Karlsruhe geht auf Nummer sicher

Das Urteil kam ohne Überraschung: Deutschlands Verfassungsrichter winken den Europäischen Stablilitätsmechanismus ESM durch, und geben dem Euro damit in eine Zukunft. Aber mit Auflagen. Denn ohne deutsche Zustimmung kann der dauerhafte Rettungsschirm nicht unbegrenzt ausgeweitet werden. Erste Reaktionen der deutschen Presse.

Veröffentlicht am 12 September 2012 um 14:37

Nach zwei Monaten Beratungen hat das Bundesverfassungsgericht die Klagen der deutschen Euro-Gegner abgewiesen. Deutschland kann damit als letztes Land den europäischen Stabilitätsmechanismus ESM ratifizieren. Am 8. Oktober könnte er inkrafttreten. “Die Märkte atmen auf”, notierte die Financial Times Deutschland. Spiegel-Online meldete eine “Schlappe für die Euro-Skeptiker”. Das Urteil lautet: Der dauerhafte Rettungsschirm ESM darf gebaut werden, sein Haftungslimit aber darf nicht ohne deutsche Zustimmung übertroffen werden.

Die linksliberale Münchner Süddeutsche Zeitung sieht die wichtigsten Fragen immer noch ungeklärt: Die Richter hätten zwar den ESM bestätigt, aber die gesamte EZB-Problematik des unbegrenzten Ankaufs von Staatsanleihen ausgeklammert:

Cover

Das Karlsruher Urteil bringt Europa nicht weiter, es bringt Deutschland nicht weiter und die Demokratie auch nicht. Dieses Urteil weicht nämlich den wichtigsten Fragen aus. Es will ein Grundsatzurteil sein, aber es hat Angst vor dem Grundsätzlichen. Es ist, wie beim Bundesverfassungsgericht üblich, wenn es um Europa geht, ein "Ja, aber"-Urteil. Aber das Ja dieses Urteils ist diesmal so kraftlos wie sein Aber. Die Richter versuchen, die deutsche Haftungssumme auf 190 Milliarden Euro zu deckeln, obwohl sie wissen, dass das kaum funktionieren wird. Es wird dies kaum funktionieren, weil auf die Europäische Zentralbank der Karlsruher Deckel nicht passt.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Anders sieht das die ebenfalls linksliberale Frankfurter Rundschau, für die das Urteil “klug” und “zurückhaltend” ist, Deutschland weiter ein Quentchen Kontrolle in der EZB gewährt, aber das Hauptziel erfüllt: eine Zukunft für den Euro.

Cover

Karlsruhe hat [...] eine weise Entscheidung getroffen. Die politischen und wirtschaftlichen Folgen wären nach den Worten von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle unabsehbar, wenn der Rettungsschirm ESM nicht oder mit noch mehr Verzögerung in Kraft träte. Das Bundesverfassungsgericht hat die hohe Unsicherheit erkannt, die alle Entscheidungen über den Euro prägen. Niemand weiß, was passiert, wenn die Währungsunion auseinanderbricht. Das Urteil von Karlsruhe ist von kluger Zurückhaltung geprägt. Es gibt viele Argumente für und wider die Solidarität mit den Krisenländern. Auch das Verfassungsgericht kann nicht festlegen, wer Recht hat. Dass dies eine politische Entscheidung bleiben muss und bleibt, ist die gute Botschaft aus Karlsruhe.

In jedem Fall, bemerkt die Tageszeitung in Berlin, hatten die Karlsruher Richter gar keine andere Wahl, als dem ESM zuzustimmen. Ein Zusammenbruch des Euro hätte allein in Deutschland zu einem Billionen-Schaden geführt.

Cover

Es gibt nur einen Verlierer: Bundesbank-Chef Jens Weidmann. Er ist nun völlig isoliert. Vehement kämpft er dagegen, dass die Europäische Zentralbank Staatsanleihen aufkauft, falls die Zinsen in gefährliche Höhen steigen. Diesen Kurs hat in Europa sowieso niemand verstanden, aber jetzt gehen ihm selbst in Deutschland die Verbündeten aus. Um diese Euro-Rettung voranzubringen, war das Urteil aus Karlsruhe wichtig. Trotzdem ist die Krise nicht vorbei. So ist absehbar, dass Griechenland einen weiteren Schuldenschnitt benötigt. Und der Sparkurs in ganz Europa wird die Rezession weiter verschärfen. Aber immerhin ist nun klar: Dies sind politische Probleme, die politisch gelöst werden müssen. Sie haben keinen Verfassungsrang.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema