Frei handelt wer ordentlich haushaltet

Schafft der europäische Fiskalpakt nicht das uralte Vorrecht der Staaten auf Haushaltshoheit ab? Im letzten Teil seiner Euromythen-Serie vermisst der Groene Amsterdammer den Handlungsspielraum von Regierungen.

Veröffentlicht am 3 August 2012

Mit dem Vertrag von Maastricht wurden das Festsetzen der Leitzinsen, das Beeinflussen der Inflation und andere Instrumente unserer Notenbank zur Lenkung der Wirtschaft an die Europäische Zentralbank übertragen. Das ist bekannt und schon gar kein Mythos. Aber unser Budget blieb selbstverständlich national. Das ultimative Primat der nationalen Regierung. Bis jetzt.

„Die wirkliche Souveränität über die eigene Haushaltspolitik ist mit der Schuldenkrise verschwunden“, sagt Josef Jannig, Leiter der Studien beim European Policy Centre. Das ist bei Griechenland, das unter Kuratel steht, offensichtlich. Oder bei Irland oder Italien, die strenge Reformen umsetzen müssen. Wer zahlt (Deutschland) bestimmt (wie die anderen zu sparen haben). Aber das gelte ebenso hart für die Niederlande, meint Janning. Durch die Krise sind alle Länder im europäischen Regelwerk eingeklemmt. In der Praxis nimmt der neue Fiskalpakt die letzte Autonomie.

Kein Wunder, dass Angela Merkel das Abkommen (das 2013 in Kraft tritt und von zwölf Ländern ratifiziert wurde) „einen Schritt in die Richtung einer politischen Union“ nannte. Für die Briten und Tschechen war genau das der Grund, nicht mitzumachen.

Der Tropf und die Aufsicht

Was steht genau drin? In erster Linie, dass die Neuverschuldung der Haushalte beschränkt wird — und zwar nicht auf drei Prozent, sondern maximal ein halbes Prozent. Liegt die Neuverschuldung höher, greift der „automatische Korrekturmechanismus“. Die Europäische Kommission entscheidet dann über die Maßnahmen, mit denen die Länder sparen müssen.

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Nicht umsonst musste sich das deutsche Verfassungsgericht im Dezember mit der Frage befassen, ob der Vertrag nicht gegen das Grundgesetz verstoße — wenn ein EU-Kommissar einfach Deutschland den eigenen Haushalt vorschreiben könnte. Das wurde als eine lästige Frage gesehen, in Zeiten der Krise, wo Entschlossenheit gefragt ist.

Das Problem ist, wie die „Befugnisse der nationalen Parlamente“ hierbei nicht umgangen werden. Mit anderen Worten: können die Länder noch selbst bestimmen, wie gespart werden soll. Die große Frage ist, wie viel Freiheit ihnen Brüssel dabei inhaltlich lässt: Schafft der Vertrag nur den Rahmen, oder bestimmt der zuständige EU-Kommissar bald auch wie und woran gespart werden soll? Die Antwort ist bei allen Experten dieselbe: Je mehr man am Tropf hängt, desto strenger die Aufsicht; und je geringer die Haushaltsfreiheit, umso drastischer und detaillierter die Auflagen.

Zum 9. Teil der Euromythen-Serie.

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