Verbindungsbrücke zwischen Frankfurt/Oder und Słubice (Photo: Pedalofilo)

Schattenstadt Slubfurt

Frankfurt/Oder, die Deutsche, und Słubice, die Polin, leben jede ihr Leben auf ihrer Oder-Seite. Vor 1945 waren sie noch eins. Damit sich wieder ein gemeinsames Leben entwickelt, hat ein binationaler Verein beschlossen, eine fiktive Gemeinde zu gründen. Deren Politik und Projekte sind aber nicht nach jedermanns Geschmack.

Veröffentlicht am 6 August 2009 um 12:13
Verbindungsbrücke zwischen Frankfurt/Oder und Słubice (Photo: Pedalofilo)

Im Juni wurde in Slubfurt gewählt. Alle waren zur Wahl aufgerufen - auch Jugendliche oder Ausländer - ob nun eigentlich wahlberechtigt oder nicht. Slubfurt ist eine virtuelle Stadt, der Name setzt sich zusammen aus den Namen zweier Grenzstädte: Slubice, auf polnischer Seite und Frankfurt/Oder. Hier findet eines der interessantesten deutsch-polnischen Projekte statt. Slubfurt gibt es zwar auf keiner Karte, dennoch besitzt die Stadt seit ein paar Tagen einen Stadtrat — ein regelrechtes kommunales Parlament — Verkörperung des Willens zu einer gemeinsamen deutsch-polnischen Zukunft.

Die Idee wurde von Studenten der deutsch-polnischen Universität in Frankfurt/Oder unter der Leitung des Künstlers Michael Kurzwelly ins Leben gerufen. Kurzwelly hatte schon vor rund zehn Jahren die "transnationale Bürgerinitiative Slubfurt" gegründet. "Mir reichte es, immer dieselben kleinen Ausstellungen, in denselben vier Wänden, für immer dieselbe Handvoll Kritiker zu organisieren", erklärt er. "Deshalb habe ich beschlossen, direkt im urbanen Raum eine neue Realität zu schaffen. Glauben Sie bloß nicht, das wäre Spielerei! Das Parlament wird zu wichtigen Fragen für die Stadt Stellung nehmen."

So sprach sich das Parlament während der ersten Sitzung beispielsweise dafür aus, einen flussüberquerenden, deutsch-polnischen Radweg zu schaffen und einen Stadtführer Slubfurt herauszubringen. Es sprach sich auch für ein zweisprachiges Fernsehprogramm aus. Dank der Subventionen, die der Verein beantragen kann, besteht für die Parlamentsmitglieder eine reelle Chance, die Projekte wirklich umsetzen zu können. Bis es soweit ist, macht man Zukunftsvisionen.

Vor allem die Deutschen widersetzen sich Slubfurt

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Bis zum Zweiten Weltkrieg war Slubice eine Vorstadt von Frankfurt. Wenn man aber sehen möchte, wie es heute in der wirklichen transnationalen Zusammenarbeit aussieht, reicht es, sich das Tram-Projekt über die Oder-Brücke, der einzigen Verbindung zwischen den beiden Städten, vor Augen zu führen. Als ein Deutscher in der Euphorie der 90er Jahre vorschlug, eine Tram-Verbindung zwischen Frankfurt und Slubice zu bauen, machte das einen Riesenwirbel auf polnischer Seite, unter anderem bei den polnischen Taxifahrern, die täglich deutsche Kunden nach Hause fahren, die in Polen Shoppen kommen.

Heute sind es vor allem die Deutschen, die sich gegen das Projekt stellen. Sie fürchten, wenn die Touristen die Brücke anders als zu Fuß überqueren können, bleiben die Boutiquen leer. Und sie verweisen auf ein Referendum, bei dem sich 80% der Deutschen — bei, nebenbei gesagt, einer Wahlbeteiligung von nur 30% — sich gegen gemeinsame öffentliche Verkehresbetriebe beider Städte aussprachen. Hauptargument? Hier ist es: "Wir zahlen, damit die Polen öffentliche Verkehrsmittel nutzen können." Dieselbe negative Haltung liest man in den Leserbriefen der deutschen oder polnischen Lokalzeitungen. Viele argumentieren, dass die kulturellen Unterschiede zu groß seien; andere erinnern an die Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs oder danach.

36 grenzgeteilte Städte in Europa

Eine Tram-Linie scheint heute ebenso unrealistisch wie eine sprachliche Annäherung. In seinem Wahlprogramm zu den jüngsten Kommunalwahlen verteidigte der Slubfurter Stadtrat Krzysztof Kolanowski eine zweisprachige Beschilderung der Stadt. Guckt man sich die Wirklichkeit an, sieht man, dass es auf polnischer Seite keine Spuren der deutschen Sprache gibt, abgesehen von der Schildern "Wechselstube". Und in Frankfurt zählt man nur zwei Restaurants mit Karten in deutscher und polnischer Sprache. Alle anderen wollen von so etwas erst gar nichts hören.

Es gibt in Europa 36 grenzgeteilte Städte. An der deutsch-polnischen Grenze wären da Guben/Gubin und Görlitz/Zgorzelec zu erwähnen. Aber während diese Städte schon seit langem gemeinsam Kanalisationen und Verkehrsbetriebe teilen, schaffen es die Vertreter von Frankfurt und Slubice nicht einmal, sich an einen Tisch zu setzen. Vom Projekt Slubfort sind sie vollends überfordert. Slubfurt besitzt seine eigene Postleitzahl, seine eigene Zeitung und eigene zweisprachige Postkarten. Und, seit Mitte Juli, seinen eigenen Stadtrat. Das macht die offiziellen Vertreter beider Städte nervös. Diese guten Nachbarschaftsbeziehungen gefallen ihnen ganz und gar nicht. In Wirklichkeit fürchten sie Machtverlust.

"Dieser Künstler ist völlig verrückt. Der macht bloß Eigenwerbung auf Kosten der Stadt. Die Wirklichkeit ist eine ganz andere. Wir können uns den Polen einfach nicht annähern. Die sind viel zu stolz", meint Volker Kulle, Stadtrat der Linken in Frankfurt, die in der Region 30% der Wähler repräsentieren.

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