Der Markt in Split

Wir wollen kein Freiluft-Lidl!

Mit dem EU-Beitritt werden neue Handelsregeln eingeführt. Das bringt die wunderschönen Märkte in Gefahr und droht schon bald nicht mehr viel von dem übrig zu lassen, was Kroaten und Touristen doch so lieben, bedauert der Schriftsteller Jurica Pavičić.

Veröffentlicht am 16 Juli 2013 um 11:24
Moomoobloo  | Der Markt in Split

Anlässlich des EU-Beitritts Kroatiens hat sich der Jutarnji list-Journalist Zeljko Ivanjek dafür entschieden, die Eindrücke zu schildern, die der Besuch Zagrebs bei seinen ausländischen Freunden weckte. Ihnen allen gefielen die historischen Bauwerke wie die Kathedrale, der Markusplatz, der Lotrscak-Turm oder die Opatovina [die Altstadt Zagrebs]. Was sie alle aber wirklich begeisterte war der Dolac-Markt.

Seit Jahren erzählen die Fremdenführer in Split immer und immer wieder die gleiche Geschichte: Sie erklären, dass die meisten Touristen [nur] fünf Minuten brauchen, um einmal um das Peristyl herumzugehen (ein römischer Platz inmitten des Diokletianpalastes), der Rundgang auf dem Fischmarkt (Peskarija) und dem Obst- und Gemüsemarkt (Pazar) dagegen eine halbe Stunde dauert.

Auf dem [Fischmarkt] Peskarija schießen junge Japaner vom echten Bonito, Gabeldorschen und Seeteufeln Bilder. Auf dem [Obst- und Gemüsemarkt] Pazar probieren Russen Käse, während junge Rucksacktouristen Schattenmorellen, Kirschen und Aprikosen kaufen. Die Touristenströme haben unsere gastronomischen Heiligtümer zu Pilgerstätten gemacht, in denen sie all die Kräuter und seltsamen Pflanzen erforschen, die wir essen und die sie zum ersten Mal sehen: Die Gemeine Wegwarte, wilder Mesclun-Salat, Wildspargel, dalmatinischer Mangold, Felsenkohl und andere Arten von Kreuzblütlern.

Der Markt als Spiegel der Identität

Im Allgemeinen sind alle, die nach Kroatien reisen, von unseren Märkten beeindruckt und beschreiben ihren Besuch als einzigartiges Erlebnis. Auf all meinen Reisen habe ich die Fischmärkte Barcelonas und Lissabons besucht und habe mir den [Flohmarkt] Bit Pazar in Skopje sowie den Mısır Basar in Istanbul angeschaut. In Sarajevo habe ich getrocknetes Ziegenfleisch, in der Türkei Gewürze und in Portugal frischen Kabeljau gekauft. Tatsache aber ist: Nur sehr wenige Märkte können mit jenen mithalten, die man in Kroatien, und insbesondere in Split findet.

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Warum? Ganz einfach! Weil unsere Märkte nicht an entlegenen Orten ausgerichtet werden: Am Stadtrand, in der Nähe der Häfen oder der Industriekühlschränke. Vielmehr werden sie voller Stolz mitten in den Stadtzentren in Szene gesetzt und machen deutlich, welch zentrale Rolle die Ernährung im Leben der Menschen spielt. Unsere Märkte sind das beste Beispiel dafür, wie vielschichtig unsere Identität ist.

Unser Mitteleuropa zeigt sich auf den Auslagen der Märkte in Form von Steinpilzen, Sauerkraut und Bärlauch. Die Balkanstaaten sind mit ihrem bosnischen Käse aus Travnik, Schafskäse, Kaymak (ein Käse, der an Mascarpone erinnert) und Paprikaschoten vertreten. Das Mittelmeergebiet präsentiert sich in seiner vollen grünpflanzlichen Pracht: Artischocken, Wildspargel und Ackerbohnen. Der [Obst- und Gemüsemarkt] (Pazar) und der [Fischmarkt] Peskarija offenbaren, wer wir wirklich sind – ohne jeden Schwindel und ohne uns besser zu machen als wir in Wirklichkeit sind.

Flexiblere EU-Regeln für Märkte

Genau deshalb glaube ich, dass die Märkte und Fischmärkte Teil des immateriellen Erbes der kroatischen Kultur sind. [Folglich] müssen sie als – vom kulturellen, touristischen und anthropologischen Standpunkt aus betrachtet – extrem wichtige Einrichtungen erhalten werden. Allerdings zweifle ich daran, dass das Finanzministerium diese Meinung teilt, zumal es den Obst- und Gemüsehändlern ein ungeeignetes Finanzkontrollmodell aufbürdet, das sie ab sofort dazu zwingt, Registrierkassen zu verwenden und dem Käufer für jede verkaufte Ware einen Beleg auszustellen.

Ich bin wirklich der letzte Mann in diesem Land, der sich der Notwendigkeit widersetzen würde, in allerhand Bereichen für mehr Ordnung zu sorgen. Und obwohl die derzeitige Regierung uns in vielerlei Hinsicht seit eineinhalb Jahren enttäuscht hat, so ist es ihr dennoch gelungen, die Menschen davon zu überzeugen, auf mehr Steuerdisziplin zu setzen. Die Regierung von [Ministerpräsident] Zoran Milanović und [Finanzminister] Slavko Linić hat es geschafft, die Zahl der Steuerflüchtlinge zu verringern, die florierende Schattenwirtschaft abzubauen und die großen Wirtschaftsakteure dazu zu zwingen, sich an die Gesetze zu halten.

Allerdings hätte der Hüter des Staatsschatzes die „Geißel Gottes“ im Bezug auf die Märkte flexibler anwenden müssen. Schließlich könnten seine Maßnahmen die Existenz einer wichtigen kulturellen, touristischen und sozialen Einrichtung gefährden. Aus den traditionellen Märkten dürfen einfach keine Freiluft-Lidl-Märkte, bzw. Einkaufszentren ohne Dach und Klimaanlage werden. Wenn das geschehen würde, wäre dies der Gnadenstoß für einen großen Teil der nationalen Kultur.

Drehscheibe der Kulturen

Unsere Märkte durchleben schwierige Zeiten. Ihre Schönheit und ihren Reichtum verdanken sie der Tatsache, dass sie die Drehscheibe dreier Regionen und Kulturen darstellen, deren Obst-, Gemüse- und Regionalwaren-Händler die besten Botschafter sind – ohne sich dessen auch nur bewusst zu sein.

Der EU-Beitritt droht dieses gut ausgewogene Gleichgewicht zu stören. Auf einen Schlag gibt es da die EU-Grenze und ihre zollrechtlichen Bestimmungen, die sich zwischen uns und den bosnischen Käse aus Livno oder Vlašić stellen. Von nun an trennt uns der Schengen-Raum von den montenegrinischen Granatäpfeln und den mazedonischen Wassermelonen und Tomaten.

Die in Kroatien vertretenen internationalen Supermarktketten haben unseren EU-Beitritt mit einer Welle von Preissenkungen begrüßt, die sicherlich einen Teil der Verbraucher vom traditionellen Markt-Besuch abbringen werden. Insbesondere dann, wenn dort die gleichen Produkte angeboten und auf vergleichbare Art und Weise präsentiert werden wie in den Geschäften, die über Parkmöglichkeiten verfügen und klimatisiert sind.

Ein steriles, monotones Dasein

Hinzukommt, dass die Regierung mit dem Gedanken spielt, die Märkte an die Stromnetze anzuschließen und ihnen Steuerkontrollen aufzubürden. Dementsprechend ist die Gefahr groß, dass sich diese gastronomischen Einrichtungen schon bald zu ganz gewöhnlichen Geschäften unter freiem Himmel verwandeln, die nur teurer, unpraktischer und unhygienischer sein werden als die großen Ketten wie Interspar oder Billa, die ein steriles und kulturell monotones Dasein fristen.

Zwischen den gerechtfertigten Forderungen des Staates und den tatsächlichen Problemen der Obst-, Gemüse- und Fischhändler müssen vernünftige Kompromisse gefunden werden. Wer auch immer diese aushandeln wird, muss stets im Augen behalten, dass die Märkte und die Fischmärkte keine gewöhnlichen Orte sind, an denen es nur um den Verkauf und den Kauf von Waren geht. Sie sind Teil unserer Geschichte und unserer Kultur, fungieren als Spiegel unserer Identität, als Touristenattraktion und unersetzbare Würze unseres Lebens. Worauf immer sich die Obst-, Gemüse- und Fischhändler mit dem Finanzminister auch einigen werden: Die Existenz dieser Tempelbauten unserer Kultur und unserer Lebensweise darf nicht gefährdet werden.

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