Schluss mit dem kleinlichen Streit um seine Zukunft: Muammar Gaddafi auf einer Mauer in Bengasi, Juni 2011

Gaddafi oder nicht, das ist nicht die Frage

Obwohl der internationale Militäreinsatz gegen das Gaddafi-Regime nun schon vier Monate dauert, können die britische und die französische Regierung noch immer keine kohärente Libyenpolitik vorlegen. Schuld daran sind allein sie, so ein britischer Kolumnist.

Veröffentlicht am 28 Juli 2011 um 14:50
Schluss mit dem kleinlichen Streit um seine Zukunft: Muammar Gaddafi auf einer Mauer in Bengasi, Juni 2011

Am Dienstag schloss William Hague sich dem Franzosen Alain Juppé an (im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie teilten ein Rednerpult in Paris) und meinte, Gaddafi und dessen Familie dürften in Libyen bleiben. Dabei hatten beide Außenminister monatelang darauf bestanden, dass der Kolonel das Land verlässt. Gestern schloss Hague sich abermals Frankreich an und verkündete, Großbritannien würde die libysche Opposition anerkennen und die Gaddafi-treuen Diplomaten ersuchen, London zu verlassen.

Das ist reine politische Schaumschlägerei, und noch dazu die schlimmste Form davon. Großbritannien gibt zwar zu, dass es Gaddafi nicht persönlich loswerden kann, unterstreicht aber, dass es weiterhin einen Regimewechsel anstrebt. In Wahrheit anerkennt es einfach die raue Wirklichkeit vor Ort.

Wir haben unsere Luftstreitkräfte auf der Seite der Opposition eingesetzt in der süßen Hoffnung, dass wir damit das militärische Gleichgewicht verändern und der Opposition ermöglichen würden, den Krieg zu gewinnen. Das hat sie aber nicht getan. Stattdessen sind wir patt, und diese Situation könnte sehr wohl den ganzen Sommer andauern. Jetzt zu erklären, dass Gaddafi nach seinem Rücktritt im Land bleiben darf, ist sinnlos. Schließlich wird der libysche Machthaber nicht zurücktreten, solange er meint, zumindest in einem Teil Libyens militärisch die Oberhand zu behalten. Gegenwärtig scheint das der Fall zu sein.

Der Westen sollte diskret beobachten

Langfristig werden wohl der wirtschaftliche Druck und die fehlenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft sich als stärker erweisen. Aber auf kurze Sicht täte der Westen gut daran, keine großen Worte zu schwingen, was Gaddafi nun machen darf und was nicht, sondern die Opposition zu einem Waffenstillstand zu bewegen und die Parteien unter der Schirmherrschaft der UNO oder Afrikanischen Union an den Verhandlungstisch zu setzen.

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Das Problem mit allen westlichen Politikern ist das „Eigentum“. Sobald sie eine potenziell vorteilhafte Entwicklung wie den Arabischen Frühling beobachten, erheben sie Anspruch darauf. Geht jedoch etwas schief, wie im Jemen oder in Bahrain, distanzieren sie sich so schnell wie möglich davon.

Die Initiatoren des Arabischen Frühlings lassen sich jedoch nicht auf diese Weise enteignen. Es wäre natürlich herrlich, wenn umwälzende soziale Bewegungen wie die Aufstände im Nahen Osten friedlich und im besten Einvernehmen aller Parteien verlaufen könnten. Aber letzten Endes geht es immer um die Macht, und die hängt von vielen Faktoren ab, wobei die meisten davon in der Region selbst verortet sind.

Interventionen des Westens gelingen nur, wenn aufs Ganze gegangen und das Land besetzt wird. Dann entstehen jedoch Probleme, wie wir sie aus Irak und Afghanistan kennen. Vor diesem Hintergrund wäre es wohl am besten, wenn der Westen sich einfach auf einen diskreten Beobachterstatus beschränken würde.

Das Versprechen einer neuen wirtschaftlichen Blüte

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns zurücklehnen und gar nichts unternehmen sollten. Aber die besten Waffen, die uns zur Verfügung stehen, kommen aus dem wirtschaftlichen Arsenal. Die Anerkennung des Nationalen Übergangsrats als einzige legitime Regierung hilft nicht viel, denn die Libyer müssen ihr politisches Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wir können ihnen allerdings eine Zukunft versprechen, in der Wirtschaftshilfe, Marktwirtschaft und Freizügigkeit für ein besseres Leben sorgen als jahrzehntelange autokratische Herrschaft und Korruption.

Offene Grenzen und Einwanderung sind ein rotes Tuch für europäische Politiker. Auch sind sie nicht bereit, in einer Zeit, in der überall die Gürtel enger geschnallt werden, den freien Zugang zu ihren Märkten oder direkte ökonomische Unterstützung anzubieten.

Dabei könnte der Arabische Frühling das Beste sein, das Europa seit einer Generation widerfahren ist. Er ermöglicht nicht nur eine neue Politik im gesamten Mittelmeerraum, sondern verspricht auch eine neue wirtschaftliche Blüte, sowohl für Südeuropa als auch für Nordafrika. Deshalb wäre es an der Zeit, endlich eine umfassende Lösung vorzuschlagen, statt kleinlich über die Zukunft von Gaddafi zu streiten, so unliebsam der gute Mann auch sein mag.

Aus dem Englischen von Claudia Reinhardt

Diplomatie

Putsch in libyscher Botschaft in Sofia

Am 25. Juli verwüstete der Ex-Konsul Ibrahim Al-Furis mit ein paar Landsleuten die libysche Botschaft in Sofia. Er erklärte sich zum Vertreter des Nationalen Übergangsrats (NTC), vertrieb das Personal und sperrte den Botschafter ein. Noch am gleichen Tag erklärte die bulgarische Regierung Al-Furis zur Persona non grata und ließ ihm 24 Stunden, um das Land zu verlassen – noch bevor der Putschversuch vollständig aufgeklärt werden konnte.

In Bengasi erklärte der Übergangsrat, dass er Al-Furis nicht als seinen diplomatischen Vertreter anerkenne. Daraufhin entschied Bulgarien, seine diplomatischen Beziehungen mit der libyschen Botschaft auf Eis zu legen, solange die Lage nicht geklärt ist. Unterdessen lehnt Ibrahim Al-Furis es ab, das Land zu verlassen und „bleibt in dem Gebäude: Ein Diplomat, der niemanden vertritt, in einer Botschaft ohne diplomatische Beziehungen, mit Polizeibeamten vor den Türen“, kommentiert Kapital.

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