Wäre auch ohne EU ein Wirtschaftsraum. Die Donau bei Ritopek (Serbien). Lošmi

Im Osten bewegt sich was

Zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kümmert sich Europa mehr um seinen Osten als um seinen Süden. Das Baltikum, die Donau und sogar das Schwarze Meer erweisen sich als interessante Makroregionen, welche für die Europäische Union Vorrang haben. Unterdessen wird das Mittelmeer zum Opfer seiner tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Ländern auf beiden Uferseiten und spielt nur noch eine zweitrangige Rolle.

Veröffentlicht am 23 Oktober 2009 um 14:21
Wäre auch ohne EU ein Wirtschaftsraum. Die Donau bei Ritopek (Serbien). Lošmi

Der EU-Kommissar für Regionalpolitik, Pawel Samecki, könnte es nicht klarer ausdrücken: "Wir müssen die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn vorantreiben weil diese für Wachstum und Stabilität lebenswichtig ist. Und unser wichtigster Nachbar ist Russland". Um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen, reichen zwei Zahlen aus: 40 % der von Europa importierten Energie stammen aus Russland und 51 % der russischen Importe kommen aus der EU.

Angesichts der durch die Globalisierung gestellten Herausforderungen plant die EU schon seit einigen Jahren die Entwicklung von wettbewerbsfähigen Regionen. Momentan heben sich zwei von allen anderen ab: Das Baltikum und die Donau. Und auch wenn jede ihre eigene Strategie verfolgt, so ruht der Blick beider auf Russland. Es handelt sich hierbei um das neue Konzept der Makroregionen, denen man es zutraut, dass sie die bevorstehenden Herausforderungen meistern werden. Zudem erinnert dies an das Europa des fünfzehnten Jahrhunderts, einer Zeit vor der Souveränität der Nationalstaaten. "Die Regionen", erklärt der ehemalige Generalsekretär des Europarates, Daniel Tarschys, "verbinden zweierlei Elemente auf interessante Art: Sie sind zwar kleiner als ein Staat, können aber gleichzeitig auch größer als ein Staat sein".

Für Danuta Hübner, die ehemalige EU-Kommissarin für Regionalpolitik, "kann man" den Prozess der regionalen Konzentration "nicht bremsen". "Möglich ist es, diesen geordnet ablaufen zu lassen, aber das ist auch schon alles. Die regionale Zusammenarbeit wird sich weiterhin entwickeln und immer komplexer werden", erklärt sie. "Daher schaffen wir ein neues Territorium, welches, auch wenn es nicht danach aussieht, die EU nicht zerstückeln, sondern seinen Zusammenhalt stärken wird."

Mehr Zusammenarbeit zwischen Ost und West als Süd und Nord

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Energie und Handel sind die zwei Motoren der neuen Makroregionen. Das Baltikum, welches sich während der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft beispielsweise mehr Anerkennung verschaffen will, ist gerade dabei, seine Weichen zu stellen, indem es enge Beziehungen mit der russischen Region um Murmansk aufbaut. Dadurch wird die Nutzung der Handelswege der Barentssee ermöglicht, deren Eis aufgrund der Klimaerwärmung jedes Jahr mehr schmilzt.

Kari Aalto, der Präsident des Regionalkomitees der Barentssee, ist davon überzeugt, dass "die Zusammenarbeit zwischen Ost- und Westeuropa viel wichtiger ist als zwischen Nord- und Südeuropa. Sowohl aus historischen Gründen, als auch aus gegenseitigem Interesse". Der Präsident der Region Murmansk, Evgeni Nikora, ist sich sicher, dass die Zukunft der Hafenstadt von den Beziehungen mit dem Baltikum und dem Nordpazifik abhängig ist. "Wir möchten das Eisenbahnnetz mit dem Baltikum ausbauen, um den Hafen von Murmansk zu versorgen", kündigt er an. Er ist der Meinung, dass das Eis schon kein Hindernis für die Schifffahrt mehr ist. "Wenn es Eisfelder geben sollte, dann bedeutet das einzig und allein, dass die Frachtkosten sich erhöhen." Bisher wurden auf den einzigen Handelslinien zwischen Murmansk und Norwegen nur Container transportiert. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit bis dort auch Tankerschiffe navigieren werden. Dann eröffnet sich für die sibirischen Erd- und Mineralöle eine neue Tür zu Europa.

Mächtige Interessengruppen

Hingegen ist das Öl aus dem Kaukasus einer der wichtigsten Trümpfe der Makroregion des Schwarzen Meeres. Seit mindestens zwei Jahren entwickelt sich diese. Verschiedene Interessengruppen aus Mitteleuropa, die von Deutschland unterstützt werden, helfen hierbei und erweisen sich als einflussreichere Partner als die Mittelmeerbewohner.

Warum es die Makroregion Donau gibt, die vor allem von Baden-Württemberg unterstützt wird, hat nicht nur historische und kulturelle, sondern auch kommerzielle Gründe. Der größte europäische Strom wird auch in Zukunft immer wichtiger werden. "Für uns ist das grundlegend", gibt der Bürgermeister Budapests, Gabor Demszky, zu. "Man hätte diesen Naturraum auch organisiert, wenn es die EU nicht geben würde. Erinnern wir uns nur einmal daran, dass es die Europäische Union war, die Ungarn dazu gezwungen hat, sich in künstliche Regionen aufzuteilen, um Wirtschaftshilfen zu beantragen."

Flügellahme Mittelmeerunion

Aufgrund der großen und vielfältigen Unterschiede zwischen beiden Ufern verblasst der natürliche, historische und kulturelle Raum des Mittelmeeres immer mehr. Dass die Energieinteressen der Staaten hier Vorrang haben, verschlimmert die Situation. „Bisher hat die Zusammenarbeit noch keinerlei Früchte getragen“, gibt ein französischer Diplomat zu, der es vorzieht, anonym zu bleiben, weil man es ihm nicht erlaubt, Erklärungen abzugeben. Für ihn ist die "von Nicolas Sarkozy vor zwei Jahren gegründete Union für das Mittelmeer (französisch: Union pour la Méditerranée) noch immer nichts anderes als ein politisches Schaufenster".

Wenn Spanien im Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, dann wird sie diese Union auch fördern. Jedoch ist nichts geplant, was wie eine Makroregion um denromanischen Mittelmeerbogen aussieht und sich von Sizilien bis zum Alboran-Meer erstreckt. Dieser sollte die Euroregionen Mittelmeer-Pyrenäen und Mittelmeer-Alpen miteinander verbinden und einen Bogen zwischen Genua und Tarragona ziehen, der die Balearen und Städte wie Barcelona, Lyon, Marseille Turin und Mailand miteinschließt. Zu den historischen und kulturellen Banden, welche diese im Werden befindlichen Gebiete vereinen, kommen die Handelsinteressen hinzu, die an diese große Pforte Europas nach Süden gebunden sind.

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