Irland grummelt Ja

Am Donnerstag stimmten die irischen Wähler zu 60 Prozent für den EU-Fiskalpakt. Doch das war kein Akt der lautstarken Befürwortung der EU, sondern vielmehr ein Akt der Verzweiflung, wie im Leitartikel des Irish Independent zu lesen ist.

Veröffentlicht am 4 Juni 2012

Unsere Gebieter in Europa und unsere Behörden in Dublin täten gut daran, nicht zu viele Rückschlüsse aus dem angstvollen Zustimmungsakt vom Freitag zu ziehen. Das missmutige Ja, das sich dieses Referendum bei einer widerwilligen Bürgerschaft sicherte, war bei weitem kein Treuebekenntnis für Europa – und für unsere Regierung auch nicht –, sondern ein Akt der Verzweiflung.

Am Freitag gaben die Wähler schleppenden Schritts ihre „förmliche Zustimmung“ zur Ratifizierung des Fiskalpakts. Nur wenige werden jedoch sagen, dass dieser unter Androhung von „sofortigen und furchtbaren“ Sparmaßnahmen auf den Teppich gebrachte Vertrag mit „voller Zustimmung“ gebilligt wurde.

Rückblickend zeugte es von zu viel Idealismus, von der Möglichkeit zu träumen, wir könnten vielleicht die kleine Maus sein, die mit großem Gebrüll die gescheiterte Sparpolitik anprangert. Die Insider an den Anleihenmärkten hatten bereits darauf gesetzt, dass Irland, der verlässliche Schoßhund der EU, der immer zu einem beruhigenden Lächeln oder einer witzigen Bemerkung über Feta-Käse bereit ist, alle Erwartungen erfüllen würde – und dieses Casino verliert nie.

Trotz all unserer Selbsttäuschung, wie seien ein rebellisches Volk: Wenn es zum Kampf zwischen Herz und Kopf kommt, dann ist unsere Fähigkeit, an unserem kollektiven Daumen zu lutschen und nach dem Kopf zu handeln, eines unserer Wesensmerkmale. Das inspirierte schon 1913 den irischen Nationaldichter W.B. Yeats zu dem verzweifelten Aufschrei: „Das romantische Irland ist tot und vergangen“.

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In anderen, konservativeren Zeiten, war eine der Besonderheiten des irischen Lebens das „bedauernswerte“ Mädchen, dass sich aus übermäßiger Leidenschaft in andere Umstände brachte, eine geheimnisvolle Zeit lang verschwand und dann zu einem Leben der schneidenden Blicke und der spähenden Fenster zurückkehrte. Natürlich achtete dabei niemand auch nur im Geringsten auf den Ursprung besagter Umstände, der jeden Sonntag im schlichten Anzug vorne in der Kirche saß.

Nach unseren eigenen „Umständen“ gehört Irland vorläufig wieder zum trostlosen Kern einer Europäischen Union, die zu vergessen haben scheint, dass der vorsichtige preußische Banker im Serge-Anzug keine geringe Rolle in Irlands finanzieller „Sünde“ spielte.

Leider bestätigte die Wahl vom Freitag nur, trotz Frau Merkels herablassendem „Respekt“ und ihrer „Anerkennung“, dass vielleicht nicht das „romantische Irland“, dafür aber ganz klar das unabhängige Irland definitiv „tot und vergangen“ ist. Ein politischer Bestatter namens Taoiseach Enda Kenny scheint nun an seinem Grabstein zu stehen, mit der Schaufel in der Hand, damit sich ja niemand von unserem neuen Nationalethos, einem Leben des „Betens und Sparens“, wieder zurückzieht.

Die Regierung ist bei diesem gefährlichen Gewinnspiel relativ ungeschoren davongekommen. Die Zukunft wird jedoch nicht einfach sein. Im unmittelbaren Nachspiel seines Wahltriumphs bemerkte Kenny bekanntermaßen, eines unserer Wesensmerkmale sei, dass „der Paddy [= ugs. Bezeichnung der Iren] gerne die Story kennt“.

Die „Story“, die diese Regierung einem unsicheren „Paddy“ letzte Woche verkaufte, war, dass ein Ja „Investitionen, Stabilität, Erholung“ und ein „funktionierendes Irland“ einbringen würde. Doch der „Paddy“ hat Enda Kennys Story diesmal eher toleriert als wirklich geglaubt. Nun müssen Kenny und Europa die Versprechungen auch halten, sonst ist der „Paddy“ beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr so zugänglich.

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