Goldman Sachs meint es gut mit uns

Mario Monti, Lukas Papademos und Mario Draghi haben eines gemeinsam: Alle drei haben für die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet. Kein Zufall, sondern eine Strategie der Einflussnahme, die vielleicht heute an ihre Grenzen gestoßen ist.

Veröffentlicht am 16 November 2011 um 15:26

Sie sind seriös und kompetent, wägen Vor- und Nachteile ab und studieren ihre Dossiers gründlich, bevor sie Entscheidungen treffen. Ökonomie ist ihr Steckenpferd. Sie geben sich nur selten die Blöße, jene Söhne des Lichts, die erst nach einem langen und schwierigen Aufnahmeprozess in den Tempel zugelassen werden. Eine Gruppe, die sowohl Lobby, Verein von Informationsjägern als auch ein Netzwerk der gegenseitigen Hilfe darstellt. Sie sind Lehrlinge, Gesellen und Meister, welche “die in den Logen gelehrte Wahrheit in der Welt verbreiten sollen”.

Kritiker werfen dem europäischen Lobby-Netzwerk der amerikanischen Bank Goldman Sachs (GS) vor, wie eine Form der Freimaurerei zu funktionieren. In unterschiedlichem Maße sind der neue Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi, Italiens designierter Regierungschef Mario Monti und Griechenlands neuer Ministerpräsident Lukas Papademos Galionsfiguren dieses enggestrickten Netzes.

Der erste war von 2002 bis 2005 Vizepräsident von Goldman Sachs International in Europa. Er war ein “Gesellschafter”, der sich um “Unternehmen und souveräne Staaten” kümmerte, Chef jener Abteilung, die kurz bevor er sie übernahm, Griechenland mit dem Finanzinstrument “Swap” geholfen hatte, seine Bilanzen zu schönen und Staatsschulden zu verschleiern.

Ex-Kommissare und Zentralbanker

Der zweite war von 2005 bis zu seiner Ernennung zum neuen italienischen Regierungschef Berater im Verwaltungsrat von Goldman Sachs. Nach Angaben der Bank fungierte er als Berater für “europäische Angelegenheiten und zu wichtigen Fragen globaler Politik.” Mario Monti, war einer, der Türen öffnete. Seine Aufgabe war es, ins Herz der europäischen Macht vorzudringen, um dort die Interessen von GS zu verteidigen.

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Der dritte, Lukas Papademos, war von 1994 bis 2002 Gouverneur der griechischen Notenbank. In diesem Rahmen hat er eine noch immer nicht geklärte Rolle bei der Verschleierung der öffentlichen Haushaltsbilanzen mit Hilfe von Goldman Sachs gespielt. Der oberste Schuldenmanager in Griechenland heißt übrigens Petros Christodoulous, ehemals Trader der amerikanischen Bank in London.

Des Weiteren spielen zwei weitere Schwergewichte des Goldman-Netzwerks in Europa in der Eurokrise bedeutende Rollen: Otmar Issing, ehemaliges Mitglied des Direktoriums der Bundes- als auch Europäischen Zentralbank sowie der Ire Peter Sutherland, Ex-Präsident von Goldman Sachs International, der bei der Irland-Rettung im Hintergrund agierte.

Unverbindliche Plauderstunden

Wie ist dieses Netzwerk von Getreuen und Mittelsmännern geschaffen worden? In den USA besteht der magische Zirkel aus Ex-Managern der Bank, die mit Sack und Pack in die höchsten Staatsfunktionen wechselten. In Europa pflegt Goldman Sachs eher einen Beziehungs-Kapitalismus. Doch im Gegensatz zu ihren Konkurrenten interessiert sich die Bank weder für pensionierte Diplomaten noch für nationale und internationale Spitzenbeamte. Und noch weniger für ehemalige Ministerpräsidenten oder Finanzminister. Goldman Sachs hat es in erster Linie auf Manager der Zentralbanken sowie Ex-EU-Kommissare abgesehen.

Ihre primäre Aufgabe ist es, völlig legal Informationen über anstehende Operationen oder über die Leitzins-Politik der Notenbanken zu sammeln. Die Investmentbank pflegt es, ihre Männer zu positionieren, ohne jemals die Masken fallen zu lassen. Deshalb verschweigen die Handlanger auch ihre Verbindungen zur Bank, wenn sie ein Interview geben oder eine öffentliche Mission übernehmen.

Alle diese “Ex-dies-und-das” sind prominent und plaudern unverbindlich mit ihren Gesprächspartnern. Und vor Persönlichkeiten dieses Kalibers lösen sich die Zungen. Sie “wittern, woher der Wind weht”, salopp gesagt. Die exklusiven Informationen kursieren dann in den Handelsräumen der Bank.

Goldmans fette Jahre sind vorbei

Ein ehemaliger Mitgesellschafter an der Spitze der EZB, ein ehemaliger Mittelsmann Regierungschef in Italien, ein enger Freund in Griechenland an der Macht: Für ihre Kritiker verfügt die Bank heute über fantastische Verbindungen nach Frankfurt, Rom und Athen, die sich in diesen stürmischen Zeiten als nützlich erweisen könnten. Dem Schein zum Trotz sind aber die fetten Jahre der Goldman-Regierung in Europa — die ihren Höhepunkt vor und während der Turbulenzen auf den Finanzmärkten 2008 kannte — vermutlich vorbei.

In der Tat erweisen sich die alten Freundschaften zu den gewieften Ex-Zentralbankern, die im Hintergrund die Strippen ziehen sollen, als weniger hilfreich als früher. Die Politiker sind sich der Unbeliebtheit der Finanzprofis, welche für die Krise verantwortlich gemacht werden, bewusst. Da, wo Goldman Sachs sein Talent leicht ausüben konnte, hat die Bank mit einer Reihe von Skandalen die Öffentlichkeit gegen sich aufgebracht. Ein gut gefülltes Adressbuch reicht in einer technisch immer komplexeren Finanzwelt nicht mehr aus.

Die neue Unternehmergeneration steht dem Establishment viel respektloser gegenüber. Die europäischen Topmanager, die den Weltmarkt erobern wollen, haben sich von den Kreuzrittern der Hochfinanz vom Schlage Goldman Sachs emanzipiert. Das Streben nach Einbeziehung der Aktionäre, nach mehr Transparenz, sowie der Aktivismus von Gegenmächten (Medien, NGOs, institutionelle Anleger) schwächen tendenziell den “Netzwerk-Effekt”.

Aus dem Französischen von Jörg Stickan

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