Ein BBC-Englischkurs für Autodidakten aus den 50er Jahren. Bild: banlon1964/Flickr

Französisch widersteht, Deutsch vergeht

Angesichts des Vormarschs der englischen Sprache beschließt Paris immer mehr Gesetze zum Schutz des Französischen und erfindet neue Wörter. In Berlin steckt der Kampf noch in den Kinderschuhen, doch es sieht schwierig aus, denn die deutsche Sprache hat schon lange die Waffen gestreckt.

Veröffentlicht am 22 März 2010 um 15:54
Ein BBC-Englischkurs für Autodidakten aus den 50er Jahren. Bild: banlon1964/Flickr

Der Durchschnittsfranzose spricht Englisch comme une vache espagnole (wie eine spanische Kuh), so lautet der Befund des französischen Sprachwissenschaftlers Michel Arrivé. Seit der Landung der Alliierten in der Normandie hat sich die langue de Molière (Sprache Molières) amerikanisiert, was den Schriftsteller René Etiemble zu folgender Frage bewegte: "Parlez-vous franglais?" (Sprechen Sie Frenglisch?). Die Sprache der "Tommys" brachte das französische Kulturgut ernsthaft in Gefahr. Um sich vor dieser Bedrohung zu schützen, verabschiedete die französische Regierung 1975 das so genannte Bas-Lauriol-Gesetz, das die Verwendung englischer Ausdrücke in offiziellen Dokumenten, in der Werbung und bei den Behörden untersagt.

Die Terminologie-Kommissionen, die daraufhin in den Ministerien gebildet wurden, wählten also Tausende von französischen Begriffen aus, um sie mit den englischen auszutauschen. So ersetzte das "logiciel" die "software", der "baladeur" den "walkman", der "ordinateur" den "computer" und das "week-end" wurde zur "fin de semaine". Die lange Liste erweiterte sich im Laufe der letzten zehn Jahre erneut, insbesondere um Ausdrücke wie "remue-méninges" statt "brainstorming", "dialogue en ligne" für den "chat" und das "courriel" statt der "e-mail".

Für die Jobsuche in Frankreich ist Englisch ein Muss

Trotz all dieser Bemühungen behielt das Englische in den 1980er Jahren in Wissenschaft, Kultur und Technologie seine Vormachtstellung bei. Also wurde 1996 ein neues Gesetz verabschiedet, das Toubon-Gesetz, das zur Benutzung der französischen Sprache verpflichtet und somit ihre Vorherrschaft auf dem Landesgebiet sichert. Doch ist damit der Kampf gewonnen? Nicht die Bohne. Im Oktober 2009 schlug ein Verband von Vereinen zur Verteidigung der französischen Sprache wieder Alarm: "Heute stehen mehr englische Wörter an den Hauswänden von Paris als deutsche Wörter zur Zeit der Besatzung. Es ist Zeit für den Widerstand."

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Ganz unrecht haben sie nicht, da das Englische allen gesetzlichen Maßnahmen zum Trotz die Welt der Wissenschaft, der Werbung und der Geschäfte dominiert. Es ist heute schwierig, in Frankreich einen Arbeitsplatz zu ergattern, ohne des Englischen mächtig zu sein. Die Globalisierung hat die französischen Unternehmen dazu gezwungen, die internationalen Spielregeln zu akzeptieren, die insbesondere eine Kommunikation auf englisch vorschreiben. Dabei hat der französische Senat 2005 einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der das Toubon-Gesetz verstärken sollte und die Unternehmenschefs dazu verpflichtet, insbesondere bei Gehaltsverhandlungen die französische Sprache zu benutzen, um Kommunikationsprobleme zu vermeiden.

Deutsche haben einen Minderwertigkeitskomplex

Während die Franzosen weiterkämpfen, haben die Deutschen schon lange aufgegeben. Der harte Satz, der vor kurzem in der Times stand, ist eindeutig: "Die deutsche Sprachunterwerfung ist erbärmlich und würdelos, einfach jämmerlich." Deutschen Linguisten zufolge sind ca. 8000 englische Wörter in die Alltagssprache eingegangen. Das "Handy", der "Check-up", das "Net", die "Charts" sind nur einige unter vielen anderen, die nun zum gebräuchlichen Wortschatz gehören.

"Wir Deutsche haben einen Minderwertigkeitskomplex. Wir betrachten unsere Sprache als unglückselige Notwendigkeit und sprechen lieber englisch", erklärte in einem Interview mit der Rzeczpospolita Dr. Holger Klatt vom Verein deutsche Sprache e.V. (VDS), dem 32.000 Sprachpuristen angehören. Die Hauptrolle bei der Zerstörung der Sprache wird den multinationalen Konzernen zugeschrieben. Die Werbung in Radio und Fernsehen bombardiert den Verbraucher mit englischen Wörtern und Ausdrücken.

Bayern als Wiege des sprachlichen Überlebenskampfes

Erst mit dem Kampf um ein paar Quadratmeter Asphalt in Niederbayern wurde den Deutschen langsam bewusst, wie schlimm es eigentlich steht. Auf der Anklagebank: die Deutsche Bahn, die, nachdem sie seit Jahren ihre Kunden mit Toiletten namens "McClean" entsetzt, kürzlich beschloss, in Straubing einen Parkplatz namens "Kiss & Ride" einzurichten. Das missfiel einem Straubinger Rentner, der den Bundestagsabgeordneten Ernst Hinsken (CSU) anschrieb und fragte, ob der Parkplatz nun zum Küssen oder zum Reiten gedacht sei. Der verblüffte Abgeordnete versprach, einzugreifen, damit die Bahn ihre Anglizismen reduziere.

Deutsche Bahn-Vorstandschef Rüdiger Gruber verpflichtete sich denn auch, die deutschen Bahnhöfe wieder deutscher zu gestalten. Bald sollen die "Service Points" wieder "Servicepunkte" und die "Flyer" wieder "Handzettel" heißen. Wird dies den Sieg des Deutschen über das Englische besiegeln? "Wahrscheinlich nicht", gibt Dr. Klatt zu und erklärt: "Man kann den Leuten nicht verbieten, englisch zu sprechen, und man kann auch die Globalisierung nicht aufhalten. Eines kann man aber tun: die Briten und Amerikaner nicht mehr nachäffen, denn die lachen sich tot darüber, wie wir ihnen schmeicheln".

Kino

Synchronisieren - oder die kulturelle Verteidigung

"Jack Nicholson spricht Deutsch? Selbst für die deutschen Jugendlichen ist das absolut normal", schreibt De Volkskrantüber die in Deutschland synchronisierten Filme. Zum neunten Mal wird die deutsche Filmindustrie am 23. März den "Oscar" für die beste Synchronisierung verleihen (Deutscher Preis für Synchron 2010). Viele der Zuschauer kennen den Preis gar nicht. Aber dass er verliehen wird, beweist wie wichtig dieser Sektor ist. Mit der Vorliebe für synchronisierte Filme ist das "wie mit der Marke Mercedes oder der Berliner Mauer: Sie alle sind tief in der zeitgenössischen Geschichte Deutschlands verankert", erklärt die Zeitung. Für den Medienspezialisten Thomas Bräutigam, der auch ein Buch zu eben diesem Phänomen verfasst hat, ist es kein Zufall, dass die Länder, in denen am meisten synchronisiert wird – Deutschland, Italien und Japan – Diktaturen erlebt haben. Für den Fall Deutschland ist festzuhalten, dass die Wurzeln der kolossalen Synchron-Industrie bis in die 1930iger Jahre zurückreichen. Damals kam der Tonfilm eben zu der Zeit in die Kinos, als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begriffen die US-Amerikaner wie wichtig es war, die deutsche Synchron-Industrie aufrechtzuerhalten. Schließlich würde man die Filme aus Hollywood so für den breiten deutschen Markt synchronisieren können. Bräutigam weist darauf hin, dass die Deutschen mithilfe der synchronisierten Filme auch dem "US-amerikanischen Kulturimperialismus" die Stirn bieten konnten. Auch wenn viele Stimmen darin vielmehr die "deutsche Rache an den Alliierten" vermuteten.

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