Ford Geländewagen am Dearborn-Montagewerk in Michigan, USA, 2006 (AFP)

Homo Oeconomicus fährt gegen die Wand

Der Kopenhagener Klimagipfel droht zu Scheitern. Es sieht ganz so aus, als erziele man in Sachen Klimawandel keinerlei Fortschritte. Schuld daran ist die Unfähigkeit sich eine Menschheit vorzustellen, die nicht länger leben kann, ohne sich einzuschränken. Der britische Umweltschützer George Monbiot richtet einen leidenschaftlichen Appell an seine Leser.

Veröffentlicht am 17 Dezember 2009 um 15:42
Ford Geländewagen am Dearborn-Montagewerk in Michigan, USA, 2006 (AFP)

Der Zeitpunkt ist gekommen, uns ins Angesicht zu sehen. In den Plastikfluren und an den überfüllten Ständen entscheidet die Menschheit inmitten von undurchdringbaren Texten und vertrocknenden Prozeduren darüber, was sie ist und was sie in Zukunft sein wird. Sie hat zwei Möglichkeiten: Entweder entscheidet sie so weiterzuleben wie sie das bisher getan hat, bis sie aus ihrem Zuhause eine Wüste gemacht hat. Oder sie hört genau damit auf und definiert sich neu. Es geht um viel mehr als nur Klimawandel. Es geht um uns.

Das Treffen in Kopenhagen zwingt uns, unserer Urtragödie ins Auge zu sehen. Wir alle stammen vom Affen ab und sind mit scharfsinnigem Einfallsreichtum sowie der nötigen Aggressivität ausgestattet, so dass wir Beutetiere erlegen können, die viel grösser sind als wie selbst. Wir sind fähig neue Gebiete zu erschließen und deren natürliche Grenzen lauthals zu missachten. Auf der anderen Seite knüpft der Gipfel aber an einer wichtigen Erkenntnis an: Das heldenhafte Zeitalter ist vorbei. Wir befinden uns nun im Anpassungszeitalter. Wir können nicht weiterhin ohne jegliche Einschränkung leben. Bei allem was wir tun müssen wir nun auch das Leben anderer berücksichtigen. Vorsichtig, zwingend und akribisch. Wir können nicht weiterhin nur in der Gegenwart leben, so als gäbe es kein Morgen.

Grenzlinien verlaufen nicht mehr zwischen Konservativen und Liberalen

Man trifft sich in Kopenhagen nicht nur wegen der die Atmosphäre zerstörenden Treibhausgase. Hier wird eine Schlacht zwischen zwei verschiedenen Weltanschauungen ausgetragen. Die wütenden Menschen, die nur eines im Kopf haben – dieses Abkommen und alle Einschränkungen der Selbstverwirklichung zu verhindern –, haben dies besser verstanden als wir selbst. Eine neue Bewegung, die vor allem in Nordamerika und Australien verbreitet zu sein scheint, sich nun aber überall zeigt, fordert vor allem eines: Die Leben anderer niederzutrampeln, so als wäre dies ein Menschenrecht. Man will sich nicht von Steuern, Waffengesetzen, Regelungen und behördlichen Sicherheitsbestimmungen einschränken lassen. Und schon gar nicht von Umweltschutzbestimmungen. Man weiß, dass sich der universelle Menschenaffe mit fossilen Brennstoffen aus der Altsteinzeit katapultiert hat um seine paläolithischen Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Für einen Moment, einen wunderbaren Grenzmoment durften wir in glückseliger Unbekümmertheit leben.

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Die Menschheit ist nicht länger in Konservative und Liberale, Reaktionäre und Fortschrittliche gespalten. Heutzutage verlaufen die Schlachtlinien zwischen denjenigen, die expandieren, und denjenigen, die sich zurückhalten. Zwischen denjenigen die der Meinung sind, es dürfe keine Einschränkungen geben, und denjenigen die glauben, dass wir innerhalb verschiedener Grenzen leben sollten. Die teuflische Schlacht, die sich Grüne und Klimawandelleugner bisher lieferten, hat gerade erst begonnen. Und dieser Krieg wird noch grässlicher werden, je mehr Menschen die Grenzen des Anstands überschreiten.

Zauberformel Wirtschaftswachstum verhindert das Umdenken

Und obwohl die Verhandlungsführer sich des Ausmaßes ihrer Verantwortung immer bewusster werden, glaube ich immer noch, dass sie uns verraten werden. Jeder einzelne will sein letztes Abenteuer. Kaum ein Vertreter der offiziellen Parteien schafft es zu akzeptieren, dass wir nur mit den Mitteln leben, die wir zur Verfügung haben. Dass wir nur weiterleben können, wenn wir dabei immer auch an das Morgen denken. Immer wird es eine andere Grenze geben, immer andere Möglichkeiten, mithilfe derer wir den Einschränkungen entkommen können, sagen sie sich. Wirtschaftswachstum heißt das Zauberwort. Er erlaubt es uns, unsere Probleme ungelöst zu lassen. Wenn die Wirtschaft Wachstum verzeichnet, dann wird soziale Ungerechtigkeit gegenstandslos, sagen sie. So als ob man das Leben aller verbessern könnte, ohne dabei umverteilen zu müssen. Solange es Wirtschaftswachstum gibt können wir uns weiterhin einfach von allen Schwierigkeiten freikaufen.

Knackpunkt Versorgung: Die falschen Fragen

Die Verhandlungsführer in der Plastikstadt nehmen den Klimawandel immer noch nicht ernst. Hier finden wir ein weiteres Tabu: Die Versorgung. Die Mehrheit der sich in Kopenhagen streitenden Nationalstaaten verfolgt in Sachen fossile Brennstoffe zwei verschiedene Politikansätze. Die einen wollen die Nachfrage reduzieren, indem sie uns dazu ermutigen, weniger zu verbrauchen. Die anderen wollen die Versorgung erhöhen, indem sie den Unternehmen raten, so viele Brennstoffe aus den Böden zu fördern wie sie nur können.

Dank der in Nature im April veröffentlichten Artikel wissen wir, dass wir maximal 60 Prozent unserer gegenwärtigen Kohle-, Öl- und Gasvorkommen nutzen können, wenn die weltweite Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius ansteigen soll. Und wir können noch viel weniger nutzen, wenn wir – wie viele ärmere Länder fordern – einen Temperaturanstieg um 1,5 Grad verhindern wollen. Wir wissen dass sich durch die Gewinnung und die Lagerung nur ein kleiner Teil der Kohle in diesen Brennstoffen verwenden lässt. Offensichtlich gibt es also zwei mögliche Schlussfolgerungen: Die Regierungen müssen einerseits entscheiden, welche existierenden fossilen Brennstoffvorkommen in den Böden gelassen werden müssen. Andererseits müssen sie sich auf ein weltweites Moratorium zur Erkundung neuer Vorkommen einigen. Jedoch wird man nicht einmal einen der beiden Vorschläge diskutieren.

UMFRAGE

Mitteleuropa hat keine Angst vor der Erwärmung

Mit Ausnahme der Ungarn interessiert man sich in Mitteleuropa nicht wirklich für den Klimawandel, berichtet die tschechische Wochenzeitschrift Respekt. Laut einer kürzlich durchgeführten Eurobarometer-Umfrage "denken nur 30 Prozent der Polen, dass das Klima zu einem Problem werden könnte. Die Slowaken haben ein bisschen mehr Angst (41 Prozent). Grund dafür ist sicherlich, dass sie nicht von [einem so klimaskeptischen tschechischen Präsidenten wie] Václav Klaus regiert werden. Zudem leben sie genau neben den Ungarn, die immer mehr unter einer Dürreperiode leiden, welche ihre Herbsternten verschlechtert". In Ungarn haben 52 Prozent Angst vor dem Klimawandel, d. h. mehr als der europäische Durchschnitt (47 Prozent).

In Osteuropa ist es viel mehr die Wirtschaftslage, welche die Menschen beschäftigt. 68 Prozent der Litauer und 71 Prozent der Bulgaren fürchten sich vor "einer bedeutenden Rezession weltweit". Und auch wenn laut Respekt die wirtschaftliche Situation gar nicht so schlecht ist, machen sich dennoch 63 Prozent der Tschechen mehr Sorgen um ihr Geld als um das Klima. "Die Ungarn, die eigentlich aus mehreren Gründen Angst haben müssten, sind optimistischer als die Tschechen (48 Prozent machen sich Sorgen). Den Slowaken geht es ganz ähnlich (47 Prozent) und den Polen ist die weltweite Krise eigentlich egal (nur 25 Prozent befürchten eine Rezession)."

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