“Meine Vision ist die politische Union”: Dieser Satz von Angela Merkel lohnt aus verschiedenen Gründen eine genauere Betrachtung. Er fiel während des Interviews mit der Süddeutschen Zeitung, die gemeinsam mit fünf anderen großen Zeitungen die Beilage Europa herausbrachte. Die Kanzlerin hatte dieses Ziel schon beim Parteitag der CDU angedeutet. Bis dato hatte sie es aber noch nie so klar formuliert und den institutionellen Aufbau der künftigen Union dargestellt.
Ihre Äußerung ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil sie auf eine Frage antwortet, die man sich schon seit einiger Zeit stellt. Nämlich ob die europäischen Staatschefs und insbesondere die einflussreichste von ihnen eine Vorstellung von der Zukunft der Union haben. Zahlreiche Aufschübe und der Schlingerkurs, den die Politiker im Verlauf der Krise gefahren sind, ließen das Gegenteil vermuten.
Außerdem ist die Vision der Bundeskanzlerin vor den Augen aller Europäer ausgebreitet. Ganz besonders vor denen ihrer Partner. Diese spricht sie auch direkt an, was uns zum nächsten Punkt führt: Jetzt, wo sie endlich erklärt hat, wohin sie die Europäische Union lenken möchte, muss sie den “langen Prozess” einleiten, von dem sie spricht.
Doch dazu gehört eine Änderung des politischen Kurses, denn die Zurückhaltung der deutschen Regierung, einige der Maßnahmen zu unterstützen, die ihre Partner erbitten, um aus der Krise zu gelangen — wie zum Beispiel Eurobonds, die Stärkung der Rolle der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Stabilitätsfonds — wirken eher einem engeren Zusammenarbeiten der Union entgegen. Denn Angela Merkel fordert weiterhin sturköpfig von ihren Partnern Disziplin und Sparmaßnahmen, obwohl ihnen das Wasser bis zum Hals steht.
Doch falls Frau Merkel bei der Durchsetzung ihrer “Vision” genauso erfolgreich ist wie beim Durchhalten in Krisenzeiten, hat diese politische Union gute Chancen. Fast möchte man sagen: Top, die Wette gilt, Angela.