160 Milliarden stehen auf dem Spiel

Schlechte Karten für den Euro

Staaten und Finanzmärkte spielen eine Pokerpartie auf Leben und Tod. Der Euro wird möglicherweise unter den Ruinen des Parthenon versinken. Ein Spieler vor allem kann den Ausschlag geben: Deutschland, dessen nationalistische Strategie das Ende der Währungsunion besiegeln könnte.

Veröffentlicht am 28 April 2010 um 13:44
160 Milliarden stehen auf dem Spiel

Ein"perfekter Sturm“ weht über Griechenland, Europa, die Börsen und die Staatsverschuldung. Die Financial Times irrte nicht, als sie im vergangenen Februar alle Welt warnte : Vorsicht, die Hedgefonds haben in ihren Koffern noch 8 bis 10 Milliarden Dollar an kurzfristigen Anleihen, die sie auf den Markt verramschen könnten, sollten sie auf einen Zusammenbruch der hochverschuldeten Eurozone setzen. Der Angriff hat begonnen und der Domino-Effekt ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Dieses Blutbad, das bereits 160 Milliarden Euro verschlungen hat, lehrt uns zweierlei Grundsätzliches.

Neue Offensive gegen Portugal

Lektion 1: Die Märkte weisen mit dem Finger gen Himmel. Die Dummköpfe gucken wie immer auf den Finger und nicht auf den Mond. Der Finger, das ist Griechenland. Ein Land, das heute kollabiert. Nach der erneuten Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit sind die Staatsanleihen „für die Mülltonne“. Für die amerikanischen Investment-Banker ist Griechenland der riskanteste Ort für kurzfristige Anleihen. Unter diesen Umständen bedeutet dies, je mehr sich Griechenland um Kapital bemüht, umso mehr zieht sich der Strick um den Hals seiner Staatsverschuldung zu. Je mehr das Land versucht sich zu retten, umso mehr erstickt es. Das war vorauszusehen. Und jene, die heute weinen, vergießen schlicht Krokodilstränen.

Doch in der gnadenlosen Logik der Spekulanten ist Griechenland nur ein Täuschungsmanöver. Und nicht das eigentliche Ziel. Das ist ein größerer Brocken, und genauso wie den Mond, sehen wir ihn nicht: den Euro. Mitten auf dem grünen Spieltisch, an dem Länder und Finanzmärkte zocken, steht ein großer Topf: die Währungsunion. Die jüngste Attacke auf Portugal beweist es: noch ein Land, dessen Kreditwürdigkeit abgewertet wurde und das auf dem Wege eines zweiten Griechenlands ist. Portugal ist das nächste Bauernopfer.

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Deutschlands Position ist schlüssig aber falsch

Bis jetzt war uns der Bankrott zweier Wirtschaften am Rande der Union ziemlich gleichgültig. Doch die Katastrophe kommt just danach. Griechische Tragödie, portugiesischer Fado und danach ein Mittelmeerdrama: Spanien und Italien stehen bereits auf der Schwarzen Liste der Spekulanten. Ob nun "PIGS" oder nicht, diesmal handelt es sich um die dritte und vierte Wirtschaftsmacht der Eurozone, Länder die man als "too big to fail" einstuft, also zu groß, um pleite zu gehen. Und auch „too big to bail out“, zu groß, als dass man ihnen aus der Klemme helfen könnte. Sind Rom und Madrid betroffen, wird man mit Sicherheit über eine neue Ordnung Europas reden müssen. Und genau das ist der Mond, den die Spekulanten im Visier haben. Die Finanzmärkte setzen derzeit auf den Zusammenbruch der Währungsunion. Neu dabei ist, dass sie dabei sind, die Partie für sich zu entscheiden.

Und hier kommt dann Lektion 2. Die Märkte sind auf Siegeskurs, weil die Staaten nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Bei einem Land ist das ausgeprägter als anderswo. Die deutsch-französische Achse, die in allen wichtigen Momenten Europa Halt gab, existiert nicht mehr, und so steht Angela Merkel allein dem Rest des Kontinents gegenüber. Nach dem griechischen Debakel und dem Ringen um den schlecht oder gar nicht akzeptierten Rettungsplan, lief Deutschland gegen den Euro Sturm. Das Land zeigt Europa heute ein anderes Gesicht. Die deutsche Position in diesem "perfekten Sturm", schrieb Mitte März Wolfgang Munchau in der Financial Times, sei zwar "in sich schlüssig, aber falsch." Im Gegensatz zu den grandiosen Momenten der letzten zwanzig Jahre deutscher Geschichte (seit der Wiedervereinigung), sieht heute Deutschland seine Verantwortung gegenüber der Union unilateral und egoistisch.

Spekulanten freunden sich an

Selbst der eilig einberufene EU-Gipfel —Griechenland quasi pleite und die Finanzmärkte zusammengebrochen — stand unter dem Zeichen einer "hausgemachten" Agenda: Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai. Die Regierung ist durch die Beteiligung der Liberalen unter Vize-Kanzler Guido Westerwelle nach rechts gerückt und will den Wählern nicht den Eindruck vermitteln, dass man dem Druck der "laxen Latinos", der verantwortungslosen Club-Med-Länder nachgebe.

Die "europäische Zurückhaltung“ Deutschlands ist für die Spekulanten ein gefundenes Fressen. Wenn die Eurozone nicht in der Lage ist, gemeinsame Regeln für alle und eine allgemein respektierte Haushaltsdisziplin zu schaffen, oder Preisstabilität und Wettbewerbsfähigkeit, dann wird der Euro nicht mehr lange bestehen. Das haben die Spekulanten aus aller Herren Länder begriffen, und sie stürzen sich nun wie ein Rudel Wölfe auf die schwächsten der Gruppe. Die deutsche Regierung und die deutschen Bürger haben davor Angst. Deshalb schlagen sie nun eine „andere“ Eurozone vor: eine Währungsunion nur für jene Länder, die sich auf dieselben Normen zur Begrenzung der Haushaltdefizite und zur Inflationskontrolle einigen können. Nach diesem Szenario gäbe es dann nicht mehr eine gemeinsame Währung, sondern zwei. Den Euro erster Klasse für die Länder Nordeuropas mit stabilem Haushalt, und den Euro zweiter Klasse für die schwächeren Länder des Südens.

Deutsche Wirtschaftsexperten oder auch der englische Banker Martin Taylor haben ganz offen solche Vorschläge gemacht. Man hat sogar schon Namen für die neuen Währungen gefunden: "Neuro" und "Sudo". Das klingt wie ein Spiel, ist es aber nicht. Die europäischen Regierungen haben das nicht begriffen und tanzen weiter scherzend auf dem Vulkan.

Im Fokus

Rating-Agenturen contra EZB

"Und noch einmal schütten die Rating-Agenturen Öl ins Feuer", schreibt Jean Quatremer auf seinem Blog „Coulisses de Bruxelles“ und vertritt die Ansicht, dass Agenturen wie Standard&Poor's, Fitch oder Moody's die Unbabhängigkeit der EZB bedrohen. Letztere "gewährt nur Kredite an kommerzielle Banken, wenn als Sicherheiten Papiere mit der Mindestnote 'BBB' vorliegen.“ Werden diese Bonitätsnoten abgewertet, verramschen die Banken die Papiere wie in Griechenland und verschärfen die Krise. "Die EZB muss schnellstens reagieren und ankündigen, dass sie für Staatsanleihen keine Mindestnote mehr verlangt, zumindest für die Länder der Eurozone", meint Jean Quatremer. Ansonsten "würde das bedeuten, dass sich die EZB ihre Währungspolitik von Dritten, in diesem Fall von angelsächsischen Rating-Agenturen, diktieren lässt."

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