Zwei Mitglieder von „Hier und dort“ in Sofia.

Jung, begabt, fährt nach Hause

Die Abwanderung der jungen Hochqualifizierten, der Braindrain, bereitet Bulgarien Sorgen. Doch nicht alle, die abwandern, tun dies für immer. Manche kommen nach abgeschlossenem Auslandstudium zurück, und einige haben jetzt einen Verein gegründet und suchen Anschluss an die Gesellschaft.

Veröffentlicht am 3 März 2011 um 16:26
Tuk-Tam  | Zwei Mitglieder von „Hier und dort“ in Sofia.

„Ein guter Film, mehr nicht.“ So sprechen die jungen Leute des Vereins Hier und dort Tuk-Tam auf Bulgarisch über den bulgarischen Blockbuster „Die Auswanderer“ (von 2002), der die Geschichte dreier Freunde erzählt, die nur von einem träumen: Nichts wie weg aus Bulgarien. Die Leute des Vereins teilen die Gefühle der Hauptfiguren nicht. Sie haben weder dieselben Ziele noch dieselben Träume.

Jede aktuelle Ankündigung, dass das Land Fachkräfte aus diesem oder jenem Land herholen muss, ist Wasser auf ihren Mühlen. „Hier und dort“ ist eine Vereinigung junger Bulgaren, die im Ausland studiert haben oder noch studieren. Es sind junge Menschen, die nicht wissen, ob sie bleiben, gehen oder einfach für immer ins Ausland gehen sollen. Am 3. März, dem bulgarischen Nationalfeiertag, feiert der Verein sein dreijähriges Bestehen. „Das sieht zwar patriotisch aus, ist aber nur ein Zufall“ erklärt Vania Ivanova, 27.

„Wir haben Energie, Bildung und vor allem den Willen, Bulgarien zu nutzen“

Alles begann mit ein paar informellen Treffen, erinnert sich die junge Frau. „Wenn du von einem langen Auslandsaufenthalt zurückkommst, hast du daheim oft keinen Freundeskreis mehr. Kaum hatte ich mein Abi, war ich auch schon weg. Ich erinnere mich noch an die soziale Wüste, die ich bei meiner Rückkehr aus London antraf: der Freitagabend kommt, und du weißt nicht mit wem du einen trinken gehen kannst!“, erinnert sich Vania weiter. Es war zu jener Zeit, dass sie zwei ehemalige Kommilitoninnen aus ihrer Zeit am American College in Blagoewgrad im Westen des Landes wiederfand, Mariela und Deni. Die beiden befanden sich in derselben Lage. Heute kommen rund hundert Personen zu ihren Treffen, und ihre Facebook-Gruppe zählt 1500 „Freunde“.

Allen Unkenrufen über den Braindrain Bulgariens zum Trotz, sind diese jungen gut ausgebildeten Menschen fest entschlossen, im Land zu bleiben. Und immer mehr sehen es ähnlich. „Wir haben Energie, Bildung und vor allem den Willen, etwas zu erreichen und Bulgarien zu nutzen“, meint Vania. Ihre Gruppe hat mehrere Bildungs- und Fortbildungsinitiativen in Leben gerufen: „Zusammen“, „Warum zurückkommen?“, „Auslandsstudium“... Ihr Forum vom vergangenen Dezember hieß „Karriere in Bulgarien. Warum nicht?“ und versammelte das bis heute zahlreichste Publikum. Der amerikanische Botschafter James Warlick und die bulgarische EU-Kommissarin für internationale Zusammenarbeit Kristalina Georgieva machten einen Abstecher.

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Treffen zum Thema „Kulturschock Rückkehr“

„Hier und dort“-Mitglied Diana, ehemalige Studentin des Trinity College, betreut die sozialen Werke der Gruppe — simple, aber oftmals sehr nützliche Initiativen wie Altkleidersammlungen. „Im vergangenen Sommer haben wir Müll in den Grünanlagen verschiedener Wohnblocks gesammelt. Die Leute trauten ihren Augen nicht, denn wir wohnten da ja nicht einmal! Manche haben sich bei uns bedankt. Eine alte Dame hat sogar mit angepackt. Das ist auch der Sinn unserer Aktionen: Wir wollen die Leute zum Umdenken bewegen.“

Sehr häufig organisiert „Hier und dort“ Treffen zum Thema „Kulturschock Rückkehr“. Die Geschichten, die man dort zu hören bekommt, wären die perfekte Vorlage für einen Film über die Emigration. Die meisten der Rückkehrer haben die Sitten ihrer Gastländer angenommen, so wie Diana, die die Höflichkeit der Amerikaner „gut findet“, auch wenn sie meistens nur Fassade sei. „Ich vermisse das hier in Bulgarien“, sagt sie. „Hier sagt niemand „Guten Tag“ oder „Auf Wiedersehen“. Ganz zu schweigen, dass niemand lächelt. Für mich ist es Ehrensache, jeden freundlich zu grüßen, selbst den Busfahrer. Manche halten mich für durchgeknallt“, erzählt sie. Doch auch in Amerika sei nicht alles rosig.

Das Leben in Bulgarien ist interessanter

Jenny traf der Kulturschock in Belgien, wo sie studierte. Irgendjemand hat ihr Auto in der Straße, in der sie wohnte, verwüstet. „Ich hab den Krach gehört und bin raus, doch sie waren schon getürmt“, berichtet sie. „Mein Nachbar kam auch wütend heraus und schrie: „Ich hab’ sie gesehen. Das waren bestimmt Bulgaren oder Rumänen!“

Die meisten ihrer Kollegen von „Hier und dort“ sind überzeugt, dass die im Ausland studierenden Bulgaren immer häufiger in die Heimat zurückkehren werden. Und zwar nicht aufgrund von Heimweh. Sie finden das Leben in Bulgarien schlicht spannender. Es gibt Unternehmergeist, Neugier und Freizeit, die man nutzen will, um die Mentalitäten zu ändern. „Die Welt globalisiert sich, die Grenzen verschwinden und wir sind mobiler. Die Rückkehr hat auch nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher. Ich kann heute in Bulgarien sein und morgen wieder für eine Weile ins Ausland arbeiten gehen. Die dramatischen und definitiven Entscheidungen gehörten zur vorherigen Generation“, sagen die jungen Leute von „Hier und dort“. (js)

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