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Zanyars Traum von einem Leben jenseits seiner Heimatstadt Zurkan in der Nähe von Ranya im Irak kostete seine Familie 11.000 €, das Land seines Vaters und schließlich sein Leben.
Nach Angaben einer lokalen Migrierendenvereinigung beschlossen allein zwischen 2020 und 2021 mehr als 56.000 Menschen aus der irakischen Region Kurdistan, wegen der geopolitischen Instabilität und mangelnder Chancen auszuwandern – der 20-jährige Zanyar war einer von ihnen.
„Zanyar hat die Schule abgebrochen“, erzählt Mustafa Mina Nabi, Zanyars Vater, während er sich um die Rosen im Garten vor seinem zementierten Haus in Zurkan kümmert. „Er sagte, dass andere, die ihren Abschluss gemacht hatten, auch keine Arbeit finden konnten. Und wie sollte er ohne Arbeit sesshaft werden, heiraten und eine Familie gründen?“
Zanyar wollte das Vereinigte Königreich erreichen und sich als Barbier niederlassen. Doch sein Traum endete im kalten Ärmelkanal, an einem stürmischen Tag Ende November 2021.
Zanyar gehörte zu den zwei Dutzend Menschen, die im Vereinigten Königreich Zuflucht suchten und an Unterkühlung starben, als ihr kleines Boot bei dem Versuch, von Nordfrankreich nach Südengland zu gelangen, sank. Europa und das Vereinigte Königreich über die irreguläre Route zu erreichen, ist nicht nur schwierig und gefährlich, sondern auch extrem teuer.
Da es keine legalen Migrationsrouten gibt, entstanden Geschäftsmöglichkeiten für kriminelle Netzwerke. Außerdem hat dies die Rolle eines informellen Bankensystems gestärkt, das über Hawala funktioniert – ein auf zwischenmenschlichem Vertrauen basierendes, jahrtausendealtes traditionelles Geldtransfersystem.
Diese gemeinsame Untersuchung eines sechsköpfigen Journalist*innenteams aus dem Jahr 2022 zeigt auf, wie die Verschärfung der Migrationspolitik dazu geführt hat, dass Migrierende skrupellosen Menschenschmugglern zum Opfer fallen. Sie vertrauen auf Hawala als einzige Möglichkeit, das Risiko, betrogen zu werden, zu verringern.
Hawala: ein auf Vertrauen basierendes System
An einem kalten Morgen Ende November 2022 laufen auf dem Geldwechselmarkt von Erbil, dem so genannten „US-Dollar-Basar“ in der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans,Verkäufer mit Banknotenblöcken in der Größe eines altmodischen Fernsehers herum.
Männer rufen große Geldsummen – US-Dollar, irakische Dinar, syrische Pfund –, die sie dem Meistbietenden zum Tausch anbieten. Ständig wechselt das Geld von einer Hand in die andere.
In den Straßen, in Korridoren und Kellern des Basars befinden sich Dutzende von Geldanweisungsbüros. Einige arbeiten mit dem Iran zusammen, während andere Geld nur nach Deutschland und Frankreich schicken. Einige haben Partner in ganz Europa, andere behaupten wiederum, sie könnten Geld in jedes Land der Welt schicken. Anstelle der üblichen internationalen Bankkanäle nutzen viele jedoch das Hawala-System.…