„Chef einer sentimentalen Bewegung“: Kataloniens Ministerpräsident Artur Mas nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse in Barcelona, 25. November 2012.

Sieg der herrschenden Ordnung

Artur Mas hat am Sonntag eine schwere Schlappe eingesteckt. Der Ministerpräsident Kataloniens wollte die absolute Mehrheit, um eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Region abhalten zu können. Gesiegt aber hat die herrschende Ordnung, schreibt ein Journalist aus der Region.

Veröffentlicht am 26 November 2012 um 15:56
„Chef einer sentimentalen Bewegung“: Kataloniens Ministerpräsident Artur Mas nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse in Barcelona, 25. November 2012.

Der Gewinner der Regionalwahlen in Katalonien heißt Spanien. Genauer gesagt der spanische Status quo, die herrschende Ordnung, auch wenn sie in einer wachsenden Unordnung versinkt. Der Gewinner ist die vor langer, langer Zeit etablierte spanische Ordnung.

Für einen Großteil der katalanischen Gesellschaft — das heißt die sentimentale Mehrheit — wird es nicht einfach sein, diese Tatsache zu verstehen, zu akzeptieren und zu verdauen. Aber die Kälte der Machtbeziehungen wird sich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten durchsetzen. Die führende Partei der spanischen Mittelschicht [die auch in Madrid regierende PP] bleibt trotz der ernsten krisenbedingten Schwierigkeiten am Ruder.

Das neue Parlament besteht aus einer Mehrheit von Separatisten, die in den kommenden Wochen wohl eine nationalistische Regierungskoalition bilden werden. Das regierende Parteienbündnis CiU (Konvergenz und Union) und die katalanischen Linksrepublikaner ERC, die ebenfalls für die Unabhängigkeit eintreten, stellen zusammen 71 Abgeordnete. Das ist mehr als genug, um eine stabile Exekutive zu bilden, die den Volksentscheid über die Trennung Kataloniens von Spanien ganz oben auf ihr Programm setzt.

Trotz Schlappe alle Karten in der Hand

Ferner besitzt die CiU trotz des erlittenen Rückschlags einen taktischen Vorteil, da sie auch eine Regierungskoalition mit den Sozialisten erwägen und so 70 Sitze im Regionalparlament besetzen könnte. Ja sie dürfte sogar bei einigen Fragen die Unterstützung der Volkspartei PP gewinnen (beide Parteien zusammen verfügen über 69 Sitze). Wie auch immer die Regierung letztendlich aussehen mag, CiU wird eine tragende Rolle spielen. Und sollten dem Parlament dann trotzdem noch die Hände gebunden sein, könnten auf mittlere Sicht Neuwahlen angesetzt werden.

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Trotz der Schlappe bleibt die CiU ein Stützpfeiler, der authentische politische Ausdruck der katalanischen Mittelschicht, die Partei Kataloniens. Die separatistische Mehrheit ist gewiss größer als die Summe dieser beiden Bewegungen und die Katalanen sind weiterhin mehrheitlich nationalistisch eingestellt.

Trotzdem wird sich in absehbarer Zeit nichts in Katalonien ereignen, das die herrschende Ordnung ernsthaft in Gefahr bringen könnte. Die Parteien werden viel zu tun haben. Sie müssen eine stabile Regierung bilden, den Haushalt beschließen und einen enormen administrativen Apparat steuern, dessen Überleben von den monatlichen Überweisungen des Finanzministeriums in Madrid abhängt.

Eine sentimentale Bewegung

Die ausländischen Medien, vor allem die britischen, werden den Ausgang der Regionalwahlen sicher ganz anders interpretieren als die Presse in Madrid, die wohl nur Hohn und Spott für Katalonien übrig hat. Die Angelsachsen werden erfahren, dass in Katalonien eine separatistische Mehrheit die Wahlen gewonnen hat, die infolge der Krise nach links gerutscht ist. In der spanischen Hauptstadt dürfte allein der Rückschlag von Artur Mas hervorgehoben werden.

Die Analyse der Briten ist – aus europäischer Sicht – wohl scharfsinniger, aber sie entspricht nicht der Wahrheit, denn Spanien hat die katalanischen Wahlen gewonnen. Die herrschende Ordnung hat gewonnen. Sie hat gewonnen, weil diese Ordnung, so herb sie auch sein mag [Anspielung auf die angeblichen schwarzen Konten von Mas in der Schweiz], objektiv gesehen sehr stark ist und die katalanische Gesellschaft darauf verzichtet hat, auf eine eigene Ordnung zu pochen.

Der katalanische Nationalismus ist eine sentimentale, politisch nicht funktionsfähige Bewegung. Katalonien ist nicht wie Holland mit seiner ähnlich zerklüfteten politischen Landschaft. Wenn in einigen Wochen die Verhandlungen zur Bildung einer Regierungskoalition beginnen, wird die anfängliche Begeisterung, zu einer Exekutive zu gehören, die den Weg der großen Opfer einschlagen muss, nachlassen.

Gewiss hat Spanien ein Problem: eine gewaltige Krise und zwei separatistische Parlamente (im Baskenland und in Katalonien). Aber es ist möglich, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Die Basken werden nichts tun, was ihre durch historische Privilegien garantierten positiven Haushaltssalden wirklich in Gefahr bringen könnte; und Katalonien, im Bann der sentimentalen Rhetorik des Separatismus, ist dabei, sich in ein Wespennest zu verwandeln. Der Gewinner ist eindeutig Spanien, die herrschende Ordnung.

Reaktionen

Artur Mas’ „politischer Selbstmord“

Das Ergebnis der katalanischen Regionalwahlen vom 25. November sei ein „politischer Selbstmord“ für den Präsidenten der katalanischen Regierung, Artur Mas, der doch die vorgezogenen Wahlen einberufen hatte. Das ist die Folgerung von Enric Hernández, Leiter des Periódico de Catalunya. Seiner Ansicht nach wurde die „außerordentliche Mehrheit“, die Mas als Unterstützung für das geplante Referendum über die Unabhängigkeit gefordert hatte, untergraben:

Nach dem Unabhängigkeitsmarsch der Diada [am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag, demonstrierten mehrere hunderttausend Katalanen für die Unabhängigkeit] zählte der Präsident eifrig die Demonstranten, als seien sie alle potentielle Wähler der CiU [seine Partei, Mitte-Rechts-Nationalisten]. Er dachte, er könne, wenn er sich an die Spitze der souveränistischen Forderungen stellte, durch vorgezogene Wahlen die [Haushalts-]Kürzungen hinter dem Banner der Unabhängigkeit verbergen und für die nächsten vier Jahre ein komfortables Mandat einstecken. Bis 2016, so hoffte er, würde sich die Krise vielleicht beruhigen. Er maßte sich also die messianische Rolle des großen Steuermanns an, der Katalonien in das Paradies des „eigenen Staats“ führen würde. Doch in alledem lag er völlig falsch.

Nun wird Mas ein Regierungsabkommen mit den anderen politischen Fraktionen aushandeln müssen. Von seiner Entscheidung hängt nicht nur das eventuelle Referendum, sondern sogar seine eigene Zukunft ab, so Hernández weiter:

Mas steht jetzt vor einem ernsten Dilemma: Entweder tritt er die Flucht nach vorne an, mit der [nationalistischen Linken] ERC hin zum Souveränismus und zur Regionalregierung – auf Kosten der von Madrid eingeforderten finanziellen Hilfe –, oder er sucht die Unterstützung der [sozialistischen] PSC oder der [in Madrid an der Macht sitzenden Volkspartei] PP und gibt dafür sein Unabhängigkeitsprojekt auf.

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