Nach der Renaturierung im Rahmen des LIFEDrawaPl-Programms sind in Drawa wieder Batrachion fluitantis-Pflanzen gewachsen. | Foto: ©Marek Kowalczyk The Drawa river lives again, thanks to the renaturalisation programme.

In Polen beginnt die Erholung der Oder mit der ihrer kleinsten Nebenflüsse

Der zweitlängste Fluss Polens ist auch einer der am stärksten verschmutzten Flüsse, was vor allem auf die Einleitung von Bergbauabfällen ins Wasser, die industrielle Landwirtschaft und die geringe Sorgfalt der staatlichen Planer zurückzuführen ist. Lokale Projekte zeigen, dass kleine Veränderungen zu saubereren Bächen und Flüssen führen können, aber ohne eine Änderung der Mentalität werden sie den Trend nicht umkehren können, sagen Experten.

Veröffentlicht am 14 Februar 2024
The Drawa river lives again, thanks to the renaturalisation programme. Nach der Renaturierung im Rahmen des LIFEDrawaPl-Programms sind in Drawa wieder Batrachion fluitantis-Pflanzen gewachsen. | Foto: ©Marek Kowalczyk
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„Hier beginnt die Rettung der Oder“, sagt der Hydrobiologe Robert Czerniawski und zeigt auf ein unscheinbares Rinnsal, das zunächst in die Drawa und dann in die Oder mündet. Das polnische Oderbecken wird von zehntausend Bächen und Rinnsalen wie diesem gespeist.

Noch vor einigen Jahren sorgten Betonringe in dem nun mäandrierenden Rinnsal dafür, dass „das Wasser schnell und frei floss, ohne jegliche Möglichkeit, Lebensbedingungen zu schaffen, wie in einem Kanal“, erklärt Czerniawski. Seit der Entfernung der Betonelemente und der Renaturierung kann sich das Wasser im Rinnsal von selbst reinigen und die Forellen sind zum Laichen zurückgekehrt. „Die Natur nutzt das sofort“, macht Czerniawski aus seiner Faszination kein Hehl. „Außerdem fließt das Wasser durch die Biegungen jetzt viel langsamer“. Das bedeutet, dass es länger in der Umgebung verbleibt, anstatt rasend schnell Richtung Ostsee zu rauschen.

Das Oder-Einzugsgebiet. | ©Marek Kowalczyk

Das Einzugsgebiet der Oder umfasst ein Drittel des polnischen Staatsgebiets. Was an der Drawa oder an einem anderen Ort in Ober- oder Niederschlesien geschieht, hat Auswirkungen auf den Zustand der gesamten Oder. „Deshalb ist es nicht ausreichend, sich nur um das Flussbett der Oder zu kümmern. Das ist so, als würden wir uns bei der Rettung eines Baumes nur um den Stamm kümmern und die Krone, die Blätter und die Wurzeln außer Acht lassen“, erklärt Artur Furdyna, Ichthyologe und Koordinator von LifeDrawaPL, des teuersten Flussrenaturierungsprojekts in der Geschichte der Europäischen Union.

Die EU hat fast sieben Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um geeignete Bedingungen für die Rückkehr und die Entwicklung der vom Aussterben bedrohten Fisch- und Wasserpflanzenarten sowie für den Bau von Fischtreppen an der Drawa zu schaffen. Nun kann unter anderem der Lachs, der ein Indikator für gute Wasserqualität ist, wieder frei wandern.

 „Ein Lachs reicht nicht zum überleben“

Einige ortsansässige Landwirte sind skeptisch, was den Schutz der Lachse in diesem Gebiet angeht. Sie haben ein weiteres Problem: „Die kleinen Seen im oberen Teil der Drawa sind praktisch ausgetrocknet“, sagt Stanisław Baliński, ein 74-jähriger Landwirt, bei einem Treffen zu den Herausforderungen für das Drawa-Einzugsgebiet. Er betont, dass der Wasserstand in einem der Seen in diesem Gebiet angehoben werden muss. Er versteht nicht, warum es in der Drawsko-Seenplatte zu Wasserknappheit kommt, wenn es doch wie immer so viel regnet. 

„Dürre kann trotz normaler Regenfälle auftreten“, erklärt Furdyna. „Unsere Maßnahmen, unter anderem das Abpumpen von Grundwasser zur Bewässerung von Feldern, verringern die Absorption jedoch“.

Czerniawski, der ebenfalls an der Diskussion teilnimmt, betont, dass wir über unseren Tellerrand hinaus blicken müssen, wenn es um Wasserressourcen geht. Wenn wir eingreifen wollen, müssen wir dies mit Bedacht tun und dabei das gesamte Ökosystem berücksichtigen, denn unkoordinierte Maßnahmen können Schaden anrichten. „Wir können nicht einfach ein Wehr oder einen Druckstollen an einer höher gelegenen Stelle errichten und uns nicht darum kümmern, was flussabwärts passiert“, warnt er.

Robert Czerniawski (left) and Artur Furdyna. | Photo: ©Marek Kowalczyk
Robert Czerniawski (links) und Artur Furdyna. | Foto: ©Marek Kowalczyk

Die Argumente der Experten scheinen die Landwirte nicht zu überzeugen. Sie behaupten, dass sie um ihr “Überleben und die Versorgungssicherheit kämpfen müssen“, was „mit der Rückkehr eines Lachses natürlich nicht gewährleistet ist”. 

Der Hydrobiologe Tomasz Krepski warnt jedoch vor solchen Aussagen. „Wenn wir uns nicht um alle Bereiche des Ökosystems kümmern, werden wir Wasser haben, das uns nichts nützt.“

Welche Versorgungssicherheit? 

Furdyna fragt sich, von welcher Versorgungssicherheit die Landwirte aus der Drawsko-Seenplatte sprechen. „Zehn Prozent der derzeitigen Produktion würden ausreichen, um die polnische Gesellschaft zu ernähren“.

Im Jahr 2022 exportierte Polen eine Rekordmenge an Agrar- und Ernährungsprodukten in Höhe von fast 47,8 Milliarden Euro. Der Wert der Exporte stieg im Vergleich zu 2021 um 27 %, wodurch Polen an siebter Stelle in der gesamten Europäischen Union lag. Im vergangenen Jahr stiegen die Ausfuhren um weitere 16%. Die meisten Produkte, fast ein Viertel, wurden nach Deutschland verkauft. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Zigaretten, Geflügelfleisch, Räucherfisch, vor allem Lachs, sowie Hunde- und Katzenfutter.


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Der Exportwert von Geflügelfleisch stieg um 67%. Heute ist Polen der viertgrößte Geflügelproduzent der Welt und führend in der Europäischen Union. „Aber, was habe ich davon, wenn es jede Menge Hühnerscheiße in den Flüssen gibt“, empört sich Furdyna. Er plädiert für mehr Biobetriebe in der Drawsko-Seenplatte, die „Boden und Wasser nicht so stark belasten wie aggressive Landwirtschafts- und Zuchtbetriebe“.

Furdyna ist der Meinung, dass die Drawsko-Seenplatte ideal für den ökologischen Landbau ist. „Menschen aus ganz Polen würden kommen, um hier Bioprodukte zu kaufen. Nehmen wir uns ein Beispiel an dem ländlichen Projekt Juchowo und dem Ökodorf Brodowin in Deutschland“.

The greater tussock-sedge grows on the bank of the Dobrzyca River. | Photo: ©Marek Kowalczyk
Die Große Sumpfsegge wächst am Ufer des Flusses Dobrzyca. | Foto: ©Marek Kowalczyk

Die landwirtschaftliche Genossenschaft Ökodorf Brodowin entstand 1991, nach der Reprivatisierung des Landes und der Wiedervereinigung Deutschlands. Die engagierten Bürgerinnen und Bürger des Dorfes beschlossen, auf ökologischen Landbau umzusteigen und bio-dynamische Anbaumethoden anzuwenden, obwohl es damals „keinen Markt für ökologischen Anbau und wenig Wissen darüber im Dorf gab“, erinnert sich Ludolf von Maltzan, der heutige Leiter der Genossenschaft, der seit fast 18 Jahren dort tätig ist. „So wollten die Einheimischen hier die Natur schützen. Sie waren sich des einzigartigen Charakters dieser Region bewusst“.

Brodowin liegt im Naturschutzgebiet Schorfheide-Chorin, umgeben von sieben Seen des Odereinzugsgebietes, einem Vogelschutzgebiet. Man kann hier Fahrradtouren machen, Käse und Wurst aus lokaler Herstellung kaufen. Von Maltzan wünscht sich, er würde mehr Biobauern in Polen kennen. Deren Produkte könnten auch im Bioladen des Dorfes verkauft werden. „Das Interesse an Bio-Lebensmitteln ist in den letzten dreißig Jahren stark gestiegen“, sagt von Maltzan. 2021 ist Deutschland zu einem der wichtigsten Märkte für Bioprodukte weltweit geworden.

Near the Brodowin eco-village, in Germany. | Photo: ©Marek Kowalczyk
In der Nähe des Ökodorfs Brodowin in Deutschland. | Foto: ©Marek Kowalczyk

„Die Menschen sind neugierig auf das, was wir hier tun. Tausende von Touristen besuchen uns jährlich. Sie kommen nicht nur wegen der Produkte, sondern auch wegen der Natur.  Man kann hier in jedem See baden, sie sind alle in gutem Zustand. Das Landesamt für Umwelt Brandenburg prüft die Wasserqualität jedes Jahr “, versichert von Maltzan.

Im Gegensatz zu den Seen in der Drawsko-Seenplatte. Der ökologische und physikochemische Zustand praktisch aller Drawsko-Seen ist alarmierend. „Die Wasserkrise hat bereits begonnen. Wir haben es mit intensiven, zyklischen, extrem gefährlichen Cyanobakterienblüten zu tun“, warnt Czerniawski.  Nur der Siecino-See wehrt sich noch recht erfolgreich. Czerniawski appelliert, solche gefährdeten Orte zu schützen, anstatt sich nur auf die bereits erkrankten zu konzentrieren.

Die schlechte Wasserqualität in den Seen der Drawsko-Seenplatte wirkt sich negativ auf die Oder aus, da die Flüsse, die aus den Seen fließen, ebenfalls kontaminiert sind und die Möglichkeit zur Selbstreinigung nicht immer gegeben ist. „Wir tun nur so, als würden wir die Oder heilen, aber tatsächlich verschlimmern wir ihre Lage nur. Wir müssen unsere Denkweise ändern“, betont Czerniawski. „Wir setzen nach wie vor auf die Sicherung der Wasserversorgung für die Menschen und nicht in erster Linie für die Flüsse und Seen, was doch langfristig den Menschen zugute kommt. Aber vielleicht ändert sich ja doch bald endlich etwas“.

In der Koalitionsvereinbarung der neuen polnischen Regierung ist das Versprechen enthalten, „sich um die Revitalisierung der Flüsse zu bemühen“. Gleichzeitig wurden die Regulierungsarbeiten am Grenzabschnitt der Oder noch immer nicht gestoppt, obwohl das Verwaltungsgericht in Warschau im Dezember 2022 entschieden hatte, die Arbeiten wegen der Gefahr irreversibler Auswirkungen auf die natürliche Umwelt einzustellen. 

The Płociczna River in the Drawieński National Park with visible remains of eel catching structures. | Photo: ©Marek Kowalczyk
Der Fluss Płociczna im Drawieński-Nationalpark mit sichtbaren Überresten von Aalfanganlagen. | Foto: ©Marek Kowalczyk

Deshalb ist Furdyna skeptisch gegenüber der neuen Regierung: „Der Sieg der Bürgerplattform ist noch kein Grund für übermäßigen Optimismus. Ich warte auf konkrete Ergebnisse“.

Gemeinsam mit Czerniawski fordert er ein Ende der Einleitung von Abwasser in Seen. "Wenn wir dagegen Abwässer in Flüsse leiten, kann sich das Wasser durch den ständigen Fluss selbst reinigen", erklärt Czerniawski.

Ist eine Umkehr noch möglich? 

Laut Furdyna ist jetzt der letzte Moment für eine Veränderung, wenn wir das Ökosystem der Oder retten wollen. „Wenn wir weiter betonieren, die Flüsse und Bäche begradigen, der Entnahme von Grundwasser kritiklos zustimmen, Wehre und Dämme bauen, die wie Verstopfungen in einer Ader wirken und Abwässer in Seen leiten, dann landen wir in einer Sackgasse“.

Furdyna meint, dass die Drawsko-Seenplatte zu einem Biosphärenreservat werden sollte, um „die lokale Bevölkerung vor industrieller Landwirtschaft und anderen schädlichen Aktivitäten zu schützen. Was wir hier haben, ist ein wahrer Schatz, ein einzigartiger Ort in Europa und der Welt, der geschützt werden muss“, fordert Furdyna.

Aus dem Englischen übersetzt von Karolina Golimowska und Katja Petrovic.
Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union verfasst. Die darin zum Ausdruck gebrachten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Europäischen Exekutivagentur für Bildung und Kultur (EACEA) wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden.

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