Analyse Klimakrise

Neuer IPCC-Bericht: Europa muss sich auf eine Vielzahl von Hitzewellen, Überschwemmungen und Wassermangel vorbereiten

Im Zentrum des am 28. Februar veröffentlichten Berichts des Weltklimarates IPCC stehen die Risiken des Klimawandels und mögliche Anpassungen daran für unsere Gesellschaften. Die internationale Expertengruppe warnt, dass die Welt sich dringend umstellen muss, da der Klimawandel viele und schwerwiegende Konsequenzen haben wird.

Veröffentlicht am 21 März 2022 um 15:37

Sieben Monate nach der Veröffentlichung des ersten Teils haben die Regierungsvertreter von 195 Ländern den zweiten Teil des 6. Sachstandsberichts zum Klimawandel des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) freigegeben. In dem Bericht stellt die Arbeitsgruppe II den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand bezüglich der Klimarisiken und des Anpassungsfortschritts der Gesellschaften vor.

Aber, was genau ist eigentlich das Klimarisiko? Es besteht in der Kombination aus der „Exposition“ (z.B., wenn Menschen in einem hochwassergefährdeten Gebiet leben) und der „Verwundbarkeit“ (wenn Menschen in einem ebenerdigen Haus ohne Schutz spendende Etagen leben). Ein ebenerdiges Haus in einem solchen Gebiet zu bauen, wäre ebenfalls ein „Risiko“. Doch die Gefahren können auch subtiler sein, wie bei einem Rückgang des landwirtschaftlichen Ertrages: zum Beispiel ist eine Region steigenden Temperaturen ausgesetzt (Exposition), baut jedoch hitzeempfindliche Sorten an (Verwundbarkeit). Auch rückgängiger Fischfang aufgrund einer Abwanderung der Fische oder aber begrenzte Verfügbarkeit von Trinkwasser durch den Verfall der lokalen Infrastruktur gehören zu den Risiken.

Die Anpassung soll diese Klimarisiken begrenzen. Sie umfasst somit alle Maßnahmen zur Milderung der Klimaschäden. Strategien zur Anpassung an den Klimawandel sind zum Beispiel ein Umzug in ein nicht-hochwassergefährdetes Gebiet oder die Umstellung der Landwirtschaft auf hitzeverträgliche Sorten. Auf gesellschaftlicher Ebene können die Maßnahmen komplexer sein: die Volksvertreter können Warnsysteme einrichten oder die Infrastruktur und das Ökosystem durch Schutzvorkehrungen klimaresistenter machen. Sie können Änderungen auf wirtschaftlicher Ebene vorantreiben, ein angepasstes Wohnverhalten fördern oder klimaverträgliche öffentliche Agenden entwickeln.

Der aktuelle Stand

Auf den 36 Seiten der Zusammenfassung für politische Entscheidungsfindung wird das aktuelle Wissen über die Klimarisiken zusammengetragen. Seit dem fünften IPCC-Bericht von 2014 haben sich die Folgen des Klimawandels verstärkt und sind nun deutlich sichtbar. Zum Beispiel war im Laufe des letzten Jahres die Hälfte der Weltbevölkerung mindestens zu einem Zeitpunkt von Wasserknappheit betroffen, teilweise aufgrund des Klimawandels und extremer Wetterereignisse wie Überschwemmungen oder Dürre.

Auch die wildlebende Flora und Fauna haben die Veränderungen zu spüren bekommen: die Hälfte der untersuchten Tier- und Pflanzenarten sind bereits in Gebiete mit milderen Temperaturen migriert (höhere Breiten, tiefere Gewässer oder höhere Gebirgslagen). Die Städte verzeichnen vermehrt Hitzewellen. Damit geht eine Erhöhung der grenzwertüberschreitenden Luftverschmutzung einher, die auch der Gesundheit der Stadtbevölkerung schädigt. Die Lebensgrundlage besonders der ärmeren Menschen hat sich verschlechtert und wichtige Infrastrukturen wurden beeinträchtigt.

Die Wissenschaftler warnen, dass die Erderwärmung diese Phänomene in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. Außerdem werden einige soziale Entwicklungen zum „Klima-Fußabdruck“ der Menschen beitragen: die wachsende Weltbevölkerung, Verstädterung, erhöhter Konsum, große Ungleichheiten und anhaltende Armut. Hinzu kommen Bodendegradation, der Verfall der Biodiversität, die Verschmutzung der Ozeane und die Überfischung - die Lage verschlimmert sich.


„Dringend notwendige Anpassungen, mehr Ambition und eine raschere Umsetzung“


Kurz gesagt: der aktuelle Stand ist alarmierend. Gab es daran Zweifel? Doch selbst angesichts dieser besorgniserregenden Litanei besteht noch Hoffnung - wenn auch nur ein kleiner Schimmer, schließlich ist der Weg noch weit. Den Wissenschaftlern zufolge haben sich „die Anzahl und die Reichweite der Maßnahmen zur Verringerung der Klima-Risiken überall auf der Welt erhöht. Privatpersonen und Haushalte, der Wirtschaftssektor, sowie religiöse und soziale Gemeinschaften passen sich bereits an den Klimawandel an.“ Alexandre Magnan, Forscher am französischen Institut für nachhaltige Entwicklung und internationale Beziehungen (IDDRI) und Co-Autor des Berichts bestätigt dies: „Die gute Nachricht ist, dass wir heute immer besser wissen, wie wir den Klimawandel bekämpfen können.“

Doch Vorsicht - zwischen dem, was wir tun müssten und unserem aktuellen Engagement besteht noch ein immens großer Graben. Notwendig sind „dringende Anpassungen, mit mehr Ambition und einer rascheren Umsetzung“, und vor allem „eine unverzügliche und drastische Senkung der Treibhausgasemissionen“. Die Experten schreiben: „Mittlerweile ist klar, dass kleinere, marginale Änderungen, als Reaktion oder Zusatz, nicht reichen werden.“ Und deswegen müssen wir unsere Ökosysteme schützen.

Die Natur, ein Rettungsanker?

Eine Neuheit an diesem Bericht: es wird betont, dass ohne die Bewahrung bzw. Wiederherstellung der Umwelt unsere Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel drastisch eingeschränkt sind. Denn „das Klima, die Natur und die Menschen stehen in einem festen Verhältnis der gegenseitigen Beeinflussung und Abhängigkeit“, welches „grundlegend für das Erreichen unserer Anpassungsziele“ ist.

Der Expertenrat verweist hier auf die „natürlichen Dienstleistungen“ unserer Ökosysteme. Das Trinkwasser, die Atemluft, schattenspendende Bäume - all dies sind „kostenlose“ Wohltaten der Natur. Andere Beispiele sind weniger offensichtlich, aber ebenso wichtig: Die Mangrovenwälder, überschüssiges Wasser aufnehmende und speichernde Feuchtgebiete, sind häufig durch die rasante Urbanisierung bedroht. Menschliche Aktivitäten beeinflussen Wälder, Böden und Ozeane, die CO2 absorbieren: Wälder werden zerstört, der Boden bis in die Tiefe aufgewühlt, der Ozean aus dem Gleichgewicht gebracht - mit dem Risiko, ihre Funktion als Kohlenstoffspeicher zu schwächen.

„Wir wissen nun, dass ein gesunder Planet grundlegend ist, um den Bewohnern der Erde eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen“, bekräftigen die Forscher. Das Ziel ist klar definiert: „Damit die Resilienz der Artenvielfalt und die natürlichen Dienstleistungen der Ökosysteme auf der ganzen Welt erhalten bleiben, müssen 30 bis 50 % der Land-, Süßwasser- und Salzwassergebiete der Erde bewahrt werden.“

Die vier Hauptrisiken in Europa

Eine sehr genaue Kenntnis der lokalen Umwelt ist unerlässlich, um passende standortspezifische Lösungsansätze zu finden. Aus diesem Grund liefert der Bericht „detaillierte regionale Informationen, um eine klimaresistente Entwicklung zu ermöglichen“.

„Die Nachfrage vonseiten der Regierungen war groß“, fügt Wolfgang Cramer, Co-Autor des zweiten Teiles und Forscher am Mittelmeer-Institut für Biodiversität, Meeres- und Kontinentalökologie (französisch IMBE), hinzu. Am ersten Teil des Sachstandsberichtes hatten vom Klimawandel stark betroffene Länder kritisiert, dass nur wenige Daten die konkreten Auswirkungen auf ihre Gebiete thematisierten, erinnert sich Cramer. Nun wurden ausführliche Beschreibungen erstellt, eingeteilt in 7 Regionen: Europa, Nordamerika, Afrika, Asien, Australien, Zentral- und Südamerika und kleinere Inseln.

Welche Risiken wurden in Europa identifiziert? Die vier größten sind Hitzewellen, Verluste bei den landwirtschaftlichen Erträgen, Wasserknappheit und Überschwemmungen. Es wird vorgewarnt, dass die negativen Auswirkungen am stärksten die südlichen Regionen betreffen werden. Und wenn die Temperaturen um mehr als 3°C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau steigen, werden die Klimarisiken so gravierend sein, dass selbst ein Maximum an Anpassungsmaßnahmen nicht ausreichen wird.


Steigt die Temperatur um mehr als 3°C, wird der Wassermangel in den Städten extrem hoch


Wenn die Temperatur nicht nur um 1,5 sondern um 3°C ansteigt, verdoppelt oder verdreifacht sich das Sterblichkeitsrisiko durch Hitzewellen. Dem würden die Gesundheitssysteme nicht Stand halten. Bis zum Ende des Jahrhunderts sind deutliche Einbußen in den landwirtschaftlichen Erträgen zu erwarten. Diese werden besonders im Süden Europas spürbar sein und sich nicht mit gesteigerten Erträgen im Norden ausgleichen lassen. Während eine 2°C-Erwärmung durch Bewässerung kompensiert werden könnte, wäre dies bei einer 3°C-Erwärmung keine Option, aufgrund des Wassermangels. Die Wasserknappheit wird im ersteren Fall ca. ein Drittel der Bevölkerung Südeuropas betreffen, im letzteren sogar zwei Drittel. Bei mehr als 3°C wird das Wasser in den Städten in ganz West-, Mittel- und Südeuropa sehr knapp werden. Zu allem Übel werden sich bis zum Ende des Jahrhunderts die Schäden durch Überschwemmungen der Küstengebiete verzehnfachen, wenn hierfür keine Anpassungsmöglichkeiten gefunden werden.

Die Ergebnisse sind unmissverständlich: die derzeitige Anpassung in Europa reicht nicht aus. Gründe dafür sind begrenzte Ressourcen, mangelndes Engagement des privaten Sektors und der Bevölkerung, unzureichende Finanzierung oder auch die Untätigkeit der Politik.

Ungleichheiten und Klima(un)gerechtigkeit

Zwischen 3,3 und 3,6 Milliarden Menschen leben derzeit unter Bedingungen starker Verwundbarkeit in Bezug auf den Klimawandel, schreiben die Experten weiter. „Besonders in der Arktis, in Zentral- und Südamerika, in Afrika, Asien und auf den kleinen tropischen Inseln sind die Menschen gefährdet“, erklärt Virginie Duvat, Forscherin im Labor Littoral Environnement et Société und Co-Autorin des Berichts, gegenüber Reporterre.

Der Fall der kleinen Inseln ist beispielhaft: obwohl sie kaum zum Klimawandel beitragen, gehören sie zu den ersten Leidtragenden. Die Inselgebiete sind den klimatischen Veränderungen in besonderem Maße ausgesetzt und für ihre Versorgung und ihre wirtschaftlichen Ressourcen stark abhängig vom Ozean. Doch bis zu den Jahren 2060-2080 könnten einige Inseln komplett unbewohnbar werden, warnt Virginie Duvat.


„Jede weitere Verzögerung wirkt sich negativ auf die Zukunft aus“ 


Das Tuamotu-Archipel ist innerhalb des französischen Staatsgebiets am stärksten bedroht, meint die Spezialistin. 17.000 Menschen bewohnen die 76 Atolle in Französisch-Polynesien. Mit ihrer Höhe von 3 bis 4 Metern sind die Inseln auf mehrere Arten verwundbar: Erhöhung des Meeresspiegels, Sterben der Korallenriffe (die die Inselgruppe vor marinen Überflutungen schützen) und Wirbelstürme. In ähnlichen Situationen befinden sich karibische Inseln wie die von Guadeloupe, St. Martin und St. Barthélemy, deren Küsten ebenfalls niedrig liegen. Ab den 2040er und 2050er Jahren „werden diese Inseln keine andere Wahl haben, als ihre Aktivitäten auf die höher gelegenen Gebiete zu verlagern“, sagt Virginie Duvat. Wenn höher gelegene Teile existieren. Doch die Zeit drängt und die umfangreiche Anpassung dauert. Vorerst können temporäre Anpassungsmaßnahmen getroffen, Deiche gebaut oder künstliche Riffe geschaffen werden.

Aufgrund der steigenden städtischen Bevölkerung setzten die Klimaforscher ebenfalls auf das Potenzial der Städte, sich an den Klimawandel anzupassen. „Manche Städte werden momentan erneuert und könnten diese Aspekte bereits in die Arbeiten integrieren.“ Ökologische Wohnumgebungen, erneuerbare Energiequellen, umweltverträgliche Transportmittel, die die städtischen und ländlichen Gebiete verbinden und für mehr Inklusion und soziale Gerechtigkeit sorgen. All dies sind Investitionen, die die Städte zukünftig mit in ihr Budget aufnehmen sollten.

Ein neues Entwicklungsmodell: das Ziel der Klimaresilienz

Die gesellschaftlichen Entscheidungen und Handlungen in den nächsten 10 Jahren werden die zukünftige Resilienz gegenüber dem Klimawandel bestimmen, sagen die Experten. Abschließend fordern sie die internationale Gemeinschaft dazu auf, eine wirkliche Umstellung der Gesellschaft in Gang zu bringen. „Zahlreiche Initiativen setzen eine schnelle und kurzfristige Eindämmung der Klimarisiken an oberste Stelle, was jedoch die Möglichkeiten der langfristigen Umstellung und Anpassung verringert“, beklagen sie.

Trotzdem „müssen wir die Basis unserer Entscheidungen ändern. Die Klimaziele der Verringerung der Treibhausgasemissionen und die Reduzierung der Angriffe auf die Artenvielfalt (durch deren Schutz oder Wiederherstellung) müssen im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen, um schlussendlich auch das Wohlergehen und die Gesundheit der Menschen zu sichern, Armut und Hunger zu verringern“, erklärt Nathalie Hilmi vom Wissenschaftlichen Zentrum Monaco, ebenfalls Co-Autorin des Berichts, im Interview mit Reporterre. Die Expertin besteht darauf, dass dieses Projekt von allen mitgetragen werden müsse: „von der Politik, der Zivilgesellschaft und der Finanzwelt“. Es sei nicht zu vergessen, dass „ein weltweites Problem nicht ohne internationale Zusammenarbeit gelöst werden kann.“

Doch der potentiellen Klimaresilienz sind die Hände gebunden, wenn sich die Treibhausgasemissionen nicht ernsthaft reduzieren. Das Zeitfenster ist begrenzt: die Erderwärmung kann nicht mehr gestoppt werden, es bleibt nur noch, sie so weit wie möglich einzudämmen und uns anzupassen. „Der neue Sachstandsbericht zeigt, dass eine Anpassung möglich ist, solange die Erwärmung unter 2°C bleibt. Und jede weitere Verzögerung der Milderung des Klimawandels verengt unsere Anpassungsmöglichkeiten und schadet unserer Zukunft“, resümiert Nathalie Hilmi.

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