Retortenstadt Seseña, im Süden Madrids.

Wie aus dem Wunder ein Albtraum wurde

Mit dem Platzen der Finanzblase ließ auch die gute Konjunktur der Jahrtausendwende nach. Daran werden auch die vorgezogenen Wahlen im November nicht viel ändern können.

Veröffentlicht am 1 August 2011 um 13:52
Retortenstadt Seseña, im Süden Madrids.

Stehend k.o. und kaum noch Kraft, neue Schläge einzustecken. In diesem Zustand befindet sich die spanische Wirtschaft, während José Luis Rodríguez Zapateros Regierung in den letzten Atemzügen liegt. In der Hoffnung, die Krise rückgängig zu machen, versucht der Generalsekretär der Sozialisten seit Monaten, radikale Veränderungen in der Wirtschaftspolitik durchzusetzen.

Doch die Zahlen sind widerspenstig und machen deutlich, dass sich dieser reformerische Wirbelwind bestenfalls langfristig bemerkbar machen könnte. In dieser Legislaturperiode wird sich jedenfalls nichts ändern. Nur drei Stunden vor Zapateros Ankündigung der vorgezogenen Wahlen [am 20. November] erfuhren wir die Zahl, welche unsere Lage auf den Punkt bringt: 4,8 Millionen Arbeitslose.

Einst brachte die Wirtschaft Zapateros Regierung dem Paradies ganz nah. Bald darauf aber stürzte sie in die Hölle der schlimmsten Rezession Spaniens seit dem Bürgerkrieg. Vor den Wahlen 2008 konnte sich der Vorstand der Sozialisten mit den niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit Ende des Franco-Regimes brüsten (Ende 2007 waren es 8 Prozent). Damals produzierte der Staatshaushalt Überschüsse und das starke und nachhaltige Wachstum ließ Spanien in die „Champions League“ der Weltwirtschaft einziehen. Mit einem höheren Pro-Kopf-Einkommen als Italien war die Annäherung an die europäischen Schwergewichte Frankreich und Deutschland nicht mehr nur ein Hirngespinst Zapateros.

Erst Aznar, dann Zapatero leugneten die Krise

Diese Heile-Welt-Vorstellung der spanischen Wirtschaft sollte nicht einmal eine ganze Legislaturperiode anhalten. Wie eine Seifenblase ließ der weltweite Börsenkrach sie platzen. Und nachdem sich die Flutwelle des Crashs von 2008 zurückgezogen hatte, war aus Spanien ein ganz anderes Land geworden: Hier stieg die Arbeitslosigkeit schneller an als anderswo, gestaltete sich der Ausweg aus der Rezession schwieriger als in anderen Ländern und schnellte das Haushaltsdefizit schwindelerregend in spektakuläre Höhen...

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Dem Mikrokosmos der auf den Märkten tonangebenden angelsächsischen Experten (Analysten, Spekulanten, Fachpresse), die zuvor noch das „spanische Wirtschaftswunder“ gepriesen hatten, ging es anschließend nicht schnell genug: Eilig sperrten sie Spanien in den Schweinestall der PIGS.

Mit den weitreichenden Folgen der internationalen Krise musste Spanien die fetten Jahre plötzlich mit anderen Augen betrachten. Jahrelang ritt die Wirtschaft auf der Welle der Spekulationsblase am Immobilien- und Finanzmarkt. Erst leugnete die Regierung Aznars das Ausmaß der Blase, dann diejenige Zapateros.

Eine radikale Wandlung

Keiner oder so gut wie keiner hat vorhersehen können, dass die „toxischen“ Kredite aus den USA die schlimmste Finanzkrise seit der Weltwirtschaftskrise 1929 heraufbeschwören würden. Und als der Kredit versiegte, platzte die Blase, vor der ein jeder die Augen verschlossen hatte. Ihre Explosion legte eine Wirtschaft hochverschuldeter Haushalte und Unternehmen frei – zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

Auch wenn die Zahlen damals ein ganz anderes Bild zeichneten, gleicht Zapateros Mandat im Nachhinein seiner größten, verpassten Chance. Vor besorgniserregenden Entwicklungen wie der niedrigen Produktivität des Landes oder der galoppierenden Verschuldung gegenüber dem Ausland verschloss die sozialistische Regierung die Augen. Am Wirtschaftsmodell, das ihr die Volkspartei hinterlassen hatte, nahm sie lediglich ein paar Veränderungen vor, ohne auch nur eine der Maßnahmen – wie Steuersenkungen – wirklich zu vertiefen.

Der Finanzcrash 2008 machte Zapatero regelrecht benommen und es fiel ihm schwer, sich davon wieder zu erholen. Monatelang leugnete er die Krise. Anschließend relativierte er sie. Und erst als die Märkte und die EU zunehmend Bedenken an der nahen Zukunft Spaniens äußerten, schlug der Regierungschef eine – vielumstrittene – andere Richtung ein.

Eine radikale Wandlung. Plötzlich wurden aus den sozialen Anschauungen der ersten Amtszeit und dem keynesianischen Ansatz der Frühphase der Krise Haushaltskürzungen und drastische Einschnitte. Zapateros Wandlung ereignete sich nach dem Wochenende vom 9. Mai 2010: Damals forderten die die Märkte und seine europäischen Partner eine spektakuläre Kursänderung.

Es galt nur noch die Blutung zu stoppen

Deutschland verlangte von Spanien drakonische Sparmaßnahmen von nicht weniger als 35 Milliarden Euro. Letztendlich waren es nur 15 Milliarden: Mit Gehaltskürzungen für Beamte, Rentennullrunden, Kürzung der öffentlichen Ausgaben und ersten Reformschritten. Zu diesen entschied sich Zapatero mit Büßermiene und ganz nach dem Motto: „Koste es was es wolle und was auch immer es mich kostet“.

Die Arbeitsmarkt- oder die Rentenreform lassen ebenso vermuten, dass Zapateros kopernikanische Revolution im Mai 2010 stattfand. In Wirklichkeit aber konnte die Regierung von diesem Zeitpunkt an nur noch die Blutung stoppen. Und jedes Mal, wenn die Märkte die Kosten für die Finanzierung des Verwaltungsapparats, der Unternehmen und der Haushalte erhöhen, droht die Wunde erneut aufzuplatzen.

Eigentlich wäre die Ankündigung der vorgezogenen Wahlen die Gelegenheit gewesen, die Frage nach dem wirtschaftlichen Erbe aufzuwerfen, das Zapatero seinem Nachfolger hinterlassen wird. Unterdessen zog der Regierungschef zwar die schlechteste Wirtschaftsbilanz unserer jüngeren Geschichte, legte aber gleichzeitig wieder einen übertriebenen Optimismus an den Tag. Er begrüßte die Arbeitslosenzahlen im zweiten Quartal als Zeichen einer „gewissen Trendwende“. Dabei ist diese Verbesserung allein auf saisonbedingte Faktoren – den Tourismus – zurückzuführen. Ohne diesen wären die Arbeitslosenzahlen erneut gestiegen. (jh)

Wirtschaftsaussichten

Märkte lassen keine Margen übrig

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--> Die vorgezogenen Wahlen in Spanien, die am 20. November abgehalten werden sollen, wie Ministerpräsident José Luís Rodríguez Zapatero am 29. Juli mit dem Argument, „Gewissheit“ sei „Stabilität“, ankündigte, werden den beiden Kandidaten keine Chance geben, schreibt die Financial Times, da „weder Rubalcaba und die Sozialisten noch Rajoy und die PP viel Einfluss auf die bedeutendste Wählerschaft von allen in einer derartigen Krise haben, nämlich die internationalen Investoren an den Märkten für Staatsanleihen“.

„Tatsächlich kann die Entscheidung für den Monat November auch dazu beitragen, die Ausmaße der wahrscheinlichen sozialistischen Niederlage zu begrenzen“, heißt es in der FT weiter. Die Umfragen zeigen zwar einen großen Abstand von 14 Punkten zwischen der PP und der PSOE (jeweils 44 und 30 Prozent), doch das Profil des sozialistischen Kandidaten Alfredo Pérez Rubalcaba, „ein erfahrener Politiker, der bei den Wählern beliebter ist“, könnte die Chancen von Mariano Rajoys PP mindern, die Wahlen mit einer landrutschartigen Mehrheit zu gewinnen.

Doch „weder die Gewissheit eines Wahldatums noch der wahrscheinliche Sieg der Volkspartei und damit der rechtsgerichteten Opposition werden zwangsläufig die Ängste der Investoren über Spaniens Zukunft besänftigen“, steckt es doch im „Strudel der Staatsverschuldung“, wie die Wirtschaftszeitung hinzufügt. Laut einem Bericht, den der IWF am 29. Juli veröffentlichte, sei Spanien „noch nicht aus der Gefahrenzone“, obwohl die strengen Wirtschaftsreformen durchaus gelobt werden.

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