Der US-Präsident nach seiner Rede am Wahlabend in Chicago (Illinois), 7. November.
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„Obama 2.0“ soll bitte nicht enttäuschen

Europas Presse spiegelt weitgehend die Obama-Nähe ihrer Leser wider und kommentiert dementsprechend erleichtert. Doch die Illusionen von 2008 über sein Engagement in Europa sind verflogen.

Veröffentlicht am 7 November 2012 um 16:29
Der US-Präsident nach seiner Rede am Wahlabend in Chicago (Illinois), 7. November.

„Europa atmet erleichtert auf“, schreibt Expresso-Kolumnist Daniel Oliveira in seinem Blog auf der Website der Lissabonner Tageszeitung:

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Obamas Wahlsieg ist nicht die Antwort auf alle unsere Probleme. Diese müssen in Europa selbst behandelt werden, insbesondere in Deutschland. Doch hätte ein weiterer Verfechter finanzieller Grausamkeit gesiegt, wäre eine Lösung für diese Krise noch unwahrscheinlicher geworden. Europa, das Romney als Sozialistennest betrachtet, hat keinen Grund, die Korken knallen zu lassen. Doch es kann zumindest erleichtert aufatmen.

In Berlin erinnert der Tagesspiegel daran, dass Obama vor vier Jahren als „Messias“ im Weißen Haus, „als der europäischste, der westlichste Kandidat, als ‚einer von uns’“ gefeiert wurde. Doch „vier Jahre und eine Reihe gebrochener Versprechen später ist klar: Das war ein Missverständnis“, meint die Tageszeitung und zählt die Enttäuschungen in Sachen Umwelt und Weltfrieden auf. Abschließend heißt es:

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Nein, nach vier Jahren ist die Obamania vorbei, er gilt nunmehr als das kleinere Übel. Es ist an ihm, das Feuer neu zu entfachen. Europa wird gut daran tun, eher früher als später zu begreifen, dass Obama in seiner zweiten Amtszeit sich noch weniger um den Lauf der Weltendinge, und noch mehr auf Amerikas Eigeninteresse konzentrieren wird.

Und, so versichert in Athen To Vima, gerade „die Deutschen sehen Obamas Wiederwahl ungern“. Die Tageszeitung beteuert:

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Obama stört sie. Er hat versucht, die griechische Katastrophe zu bremsen, doch er glaubt nicht daran, dass Länder und Wirtschaft durch Sparpolitik gerettet werden können.“ [...] Obama und Merkel, die USA und das deutsche Europa, gehen eine neue Phase in ihren Beziehungen an. [...] Obama hat vier Jahre, um zu entscheiden, ob die Vereinigten Staaten Europa davor bewahren, eine deutsche Kolonie zu werden, was Deutschland seit drei Jahren Schuldenkrise in gewisser Weise zu erreichen versucht. [...] Nun, da ihm die Hände nicht mehr gebunden sind, wird Obama 2 wahrscheinlich nicht dabei zusehen, wie Deutschland „alle absahnen wird“. Das, was jetzt passiert, bestimmt, wie brutal der geopolitische deutsche Plan wird, der bei weitem über die Grenzen Europas hinausgeht.

Auf der Website der Gazeta Wyborcza erklärt Zbigniew Lewicki, „Barack Obama ist nicht die beste Wahl für die Welt. Er hat nichts getan, das ihn disqualifizieren würde, doch er entsprach nicht den Erwartungen, die er vor vier Jahren geweckt hatte“. Der Professor für Amerikanische Studien an der Universität Kardynał Stanisław Wyszyński erklärt:

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Europa ist von Obamas Bildfläche verschwunden [...]. Ich verstehe nicht, warum wir uns so freuen. Der eben gewählte Präsident hat Europa in den letzten Jahren den Rücken gekehrt [...]. Ich verstehe, dass größere Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien froh sind, dass der amerikanische Präsident sich nicht in ihre Politik einmischt. Doch kleinere Länder wie Polen, deren Sicherheit von der EU und von der NATO abhängig ist, haben keinen Grund zum Feiern [...]. Russland wird wahrscheinlich über Obamas Sieg begeistert sein, denn er versteht die russischen Bedürfnisse und Ansprüche.

Der der Politologe Vicente Palacio meint in El País fest, Obama biete den Europäern eine zweite Chance.

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Während seiner ersten Amtszeit fand Obama ein im Niedergang begriffenes Europa vor, ohne die nötige Geisteskraft, um sich auf dieselbe Höhe zu hieven, ohne Führung. Heute scheint es etwas einfacher zu sein, dass ein paar europäische Staats- und Regierungschefs wie Hollande oder Rajoy versuchen, aus dem Engagement des wiedergewählten Präsidenten für das Wachstum das Beste zu machen [...]. Die europäischen Föderalisten können einen Moment lang die Blindheit, die Langsamkeit und die Unredlichkeit der einen oder anderen vergessen und davon träumen, dass sie in Obama 2.0 einen Verbündeten finden, um die Zerbrechlichkeit der EU zu überwinden. [...] So kann man dann träumen, dass Obama seine Aufmerksamkeit auf Europa richtet und sich letztendlich als Fahnenträger unserer politischen und finanziellen Union bekehrt. In der letzten Phase der Kampagne war die Wiederbeschaffung von Arbeitsplätzen in den Vereinigten Staaten eine Abschwächung der sichtbaren Folgen der europäischen Sparpolitik. Doch der grundsätzliche Fehler besteht noch und wir müssen abwarten, wie Obama reagiert, falls diese Politik die USA gefährdet. In diesem Fall wären die Tage des von Merkel auferlegten Sparkurses gezählt.

„Der nächste US-Präsident wird sich mit vier unvermeidlichen Themen beschäftigen müssen, zumindest wenn er wirklich, wie in allen Ecken des Landes immer wieder beteuert, das amerikanische Wachstum wieder in Gang bringen will“, schreibt Mario Platero von Il Sole 24 Ore. Eines dieser Themen betrifft Europa:

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Es hat keinen Sinn, sich in den Phrasen über das „sozialistische Europa“, das „Europa, das unser Wachstum bremst,“ zu verlieren, die wir während der Wahlkampagne gehört haben. Seit dem G20 in Los Cabos hat Europa den Weg der Erneuerung eingeschlagen, den auch Amerika teilt und den es allenfalls schneller begehen will. Heute eine „atlantische Abkühlung“ in Erwägung zu ziehen, ist undenkbar. Die wirtschaftlichen und geschäftlichen Bindungen haben den Atlantik zu einem großen Wirtschaftsbecken gemacht. [...] Die neue Regierung muss also ihr Augenmerk auf Europa richten und aufhören, uns als Blitzableiter für die Probleme der anderen zu benutzen.

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