Data Greenwashing

Die leeren Versprechen der Europäischen Lebensmittelindustrie

Zwei Drittel der Versprechen, Kunststoffverpackungen zu reduzieren oder zu recyceln, scheitern oder werden nicht eingehalten, wie eine DW-Untersuchung ergeben hat. Die Studie zeigt zudem, wie europäische Lebensmittel- und Getränkeunternehmen ihre Verpflichtungen brechen und wie sie per Gesetz zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Veröffentlicht am 8 September 2022 um 09:45

Der französische Lebensmittelriese Danone gab ein ehrgeiziges Versprechen: Innerhalb eines Jahres sollten 50% der Kunststoffe in den Wasserflaschen des Unternehmens aus recycelten Materialien hergestellt werden. Der Nachhaltigkeitsbericht von Danone nannte die Maßnahme "einen Hebel zur Reduzierung des Verpackungsgewichts und zur Verringerung der CO2-Emissionen". Das war 2008.

Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen im Kampf gegen die globale Plastikverschmutzung. Plastik ist nicht nur eines der Hauptprodukte, die aus fossilen Brennstoffen wie Erdöl und Erdgas hergestellt werden: Es ist auch eines der langlebigsten. Plastikflaschen zum Beispiel können bis zu 450 Jahre brauchen, bis sie zerfallen sind. Dabei entsteht Mikroplastik, das Tieren und Menschen gleichermaßen schadet und Meere, Böden und die Luft verschmutzt. Und die Lebensmittel- und Getränkeindustrie ist einer der größten Plastikverschmutzer der Welt.

Der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge wurden im Jahr 2019 rund 79 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle direkt in die Umwelt entsorgt: In die Böden und Ozeane, durch Verbrennung in offenen Gruben oder auf illegalen Deponien. Das entspricht mehr als einem Fünftel der weltweiten Gesamtmenge an Plastikmüll.

Gemeinsam mit Partnermedien des European Data Journalism Network hat die DW die größten europäischen Lebensmittel- und Getränkehersteller unter die Lupe genommen: Wenn Unternehmen versprechen, bei Plastikverpackungen nachhaltiger zu werden – halten sie sich daran?

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Bei Danone war das nicht der Fall. Bis 2009 hatte das Unternehmen sein Ziel für recycelte Kunststoffe verschoben: "Der Konzern strebt 20-30% im Jahr 2011 an", heißt es im Bericht von 2009. "Und letztendlich 50%." Als das Unternehmen auch dieses Ziel nicht erreichte, senkte es die Messlatte erneut. Und erneut. Im Jahr 2020 verwendete Danone immer noch nur knapp 20% recyceltes PET in seinen Wasserflaschen weltweit. Und für 2025, 16 Jahre nach der ersten selbst gesetzten Frist, hat sich Danone ein altes Ziel neu gesetzt: 50% recycelte Kunststoffe in Wasserflaschen.

Danone reagierte nicht auf Nachfragen der DW zu diesen Diskrepanzen.

Insgesamt haben die DW und ihre Partnermedien 98 Plastikversprechen aus den letzten 20 Jahren von 24 Lebensmittel- und Getränkeunternehmen mit Hauptsitz in Europa ermittelt. Mehr als die Hälfte dieser Zusagen wurde erst in den letzten Jahren gemacht, meist mit dem Zieljahr 2025.

Bei 37 Zusagen, die bereits hätten erfüllt werden müssen, sieht die Bilanz nicht gut aus: 68% sind entweder eindeutig gescheitert oder wurden nie wieder erwähnt. Wenn Unternehmen ihre Zusagen nicht einhalten, erwähnen sie dies meist nicht offen. Stattdessen lassen sie Ziele stillschweigend fallen oder verschieben deren Umfang oder Zieljahr.

Unternehmen, deren Ziele nicht überprüfbar waren, hat DW kontaktiert und, soweit Antworten vorlagen, die entsprechenden Daten aktualisiert. Äußerten sich Unternehmen zu unklaren Zielen nicht weiter, blieben die ensprechenden Ziele als unklar markiert.

Diese Zahlen decken sich mit Studien zu anderen Branchen: Im Jahr 2021 untersuchte die Europäische Union Nachhaltigkeitsbehauptungen auf Unternehmens-Webseiten aus Branchen wie Bekleidung, Kosmetik und Haushaltsgeräte und stellte fest, dass 42% der Angaben potenziell übertrieben, falsch oder irreführend waren.

Auch bei den angeblich erreichten Zielen handelt es sich in einigen Fällen eher um Marketingtricks als um langfristige Verbesserungen.

Da wäre zum Beispiel die belgische Brauerei Anheuser-Busch InBev, das Unternehmen hinter Biermarken wie dem amerikanischen Budweiser, Corona oder Beck's. Im Jahr 2017 verkündete AB InBev, "bis 2020 100 Inseln vor Plastikverschmutzung im Meer zu schützen."

In der Praxis hat das Unternehmen jedoch keine langfristigen Schutzmaßnahmen umgesetzt. Stattdessen organisierte AB InBev 214 einmalige Strandsäuberungs-Aktionen in 13 Ländern und erklärte die Bemühungen, ein Jahr früher als geplant, zum Erfolg.

"Viele Unternehmen nutzen Strandsäuberungs-Aktionen zu Werbezwecken", sagt Larissa Copello, die politische Kampagnen für die Umwelt-NGO Zero Waste Europe organisiert. "Dabei sind sie diejenigen, die den ganzen Müll überhaupt erst an die Strände bringen". Zero Waste Europe plädiert dafür, stattdessen "den Hahn zuzudrehen" und Verpackungsmüll an der Quelle zu reduzieren.

Nur 19 der 98 Versprechen, die die DW identifiziert hat, zielen darauf ab, Plastikverpackungen oder Neuplastik zu reduzieren – und die meisten davon beziehen sich noch auf die Zukunft.

Von den 24 Unternehmen, für die DW Versprechungen identifizieren konnte, verpflichteten sich 16, ihre Kunststoffverpackungen wiederverwertbar zu machen. Doch selbst wenn alle Verpackungen theoretisch recycelbar wären, hieße das noch lange nicht, dass sie tatsächlich recycelt werden. "Wenn es keine Infrastruktur gibt, um solche Produkte getrennt zu sammeln, können sie auch nicht recycelt werden", so Copello.

Das Gleiche gelte für vermeintlich abbaubare oder kompostierbare Produkte. "Hier in Belgien gibt es zum Beispiel keine getrennte Sammlung für kompostierbare oder biologisch abbaubare Produkte", so Copello. "Sie landen einfach in der Restmülltonne." Doch gerade Plastikproduzenten stemmen sich immer wieder mit massiver Lobbyarbeit gegen die Entwicklung von wirksamen Recyclingsystemen.

In einem Drittel der dokumentierten Zusagen verpflichteten sich die Unternehmen, einen größeren Anteil an recycelten Kunststoffen in ihren Verpackungen zu verwenden. Das wäre eine Verbesserung, sagt Copello. Und einige erste Schritte wurden unternommen: Das italienische Unternehmen Ferrero zum Beispiel hat bereits 2010 begonnen, den Anteil an recyceltem PET in ihren Sekundärverpackungen zu erhöhen. Der Schweizer Coca-Cola-Abfüller, Coca-Cola HBC, führte 2019 für vier seiner Wassermarken eine Flasche aus 100% recyceltem PET ein, nachdem er dies im Jahr zuvor angekündigt hatte.

Freiwillige Verpflichtungen reichen nicht aus

Insgesamt ist die Nachfrage nach recycelten Kunststoffen jedoch nach wie vor gering und die Preise hoch. Das bedeutet, dass es für die Unternehmen meist profitabler ist, frisch hergestelltes Neuplastik zu verwenden.

Freiwillige Initiativen reichen nicht aus, sagt Nusa Urbancic, Kampagnendirektorin bei der Brüsseler Denkfabrik Changing Markets Foundation, die unverantwortliche Unternehmenspraktiken aufdeckt und sich für eine umfassendere Plastikgesetzgebung einsetzt.

"Anstatt ihre Macht, ihr Geld und ihre Ressourcen zu nutzen, um Lösungen voranzutreiben, tun die Unternehmen sehr oft das Gegenteil", so Urbancic. "Sie verstecken sich hinter freiwilligen Selbstverpflichtungen, um die Änderungen zu vermeiden, die sie eigentlich vornehmen müssten."

Tatsächlich seien freiwillige Selbstverpflichtungen oft eine bewusste Taktik, um progressive Umweltgesetzgebung zu verzögern und davon abzulenken, sagt sie.

Gesetzgebung treibt Wechsel zu recyceltem PET

Trotz Drucks von Plastikproduzenten hat die Europäische Union vor kurzem eine ehrgeizige Kunststoffgesetzgebung verabschiedet. Nach der Einwegplastik-Verordnung dürfen beispielsweise Einwegartikel wie Plastiktüten, Besteck und Strohhalme nicht mehr auf EU-Märkte gebracht werden. Damit folgt die EU dem Beispiel afrikanischer Länder wie Eritrea, das schon 2005 Plastiktüten verbot, Ruanda (2008) oder Marokko (2009).

Die neue Gesetzgebung ist wohl einer der Gründe für die große Zahl an neuen Plastikversprechen in den letzten Jahren. "Das hat den Unternehmen klar gemacht, dass sie sich deutlich mehr anstrengen müssen, um diese Ziele zu erreichen", sagt Urbancic. Jetzt, so Urbancic, fordern Unternehmen sogar selbst bessere Recyclingsysteme, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen zu können.

Öffentliche Initiativen können Greenwashing Vorschub leisten

Immer mehr Initiativen dokumentieren freiwillige Zusagen von Unternehmen in öffentlichen Datenbanken. Die EU etwa stellt Verpflichtungen auf der European Circular Economy Stakeholder Platform zusammen, und die in Großbritannien ansässige Ellen MacArthur Foundation listet Kunststoffinitiativen in ihrem Global Commitment Programm.

Die Ambition hinter den Zusagen gegenüber der Stiftung variiert stark. Unilever beispielsweise hat sich zum Ziel gesetzt, Neuplastik von 2020 bis 2025 um 50% zu reduzieren, Ferrero hingegen nur um zehn Prozent. Der französische Wein- und Spirituosenhersteller Pernod Ricard hat lediglich eine Reduzierung um fünf Prozent angepeilt.

Copello von Zero Waste und Urbancic von der Changing Markets Foundation halten freiwillige Verpflichtungen, wie sie von der Ellen MacArthur Foundation gefordert werden, für weniger wirksam als Gesetze. Urbancic bezeichnete solche Strategien als "Zuckerbrot ohne Peitsche".

"Unternehmen sind nicht einmal verpflichtet, grundlegende Informationen wie ihren Plastikfußabdruck offenzulegen. Und die Daten, die veröffentlicht werden, werden nicht von unabhängiger Seite überprüft", sagte Urbancic. Wie bei anderen freiwilligen Programmen bestehe auch hier die Gefahr, dass sie als Deckmantel für Greenwashing benutzt werden und tatsächliche Veränderungen verzögern.

Plastikproduktion eindämmen

Changing Markets empfiehlt, dass freiwillige Initiativen zumindest ehrgeizige Ziele für die Teilnahme festlegen sollten. Außerdem sollten sie dafür sorgen, dass teilnehmende Unternehmen über ihre Fortschritte berichten, und sie so öffentlich für ihre Leistung zur Rechenschaft gezogen werden können.

In den nächsten Jahren plant die EU umfassendere Plastikverordnungen im Rahmen des Aktionsplans für Kreislaufwirtschaft, die auch Zielvorgaben für Recycling und Maßnahmen zur Vermeidung von Verpackungsabfällen umfassen soll. Und ein Wandel ist dringend notwendig: Die weltweite Kunststoffproduktion nimmt immer noch zu. Prognosen zufolge wird dies auch in den nächsten Jahrzehnten so bleiben.

Um den Anstieg auch nur zu verlangsamen, müssten andere Länder folgen. Die Daten zeigen, dass Unternehmen ihre Taktik nur dann ändern, wenn sie Druck spüren: Durch Rechtsvorschriften, öffentliche Rechenschaftspflicht und verstärkte Nachfrage der Verbraucher. Der nächste Lackmustest wird 2025 kommen, wenn Unternehmen ihre derzeitigen Plastikversprechen einlösen müssen. Einige dieser Ziele sind inzwischen verbindlich – zumindest in der EU.

Julia Merk hat diese Recherche unterstützt.
Redigiert von: Sarah Steffen, Gianna Grün.
Dieses Projekt ist aus einer Kooperation zwischen mehreren Mitgliedern des European Data Journalism Network entstanden.
Die DW leitete das Projekt, Alternatives Economiques, EURACTIV, Interruptor, OBC Transeuropa, Openpolis und Pod črto waren Partnerredaktionen.
👉 Originalartikel bei DW
In Partnerschaft mit der European Data Journalism Network

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