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Wie die fossile Brennstoffindustrie unser Wohlwollen erkauft

Vom Sport über die akademische Welt bis hin zur Kunst: Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe geben Geld für Dinge aus, die den Menschen wichtig sind, um nicht für die Erderwärmung verantwortlich gemacht zu werden.

Veröffentlicht am 5 Januar 2023 um 14:30
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Von der Fußball-Weltmeisterschaft über große Universitäten, Fußballtraining für Kinder und Musikfestivals bis hin zu Kunstausstelungen – fast alles wird von Unternehmen für fossile Brennstoffe gesponsert: TotalEnergies gehört zu den Sponsoren der Rugby-Weltmeisterschaft 2023 in Frankreich, Aramco hat eine Partnerschaft zum Erhalt bedrohter Vogelarten mit dem spanischen Naturreservat Laguna de El Hito, Chevron hat eine Partnerschaft mit einem sozialen Projekt für „Community Inclusion" in Brasilien geschlossen und BP spendet seit 1996 regelmäßig an das British Museum in London.

Sogar bei den großen internationalen Klimakonferenzen ist Big Oil als Sponsor vertreten. Hassan Allam, ein ägyptisches Privatunternehmen mit dem Ziel, „das Land in ein regionales Drehkreuz für Erdgas zu verwandeln", war 2022 einer der Sponsoren der jährlichen UN-Klimakonferenz COP27 in Sharm El Sheikh, Ägypten.

Seit Jahrzehnten poliert die Industrie für fossile Brennstoffe ihr öffentliches Image mithilfe von gemeinhin positiv assoziierten Spenden und Sponsoring auf. Angesichts des wachsenden Drucks auf die Industrie, aus der schmutzigen Energie auszusteigen und Verantwortung für die Klimakrise zu übernehmen, könnte dies die beste Marketing-Strategie aller Zeiten sein.

„Das Bewusstsein für die Schädlichkeit von Produkten aus fossilen Brennstoffen nimmt zu, und deshalb müssen [die Unternehmen] die soziale Lizenz zum Handeln aufrechterhalten", sagt der italienische Sozialwissenschaftler Marco Grasso. Grasso ist kürzlich von seinem Posten als Leiter der Forschungseinheit „Anthropocene" an der Università degli Studi Milano-Bicocca in Mailand zurückgetreten, weil die Universität ein gemeinsames Forschungsabkommen mit Eni – einem der größten und umsatzstärksten Öl- und Gasunternehmen der Welt – geschlossen hat. 

Solche Sponsorships „sind der Versuch der Unternehmen, sich die soziale Legitimität zu erkaufen und neu zu verhandeln, die sie brauchen, um weiterhin mit einem gefährlichen Produkt zu operieren", meint Grasso. Die Unternehmen würden so „mit etwas, das gesellschaftlich geschätzt wird, aber überhaupt nichts mit den schlechten fossilen Brennstoffen zu tun hat, ihr Gewissen reinwaschen."

Die Künstlerin, Aktivistin und Autorin Mel Evans schreibt in ihrem 2015 erschienenen Buch ArtWash: Big Oil and the Arts, die Konzerne wüssten, dass „sie immer noch Sponsoren brauchen, um diese soziale Legitimität in der Öffentlichkeit zu erhalten". Und: „Diese Unternehmen sind verzweifelt, weil sie nicht so zur Rechenschaft gezogen werden wollen, wie sie es als Verursacher des Klimachaos’ eigentlich verdient haben."


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Evans vermutet, diese gesellschaftlich inakzeptablen Investoren füllen mit ihren Sponsorships die große Lücke, die entstanden ist, als die Tabakkonzerne für ihren jahrzehntelangen Betrug zur Rechenschaft gezogen wurden. „Ein kulturelles Artefakt, das einst ein Hintergrundgeräusch war, wurde im Laufe einer zwanzigjährigen Periode intensiver Debatten und Kritik zu einem lauten Anathema", schreibt sie in ArtWash.

Andrew Simms, gehört zu den Mitbegründern des New Weather Institute und sagt, Sponsoring sei eine besonders wirksame Marketingmaßnahme, weil sie „unter dem Radar liegt und unter die Haut" geht und damit heimtückischer ist als normale Werbung. „Es herrscht eine Atmosphäre des Wohlwollens", so Simms. „Wenn man einen Sponsoringvertrag sieht, geht man davon aus, dass die [Organisation], mit der man sich identifiziert, auch davon profitiert und positiv gegenüber dem Unternehmen eingestellt ist.”

Kunst und Kultur als Mittel zum Zweck

In den Niederlanden geht Shell kulturelle Partnerschaften ein, wenn die „Gas- und Ölindustrie ein Interesse daran hat, Menschen einzustellen oder sie zu beruhigen", wenn es Proteste oder Gegenreaktionen auf Projekte für fossile Brennstoffe gibt, so Femke Sleegers, Koordinatorin von Reclame Fossielvrij, einer weltweiten Kampagne für ein Werbeverbot für fossile Brennstoffe.

Die PR-Agentur Edelman hat Shell und anderen Unternehmen für fossile Brennstoffe geraten, mit dem zu arbeiten, was als gesellschaftlich wertvoll gilt, so Sleegers weiter. In den Niederlanden, wo Shell Museen und Festivals für Kinder gesponsert hat, gehören dazu auch die Bereiche Kunst und Bildung.

2021 ergab eine niederländische Studie, dass Öl- und Gasunternehmen Museums-Sponsorships dafür nutzen, „eine bestimmte Art von 'Energiekompetenz' zu fördern... ein Narrativ, das der Agenda des Gas- und Ölsektors förderlich ist".

Durch „recht begrenzte Investitionen" gewännen sie Einfluss im kulturellen Bereich – dieser wird „von der Öffentlichkeit im Allgemeinen als zuverlässig und unabhängig wahrgenommen".


Die PR-Agentur Edelman hat Shell und anderen Unternehmen für fossile Brennstoffe geraten, mit dem zu arbeiten, was als gesellschaftlich wertvoll gilt


Sleegers sagt, die Sponsorships hätten außerdem einen „Halo-Effekt", weil sie die Unternehmen als „Beschützer" von etwas für die Niederländer sehr Wertvollem erscheinen lassen. Die Unternehmen würden sich „an die nationale Identität klammern" und „als integraler Bestandteil [der niederländischen] Geschichte präsentieren".

In Italien hat Eni 2022 das landesweite italienische Musikfestival Sanremo gesponsert, das jeden Februar von Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgt wird. Das Unternehmen arbeitet außerdem mit 10 Universitäten, Forschungszentren und akademischen Einrichtungen im ganzen Land zusammen. Laut Grasso haben solche Sponsorships in Italien großen Einfluss und werden kaum kontrovers aufgenommen.

Eine solche Zusammenarbeit mit akademischen Einrichtungen, Bildungsinitiativen und Schulen „verstärkt die Vorstellung, …

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