Nachrichten Regionalwahlen in Katalonien

Was geschieht am Tag danach?

Bei den Regionalwahlen am 25. November sollten die Nationalisten die Mehrheit erlangen. Aber das Referendum über die Unabhängigkeit, das sie versprechen, muss noch von Madrid genehmigt und von den Katalanen selbst unterstützt werden.

Veröffentlicht am 22 November 2012 um 17:11

Der Stichtag steht vor der Tür. Wie auch immer die Regionalwahlen am 25. November ausgehen, sie werden der Debatte über unsere Zukunft kein Ende setzen und keine Kehrtwende für Katalonien darstellen, sondern eine lange Phase einleiten, in der wir unsere Wirtschaftsbeziehungen zu Spanien neu definieren. Obwohl viele Menschen der Meinung sind, dass sich alles sehr schnell ergeben wird, dürfte der Prozess unseres Erachtens eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.

Einer der überraschendsten Aspekte der Ereignisse in Katalonien in den vergangenen Monaten ist wohl die Tatsache, dass ein Teil des Landes das Wirtschaftsabkommen zuerst als sehr wünschenswert, wenn auch schwierig, betrachtet und es dann plötzlich wieder verworfen hat. Gesegnet seien jene, die an Wunder glauben. Aber in der Wirtschaft gibt es keine Königswege oder Abkürzungen. Prozesse, wenn sie so entscheidend sind wie der, in dem wir uns befinden, sind langwierig und schmerzhaft, mit Fortschritten und Rückschlägen und einer ungewissen Zukunft.

Startschuss zur Unabhängigkeit

Nicht nur der Wahltag rückt immer näher, sondern auch der Tag danach, um den es in diesen Wahlen eigentlich geht. Den Meinungsumfragen zufolge wird sich das Ergebnis der Wahlen mit Ausnahme eines möglichen Rückschlags für die PSC nicht wesentlich vom heutigen Spektrum unterscheiden: eine deutliche Mehrheit von Abgeordneten, die ein Referendum über die Selbstbestimmung befürworten (CiU, ERC und ICV), eine klare Minderheit, die dagegen ist (PP und Ciutadans), und die PSC in der Mitte, die sich für eine Volksbefragung im gesetzlich vorgesehenen Rahmen ausspricht. Anders ausgedrückt gibt es eine große Mehrheit, die eine Befragung der Bürger befürwortet. Am Tag nach den Wahlen wird also das Referendum auf der Tagesordnung stehen und die Schlacht beginnen, die es in den kommenden Jahren auszutragen gilt.

Am Anfang steht die Frage, ob der spanische Zentralstaat überhaupt eine Volksbefragung gestattet. Madrid befindet sich in einer Zwickmühle: Wenn die Regierung der Forderung stattgibt, akzeptiert sie auch den Kern der Debatte, die uns und Spanien in den vergangenen Jahren entzweit hat. Ich beziehe mich auf die Anerkennung der Souveränität Kataloniens und der Fähigkeit der Region, selbst über sein Schicksal zu bestimmen. Und genau das ist des Pudels Kern. Der Tag danach ist der Tag, an dem der Startschuss zur Unabhängigkeit fällt, nicht der Tag der Unabhängigkeit selbst. Es ist der Beginn eines Prozesses, der zu einem Referendum führen sollte, in dessen Rahmen das katalanische Volk darüber abstimmt, wie es seine Zukunft und seine Wirtschaftsbeziehungen zu Spanien gestalten will.

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Ein weiter Weg

Es handelt sich um eine Voraussetzung, die in der Hitze des Wahlgefechts in den Hintergrund gedrängt wurde. Die politische Diskussion konzentriert sich lediglich darauf, ob Katalonien die Unabhängigkeit anstrebt, oder, auf ökonomischer Ebene, ob wir in Europa bleiben beziehungsweise den Euro behalten wollen oder nicht. Wenn es wirklich nur darum ginge! Das würde bedeuten, dass Spanien bereit ist, seine Verfassung radikal zu ändern, dass es Katalonien als autonomes staatliches Subjekt anerkennt und dass die Katalanen selbst über ihr Schicksal bestimmen dürfen. Das zu erreichen wird nicht einfach sein. Darüber hinaus sind wir nicht die ersten. Andere Versuche in Ländern mit einer glaubwürdigeren demokratischen Tradition sind bereits auf viele Hindernisse gestoßen.

Das letzte Referendum in Kanada (1995) führte dazu, dass der Verfassungsgerichtshof strenge Regeln bezüglich des Rechts auf Sezession erließ: Jetzt muss das Parlament auf Bundesebene die gestellte Frage beantworten. Gleichzeitig muss es eine „ausreichende“ Mehrheit geben. In Europa forderte die EU im Fall Montenegros 55 Prozent, in Kanada werden mindestens 66 Prozent Konsens vorausgesetzt. Die separatistische Schottische Nationalpartei ging mit dem Versprechen in den Wahlkampf, ein Referendum durchzuführen. Sie erhielt die absolute Mehrheit und wird ihr Versprechen nun einlösen. Den Umfragen zufolge sind allerdings nur 40 Prozent der Wähler für eine Abspaltung von Großbritannien. Dennoch wurden die Selbstbestimmung und die Notwendigkeit einer Volksbefragung von einer überwältigenden Mehrheit gutgeheißen. Es handelt sich also um zwei verschiedene Fragen.

Wir hatten die Gelegenheit, die Verfassung mit dem katalonischen Autonomie-Statut zu reformieren. Aber die spanischen Parteien haben diese Hintertür sehr schnell und brutal wieder geschlossen. Seitdem macht sich ein Teil der Intellektuellen in Madrid Sorgen um eine mögliche Sezession Kataloniens. Jetzt ist es jedoch schon zu spät! Denn der Befragungsprozess über die Selbstbestimmung Kataloniens hat längst begonnen. Ob er erfolgreich ist und unter welchen wirtschaftlichen Bedingungen er abläuft, ist eine andere Sache. Krisenzeiten sind nicht ideal für radikale Umbrüche. Am 26. November beginnt ein umfassender Prozess. Die erste Herausforderung besteht darin herauszufinden, ob wir überhaupt dazu fähig sind, eine Volksabstimmung abzuhalten. Das ist der Schlussstein, auf dem der gesamte Druck lastet. Aber täuschen wir uns nicht: Zur Debatte stehen weder unsere Unabhängigkeit noch unsere Zukunft in Europa, sondern allein unser Recht, befragt zu werden.

KONTRA

Es gibt keinen Platz für diejenigen, die nicht Partei ergreifen

Die Debatte über das Verhältnis zwischen Katalonien und Spanien monopolisiert die katalanischen Regionalwahlen vom 25. November. Doch es gibt Wähler, die sich für keines der beiden Lager entscheiden wollen, so insbesondere die „charnegos“ (aus anderen Regionen Spaniens eingewanderte Katalanen). Die Journalistin Julia Otero, selbst eine „charnega“, schreibt dazu in El Periódico:

In Madrid für eine Separatistin und in Katalonien für eine „spanische Nationalistin“ gehalten zu werden, ist eine aufregende Erfahrung, die einen zwar nicht umbringt, aber die eigenen Lebenserhaltungsfähigkeiten anheizt. [...] Mitten im Fahnenkrieg stehen unendlich viele einzelne Menschen, perplex und schweigsam, ohne jede andere Heimat als die Menschen, die sie lieben, und ohne jede andere Hoffnung als die auf ein Leben in Würde. [...] Eine spannende Zeit bricht an für jene, die tiefe patriotische Gefühle hegen. Sie haben es gut. Sie wissen nicht, wie unbehaglich es ist, wenn man nirgendwo steht.

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