Der spanische Premierminister Mariano Rajoy.

Generalsanierung der öffentlichen Moral

Der spanische Ministerpräsident ist in eine Schwarzgeld-Affäre seiner Partei verwickelt und beteuert seine Unschuld. Die Tageszeitung El País, die die handschriftlichen Aufzeichnungen des ehemaligen Schatzmeisters der Partei veröffentlicht hat, hält die Zukunft der spanischen Politik für wichtiger als die Rajoys.

Veröffentlicht am 4 Februar 2013 um 16:09
Der spanische Premierminister Mariano Rajoy.

Der Regierungschef erschien [am 2. Februar] vor dem Führungsgremium seiner Partei um seine Ehre zu verteidigen und kategorisch zu leugnen, dass er Schwarzgelder erhalten oder gezahlt hätte.

Wir zweifeln nicht an seiner Aufrichtigkeit und sind sicher, dass ihm auch viele andere Bürger Glauben schenken, ob sie nun bei den Wahlen für ihn gestimmt haben oder nicht.

Nicht die Frage der Ehrlichkeit beunruhigt die spanische Öffentlichkeit, sondern die Beweise, die darauf deuten, dass der ehemalige Schatzmeister der konservativen Volkspartei PP ein Vermögen angehäuft und am spanischen Fiskus vorbeigeschleust hat, dass Luis Bárcenas in die Gürtel-Affäre verwickelt ist, in der viele Politiker der Korruption - [in Bezug auf die öffentliche Auschreibungen]- angeklagt wurden, und dass die Parteispitze wohl jahrelang undurchsichtige Zahlungen erhalten hat.

Den Zahlungen und der Buchführung des Schatzmeisters Bárcenas, die einer langen parteipolitischen Tradition entsprechen, wurden auf Initiative der Generalsekretärin María Dolores de Cospedal und Mariano Rajoys selbst ein Ende gesetzt.

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Deshalb ist es relativ unverständlich, warum die Partei sich jetzt verschanzt, wo doch die aktuelle Parteispitze beschlossen hatte, mit den Zweifeln und Unterstellungen, die durch Korruptionsskandale wie die Gürtel-Affäre aufkommen, endgültig aufzuräumen.

Transparenz allein schafft kein Vetrauen

Die vom Ministerpräsidenten versprochene Transparenz mit der Veröffentlichung der Einkommenserklärungen und Vermögensaufstellungen ist positiv zu beurteilen. Bislang war Transparenz ein Fremdwort für die Partei, deren undurchsichtige Praktiken auf den ersten Schatzmeister Rosendo Naseiro zurückgehen: Es genügt, sich an die Verurteilung des ehemaligen Ministerpräsidenten der Balearen und Ex-Umweltminister der Regierung Aznar, Jaume Matas, an die Inhaftierung von [Francisco] Correa [Hauptangeklagter in der Gürtel-Korruptionsaffäre, in der die Regionalleiter der PP und Unternehmer, denen öffentliche Aufträge erteilt wurden, involviert waren] und an die Verfahren gegen Bürgermeister und Gemeinderäte der PP wegen Bestechung und Betrug zu erinnern.

Die Argumente bezüglich der Transparenz der Buchführung der Partei leiden unter einer wesentlichen Schwäche, nämlich dem permanenten Schatten von Luis Bárcenas, der zwanzig Jahre lang die Finanzgeheimnisse der Parteizentrale hütete.

Es mag wahr sein, dass die Partei nichts von den 22 Millionen Euro, die der ehemalige Schatzmeister auf einem Schweizer Konto angehäuft hat, weiß, aber es gibt keinen Zweifel, dass der Schatzmeister dieser Partei Multimillionär und nun begnadigter Betrüger ist, weil er die Finanzen der Partei so lang verwaltet hat.

Es obliegt der Justiz, die Herkunft des Vermögens von Bárcenas zu bestimmen und die Wahrheit über seine Buchführung herauszufinden. Die Parteiführung muss ihrerseits den Wählern und der breiten Öffentlichkeit erklären, wie sie Jahrzehnte lang einem Steuerbetrüger Vertrauen schenken konnte, sogar noch nach seinem Ausschluss und trotz des Verdachts der Korruption.

Demokratisches Regenerationsprogramm wird notwendig

Wir wissen jetzt, dass es politisch sehr schwierig zu sein scheint, sich von einem Mitglied der Parteiführung zu trennen, das sich in einem benachbarten Büro bereichert hat.

Im Übrigen täuscht sich der Regierungschef, wenn er meint, die Spanier würden nach seiner Anhörung wirklich glauben, dass die Enthüllungen der letzten Wochen eine Verschwörung gegen seine Partei oder seine Person seien. Die Justiz urteilt über vergangene Taten.

Die Politik sollte aber die Gegenwart und die Zukunft anvisieren und hier steht die Demokratie auf dem Spiel. Nicht eine halbherzige Demokratie, in der die Institutionen von De-facto-Kräften und finsteren Mächten beschränkt werden, sondern ein europäischer Staat mit einer Regierung und einer Opposition, deren Mitglieder über jeden Zweifel erhaben sein müssen.

Es ist normal, dass die Bürger angesichts der in jüngster Zeit aufgedeckten Fälle indigniert sind. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise, die unter anderem von der Immobilienblase und der damit einhergehenden politischen Korruption verursacht wurde, kennt ihre Entrüstung keine Grenzen mehr.

Aus diesem Grund ist ein demokratisches Regenerationsprogramm unerlässlich: eine rechtliche und moralische Generalsanierung unserer Institutionen, die jedoch von keiner der aktuellen politischen Kräfte im Alleingang durchgezogen werden kann, weil die meisten von ihnen unter Verdacht stehen.

Die politische Klasse, die allen Umfragen zufolge stark in der Wertschätzung der Bürger gesunken ist, muss das verstehen, allen voran die hochrangigen Politiker.

Sich vor der Kritik zu verschanzen, die Wirklichkeit nicht anzuerkennen und die gerechtfertigten Forderungen der Demonstranten zu ignorieren kann nur zu Frustration und Melancholie führen.

Meinung

Aufklärung ist nötig

Die Veröffentlichung der Luis Bárcenas, dem ehemaligen Schatzmeister der spanischen Volkspartei (PP), zugeschriebenen „geheimen Aufzeichnungen“ in El País hat ein politischen Gewitter und eine institutionelle Krise ausgelöst.

Die Notizen enthalten die doppelte Buchhaltung, in deren Rahmen die Parteimitglieder von 1990 bis 2008 Schmiergeld erhalten hätten. Der vermutliche Verfasser der Aufzeichnungen wurde 2010 wegen seiner Verwicklung in die Gürtel-Affäre aus der Partei ausgeschlossen.

Alfredo Pérez Rubalcaba, Generalsekretär der sozialistischen Partei (PSOE), der größten Oppositionspartei, fordert sogar den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Mariano Rajoy beteuerte öffentlich, dass er kein Schwarzgeld erhalten habe, aber es bestehen immer größere Zweifel in Bezug auf andere hochrangige Parteimitglieder. So sollen sogar der gegenwärtigen Gesundheitsministerin Ana Mato angeblich Privatausgaben finanziert worden sein.
Der konservativen Tageszeitung El Mundo zufolge hat Rajoy das Problem mit seiner Erklärung nicht gelöst:

Die Sackgasse, in die er sich hineinmanövriert hat, würde ihm mehr Freiheit gewähren, wenn er zugeben könnte, dass die PP undurchsichtige Spendengelder erhalten hat, und eine Untersuchung einleiten würde, um herauszufinden, ob die Parteispitzen davon profitiert haben oder nicht. Das hätte politische Kosten, die jedoch niedriger wären als der Preis, den er zahlen muss, wenn er keine Maßnahme gegen den ergreift, der sich vermutlich mehrmals in der Kasse der PP bedient hat, um seine eigenen Taschen zu füllen.

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