Freihandel gegen Binnenmarkt

Das transatlantische Handelsabkommen soll Europa ebenso zugute kommen wie den Vereinigten Staaten. Es wird jedoch eine enorme Herausforderung für den europäischen Binnenmarkt sein und einen starken Einfluss auf die Schwellenländer haben.

Veröffentlicht am 30 Juli 2013 um 14:50

Mit knapp der Hälfte des weltweiten Bruttoinlandprodukts (BIP) und fast einem Drittel des globalen Handelsvolumens sind die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika bereits die größten Partner im Bereich Handel und Investment. Gelingt es ihnen, ihr ambitioniertes Freihandelsabkommen zu schließen, so bedeutet dies einen starken Wachstumsschub für die Wirtschaft in allen EU-Staaten und in den USA. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach wird es auch die traditionellen Handelsbeziehungen innerhalb der EU schwächen. Eine andere Folgewirkung: Manche Staaten werden weniger auf den EU-Binnenmarkt angewiesen sein, obwohl dieser doch einer der wesentlichen Erfolge und Vorteile der europäischen Integration ist.

Der gemeinsame Markt mit seinen vier tragenden Pfeilern – dem freien Verkehr von Personen, Gütern, Dienstleistungen und Kapital – ist der größte Wirtschaftsraum der Welt. Durch ihn konnten viele administrative und technische Barrieren zwischen den Binnenmärkten der Mitgliedsstaaten aufgehoben werden. Durch die Beseitigung der rechtlichen Hindernisse im Handel mit den USA und das Wegfallen der aktuellen Vorteile, die [den EU-Mitgliedsstaaten] eine Vorzugsbehandlung am gemeinsamen Binnenmarkt gewähren, dürften sich die Handelsbeziehungen mit Sicherheit diversifizieren.

Der Handel zwischen Deutschland und den USA könnte sich praktisch verdoppeln. Ebenso auch der globale Umsatz im Handel zwischen den USA und Italien, Griechenland und Portugal. Schätzungen zufolge dürfte demgegenüber der Handel zwischen Deutschland und Frankreich um 23 Prozent und der zwischen Deutschland und Großbritannien um 40 Prozent zurückgehen. Die Vorteile des Binnenmarkts gelten oft als der imaginäre Zusammenhalt der europäischen Gemeinschaft. Es stellt sich also die Frage, ob sich eine Schwächung der wirtschaftlichen Partnerschaft nicht direkt auf die „Einheit“ der Europäischen Union insgesamt auswirkt.

Vorteile für den Süden und den Norden der EU

In diesem Kontext muss man allerdings im Auge behalten, dass das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA – so ambitioniert es auch sein mag – wahrscheinlich keine Harmonisierung bringen wird, die mit der bereits zwischen den EU-Mitgliedsstaaten existierenden vergleichbar wäre. Von einer eventuellen Entstehung einer euro-amerikanischen Union oder von den Vereinigten Staaten von Euro-Amerika kann also nicht die Rede sein. Weiter kann die Bildung einer transatlantischen Freihandelszone die Vollendung des EU-Binnenmarkts sogar weiter vorantreiben und in den Bereichen, in welchen der Handel noch übermäßig reguliert und behindert wird, zu einer Liberalisierung führen.

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Die Erleichterung des Handels zwischen den Vereinigten Staaten und der EU wird zu erhöhter wirtschaftlicher Aktivität und zu einer Senkung der Produktionskosten und Kaufpreise führen, was sich dann in einem gesteigerten Wirtschaftswachstum umsetzt. Die Länder, die von dem Abkommen am meisten profitieren werden, sind diejenigen, die von jeher privilegierte Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten unterhalten, wie Großbritannien oder Irland. Doch auch in Spanien und in Italien wird das Wirtschaftswachstum anziehen, da teure EU-Importe zum Teil durch preiswertere Produkte aus den Vereinigten Staaten ersetzt werden können. Eine der Schlussfolgerungen im Bericht der Bertelsmann-Stiftung über die Verhandlungen zwischen der EU und den USA weist auch darauf hin, dass die transatlantische Partnerschaft die Kluft zwischen den traditionell wirtschaftsstarken Staaten im Norden und dem krisenerschütterten südlichen Flügel der EU nicht vertiefen wird. Eher im Gegenteil.

Die großen Verlierer sind die BRICS-Staaten

Die Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten wird das wichtigste bilaterale Handelsabkommen der Geschichte sein – nicht nur in Bezug auf das Handelsvolumen, sondern vor allem durch den Einfluss auf den internationalen Handel insgesamt. Mit diesem Abkommen werden die beiden bedeutendsten Treibkräfte der Weltwirtschaft deutlich zu erkennen geben, dass sie mächtig genug sind, um die neuen Regeln der globalen Märkte des 21. Jahrhunderts aufzustellen und zu beeinflussen.

Die Autoren des Berichts behaupten, die eventuellen Gewinne für die Unterzeichner des Abkommens werden durch Verluste bei Drittländern ausgeglichen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wären die BRICS-Staaten, deren Exporte in die EU und in die USA um zehn bzw. um 30 Prozent zurückgehen könnten, am stärksten betroffen.

Beim Zeitplan allerdings ,so der Bericht, muss man realistisch bleiben. Das hoch gesteckte Ziel, die transatlantische Partnerschaft bis in zwei Jahren unter Dach und Fach zu bringen, ist wahrscheinlich mit der Komplexität des Abkommens unvereinbar. Bald werden die Orientierung und die Dynamik der Verhandlungen bekannt sein. Die USA setzen auf die Notwendigkeit für Brüssel, der immer schlechter werdenden europäischen Wirtschaft einen starken Impuls zu geben. Die Verhandlungspartner dürfen jedoch nicht vergessen, dass das „Fenster“ für die Aushandlung eines Abkommens nur bis zum Ende der Amtszeit des aktuellen amerikanischen Präsidenten offen bleibt. Denn eines trifft für beide Seiten des Atlantiks zu: Mit der Liberalisierung des internationalen Handels gewinnt man keine Wahlen.

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