worte“. Mehr sei erforderlich: „Neue Vorschläge und Riesenschritte hin zu einer globalen Koordination und einem globalen Management der Weltwirtschaft.“ Dies erfordere „eine stärkere Intervention als die der EZB. Deutschland muss sein Zögern aufgeben und die Initiative als führendes Euroland übernehmen, anstatt nur spät und widerwillig einzugreifen, was für alle die Kosten in die Höhe treibt.“ (js)

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