Opinion Proteste in Georgien

Georgier verhindern „das russische Gesetz“, doch ihr Weg nach Europa bleibt ungewiss

Trotz des hybriden Krieges Russlands gegen Georgien haben sich junge Georgier erfolgreich gegen das „ausländische Agenten“-Gesetz gewehrt, das die europäische Zukunft ihres Landes gefährdet hätte.

Veröffentlicht am 17 März 2023 um 09:33

„Hinwendung zu Europa“ - so bezeichnete der französische Präsident Emmanuel Macron die jüngsten Entwicklungen in Georgien, wo sich Zehntausende vor dem Parlament versammelten, um gegen das umstrittene Gesetz über „ausländische Agenten” zu protestieren - und es erfolgreich verhinderten. Nach einer dreitägigen Kundgebung ließ die umstrittene Parlamentsmehrheit das sogenannte „russische Gesetz“ in zweiter Lesung fallen. Viele Georgier sahen in dem Gesetz ein Hindernis für die demokratische Zukunft ihres Landes, da es sie von ihrem „europäischen Weg“ abbringen würde. Aus diesem Grund bezeichneten die Demonstranten, überwiegend Studenten, ihre Proteste als Kampf für Europa, für Freiheit und Demokratie in Georgien.  

Das geplante Gesetz war dem russischen Gesetz zu „ausländischen Agenten“ sehr ähnlich. Der Kreml nutzt das Gesetz in Russland, um die russische Zivilgesellschaft zu schikanieren und zu unterdrücken. Es beinhaltet, dass jede juristische Person, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzmittel von einer „ausländischen Macht“ erhält, als „Agent ausländischen Einflusses“ registriert wird. Abgesehen von der stigmatisierenden Bezeichnung gewährt es Regierungsbeamten uneingeschränkte Informationen über die betroffenen juristischen Personen, sowohl was ihre Finanzen, ihre externe Korrespondenz, ihre persönlichen Daten und die ihrer Mitarbeiter anbelangt. Das Gesetz führt in Russland zu regelrechten Hetzjagden, da jede Organisation, die angeblich von einem „ausländischen Agenten“ unterstützt wird, überwacht werden darf. Der georgische Gesetzentwurf sah hohe Geldstrafen als Sanktionen vor.

Die von den Befürwortern des ursprünglichen Gesetzentwurfs eingereichte Alternative war sogar noch restriktiver und sollte auch für natürliche Personen gelten. Außerdem sah der Text auch strafrechtliche Sanktionen vor, darunter eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren.     

Was macht dieses Gesetz „russisch“?

Seit der Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit wird Georgien von Russland permanent behindert auf seinem Weg zu einem demokratischen Übergang und der damit einhergehenden euro-atlantischen Integration. Im August 2008 wurde der imperiale Anspruch Russlands auf die nach Demokratie strebenden postsowjetischen Regionen durch die Invasion und Besetzung georgischer Gebiete deutlich. Der Kampf gegen den wieder auflebenden russischen Imperialismus war für die Georgier eine neue Erfahrung. Über alle Generationen hinweg verfestigte sie ihre pro-europäischen Gefühle, insbesondere bei den Jüngeren, die in einem unabhängigen Land geboren wurden.   

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Trotz des anhaltenden hybriden Krieges Russlands gegen Georgien und seines zunehmend offensichtlichen Einflusses auf die Regierungsmehrheit des Landes befürwortet über 70% der georgischen Öffentlichkeit weiterhin die Zugehörigkeit zu Europa und einen Eintritt in die NATO. Dieses Vertrauen in die Werte westlicher Institutionen versucht das georgische Regime durch massive Propaganda zu untergraben. 

Anfang 2022, nach der russischen Invasion in der Ukraine, reichte Georgien neben der Ukraine und Moldawien seinen Antrag auf EU-Mitgliedschaft ein. Im Juni 2022 gewährte der Europäische Rat der Ukraine und der Republik Moldau den Kandidatenstatus, während Georgien weiterhin bestimmte Bedingungen erfüllen muss, um diesen zu erlangen. Dazu gehört vor allem, den Einfluss der Oligarchen auf die gesellschaftlichen und politischen Institutionen zu stoppen. Ein gutes Beispiel für einen solchen Oligarchen ist Georgiens Ex-Premierminister Bidsina Iwanischwili, der die Regierungspartei Georgian Dream gegründet hat und seitdem als deren Strippenzieher gilt. Für ihn waren die Beitrittsbedingungen der EU ein Angriff, den er mit Gegenangriffen beantwortete. 

Allerdings war es nicht seine Partei, die hinter dem fraglichen Gesetzentwurf steckt, sondern eine Gruppe von Abgeordneten, die Georgian Dream verlassen hatte, um die antiwestliche, russophile und rechtsextreme Bewegung People's Power zu gründen, die mit Unterstützung des Regimes Hetzkampagnen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen führt.

Die Verfasser des Gesetzentwurfs versuchten, ihn als amerikanische Idee auszugeben, um dem Gesetz den Anschein von Legitimität und Demokratie zu verleihen, woraufhin auch Georgian Dream es verteidigte. Angesichts des Justizsystems, des geopolitischen Kontextes, des Mangels an unabhängigen Richtern sowie der ständigen Delegitimierungskampagnen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien wurde der georgischen Gesellschaft jedoch schnell bewusst, dass das Gesetz Georgien näher an Russland als an den Westen heranführen würde.

Wiederherstellung der demokratischen Hoffnung

Der zivile Widerstand in Georgien begann mit kleinen, zersplitterten Protesten, die von Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen angeführt wurden. Dann schlossen sich immer mehr internationale und lokale Organisationen sowie zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Bewegung an. Die Kundgebung erreichte ihren Höhepunkt, als das Gesetz in erster Lesung verabschiedet wurde. Die US-Botschaft bezeichnete die Verabschiedung des Gesetzes als einen „schwarzen Tag für die georgische Demokratie“.


Die symbolträchtigen Worte des ehemaligen georgischen Premierministers Surab Schwania anlässlich des Beitritt Georgiens zum Europarat sind in der georgischen Öffentlichkeit noch immer fest verankert: „Ich bin Georgier, und deshalb bin ich Europäer“


Am 7. März versammelten sich Zehntausende auf den Straßen und auf digitalen Plattformen (#NoToRussianLaw), um gegen das „russische Gesetz zu protestieren. Die Regierungstruppen versuchten, die friedlichen Kundgebungen mit Pfefferspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken gewaltsam aufzulösen, doch der zivile Widerstand setzte sich durch. Die Bereitschaftspolizei nahm am ersten Tag 66 Demonstranten fest, was das Aufgebot der Demonstranten am Folgetag nur noch weiter verstärkte. Nach einer Nacht gewaltsamer Ausschreitungen mit brennenden Polizeiautos, zerbrochenen Fensterscheiben und Barrikaden im Zentrum von Tiflis gab Georgian Dream am Morgen des 9. März eine Erklärung ab, in der die Regierungspartei versicherte, dass das Gesetz „zurückgezogen werde“, „bis sich die Lage beruhigt“. Die Verantwortung wälzte die Regierung auf die „finsteren Kräfte“ ab, die angeblich Desinformationen über das Gesetz verbreitet haben sollen.  

Trotz der Erklärung blieb das Misstrauen der Öffentlichkeit bestehen, da sich das geplante Rücknahmeverfahren verzögerte. Am Abend fand eine weitere Kundgebung statt, bei der die Regierungspartei aufgefordert wurde, eine außerordentliche Parlamentssitzung anzuberaumen, um den Gesetzentwurf in zweiter Lesung abzulehnen, da dies die einzige Möglichkeit sei, einen in erster Lesung angenommenen Gesetzentwurf zu kippen.

Am 10. März stimmte die Parlamentsmehrheit in einer außerordentlichen Sitzung in zweiter Lesung schließlich gegen den Gesetzentwurf. Es ist bezeichnend, dass die russlandfreundliche rechtsextreme Partei „People's Power“ der einzige Partner der georgischen Regierung ist. Ihr antiliberaler Protest gegen die EU, der einige Tage nach der Ablehnung des Gesetzentwurfs stattfand, war gezeichnet von Gewalt. Ihre Anhänger verbrannten die EU-Flagge des Parlaments. 

Warum muss die Welt das wissen? 

Dieser trotzige Sieg der georgischen Gesellschaft ist dem Kreml ein Dorn im Auge. Die heftigen Reaktionen von Putins Sprechern deuten darauf hin, dass der Gesetzesentwurf nicht nur eine Nachahmung des russischen Gesetzes, sondern tatsächlich eine vom Kreml gesteuerte Strategie war. Die Demonstrationen wurden vor allem von jungen Menschen initiiert, die noch nie direkt in einem totalitären System gelebt haben. Die symbolträchtigen Worte des ehemaligen georgischen Premierministers Surab Schwania anlässlich des Beitritt Georgiens zum Europarat sind in der georgischen Öffentlichkeit noch immer fest verankert: „Ich bin Georgier, und deshalb bin ich Europäer“.

Plakate und Interviews der Demonstranten zeigen, dass es sich um eine Generation handelt, die Freiheit und Demokratie schätzt und sich furchtlos sowohl Russland als auch ihrer eigenen Regierung mit ihren Einschüchterungsmethoden entgegenstellt. Auch wenn die Verhinderung des „russischen“ Gesetzesentwurfs ein wichtiges geopolitisches Zeichen ist, bleibt Georgien ein Land mit vielen internen und externen Hindernissen auf dem Weg zur Verwirklichung seiner „europäischen Zukunft“. 


Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema