Zypern zeigt Europas tiefe Vertrauenskrise

Die Krise in Zypern könnte eine internationale Bankenpanik auslösen und beweist zugleich den Mangel an Vertrauen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Die Länder des Nordens zeigen sich zusehends verärgter über ihre südlichen Nachbarn, denen sie einen Mangel an Verantwortungsbewusstein unterstellen, meint ein britischer Kolumnist.

Veröffentlicht am 21 März 2013 um 13:20

Eigentlich wissen Europas Führungskräfte doch, dass sie mit Zypern ein großes Risiko auf sich nehmen. Seitdem klar ist, dass jeder zur Kasse gebeten wird, der Geld auf zyprischen Bankkonten geparkt hat, werden auch Kontoinhaber in anderen Gegenden Europas nervös. Schließlich könnte es sich hierbei um einen gefährlichen Präzedenzfall handeln. [Bei Erscheinen dieses Artikels hatte Zyperns Regierung noch nicht gegen den Vorschlag einer Zwangsabgabe für alle Sparer abgestimmt.]

Anstatt aber das Risiko in Kauf zu nehmen, in Zukunft ungewollte finanzielle Abzüge hinnehmen zu müssen, könnten sich griechische, spanische, portugiesische oder italienische Kunden vielmehr dafür entscheiden, schleunigst ihr Geld abzuheben. Sollte dies passieren, wird die Eurokrise wieder an die Tür klopfen – und diesmal wird sie gnadenlos sein.

Griechenland hat sich ein paar Schritte vom Abgrund entfernt

Die Menschen, die sich den zyprischen Plan ausgedacht haben, hoffen, dass die Ansteckungsgefahr nur gering ist. Ihrer Meinung nach befinden sich die spanischen Banken auf dem Weg der Besserung. Und selbst Griechenland ist es gelungen, sich ein paar Schritte vom drohenden Abgrund zu entfernen. Für die Kontoinhaber gibt es also keinen wirklichen Grund dafür, aus dem Fall Zypern Konsequenzen zu ziehen, zumal die Insel eine Ausnahme darstellt und ihre Banken vor allem russisches Geld hüten.

Vielleicht ist dem auch so. Nur haben sich die EU-Führungsspitzen im Vorfeld schändlich verkalkuliert. Bei ihrem Gipfeltreffen in Deauville im September 2010 gaben sie bekannt, dass die Inhaber von Staatsanleihen aus Ländern, die unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen, einen Teil ihres Geldes verlieren würden. In der Folge verschärfte sich die Euro-Krise nur noch mehr, weil Investoren begannen, viel höhere Zinsen zu fordern, um scheinbar riskanten Ländern wie Italien oder Spanien auch weiterhin Geld zu leihen.

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Mit der Glaubwürdigkeit der EU-Führungskräfte ist es vorbei

Warum nur sind die EU-Führungskräfte, nachdem sie sich so sehr um den Euro bemüht haben, in Zypern ein solches Wagnis eingegangen? Die Antwort lautet: Auch mit Ihrer Kreditwürdigkeit ist es vorbei. Mit ihrer politischen Glaubwürdigkeit .

Dieses [Glaubwürdigkeits-]Defizit zeigt sich im Norden und Süden Europas auf unterschiedliche Art und Weise. Für die Verantwortlichen von Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Finnland machte es Sinn, dass ihre Wähler und Parlamente kein weiteres Rettungspaket billigen wollten, bis endlich harte Strafen greifen.

Zypern ist recht klein. Folglich bleiben auch die Geldbeträge, die gebraucht werden, um das Land zu stützen, übersichtlich: „Gerade einmal“ 17 Milliarden Euro. Das Problem aber ist, dass am zyprischen Beispiel ganz besonders deutlich wird, wie wenig Vertrauen sich Nord-und Südeuropäer eigentlich entgegenbringen – es herrscht ein fundamentaler Vertrauensmangel.

Die zyprische Geldwäscherei läuft völlig außer Rand und Band

Seit Beginn der Krise strotzen die deutschen Medien nur so vor Berichten über die Korruption im Süden. Deutschlands Stimmberechtigte wurden fast schon dazu ermutigt, zu glauben, dass ihr hart verdientes Geld verwendet wird, um prinzipiell heruntergekommene Länder aus dem Dreck zu ziehen.

Ferner stellt Zypern ein solch großes Problem dar, weil sich seine Banken – zurecht – als Paradies für russische Schwarzgelder einen Namen gemacht haben. Der Gesamtbetrag, der auf Zypern einen „Round-Trip“ machte [Wertpapiere werden innerhalb kurzer Zeit gekauft und wieder verkauft] und anschließend nach Russland überwiesen wurde und wieder zurückkam, lässt vermuten, dass die zyprische Geldwäscherei völlig außer Rand und Band lief.

Kein Mitgefühl mehr für den kleinen Mann in Südeuropa

Jene Kontoinhaber ins Visier zu nehmen, die mehr als 100.000 Euro horten, scheint ein wirksamer Weg zu sein, wenn man es tatsächlich auf illegales russisches Kapital abgesehen hat. Die rätselhafte und riskante Entscheidung, Kleinanleger gleichermaßen zu besteuern, zeigt aber deutlich, dass man nicht einmal mehr für den „kleinen Mann“ im Süden Europas so etwas wie Mitgefühl übrig hat.

Theoretisch hätten Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere EU-Spitzen ihre Wähler darum bitten können, in den sauren Apfel zu beißen und Zypern zu retten, ohne dafür eine Gegenleistung zu fordern. Mit der Begründung, dass man sonst das Risiko eines europäischen Ansturms auf die Banken eingehe, der die Finanzinstitute zusammenbrechen lassen würde. Möglicherweise selbst im eigenen Land. Doch hätten die Wähler darauf sicher noch wütender und verständnisloser reagiert.

Eine Vertrauenslücke zwischen Nord- und Südeuropa

Zudem war von der politischen Glaubwürdigkeit der zyprischen Machthaber in allen anderen Teilen Europas nicht mehr viel übrig. Viele EU-Spitzen waren schon 2004 überzeugte Gegner eines EU-Beitritts Zyperns gewesen, zumal es der Insel nicht gelungen war, Friedensregelungen umzusetzen, um die Insel zu wieder zu vereinen. Doch drohte Griechenland damals, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen und den gesamten EU-Erweiterungsprozess, also auch jenen Polens, der Tschechischen Republik und aller anderen zu blockieren, bis Zypern aufgenommen würde. Widerwillig beugten sich die EU-Spitzen dieser Erpressung, auch wenn bei vielen ein bitterer Nachgeschmack blieb. Als griechische Zyprioten dann den Annan-Plan für die Neuordnung der Situation auf Zypern ablehnten, geriet Zypern ins Schlingern. Nach und nach versiegte der Brunnen des Mitgefühls.

Gleichwohl lässt das noch viel größere Problem nicht nach: Die Vertrauenslücke und die Kluft zwischen den politischen Kulturen Nord- und Südeuropas. Vor der Krise, als die Dinge noch ganz gut funktionierten, bekam man gleich den Stempel ‚politisch nicht korrekt’ oder gar ‚fremdenfeindlich’ aufgedrückt, wenn man andeutete, dass die Ansprüche der Öffentlichkeit an Rechtschaffenheit in Europa stark variieren, und dass dies für eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine „immer engere Union“ herbeizuführen, höchst problematisch ist.

Der Norden kämpft mit eigenen Korruptionsproblemen

Ferner zeichnet sich inzwischen zunehmend ab, dass das mangelnde Vertrauen und die nicht miteinander zu vereinbarenden politischen Kulturen mindestens genau so bedeutend sind, wie die wirtschaftlichen Differenzen. Zudem haben die Deutschen, Niederländer und Skandinavier mit ihren ganz eigenen Korruptionsproblemen im öffentlichen Leben zu kämpfen. Folglich ist es besonders ungerecht, nur die Karikatur eines ausschließlich korrupten und faulen Südeuropas zu zeichnen.

Dennoch ist es eine Tatsache, dass Steuerhinterziehung vor allem in Ländern wie Griechenland und Italien grassiert. Genau deshalb ist es ja auch immer so anstrengend, die Wählerschaft im Norden davon zu überzeugen, dem Süden aus der Patsche zu helfen.

Italiens oder Griechenlands Botschafter essen besser

Selbst wenn man das Ganze nur beiläufig betrachtet, so steht dennoch eines fest: Bei der Frage, wie mit öffentlichen Geldern umgegangen werden soll, gehen die Meinungen weit auseinander. Vor ein paar Jahren wurde ich zu einem Treffen niederländischer Botschafter aus der ganzen Welt eingeladen. Zum Mittagessen gab es nicht wirklich appetitanregende Schnittchen und Chips, die im Stehen verzehrt wurden. Aber ich vermute einmal, dass Italiens oder Griechenlands Botschafter besser essen, obwohl es wesentlich schlechter um ihre Staatsfinanzen steht

Gewiss ist das eine belanglose Anekdote, aber sie steht für die Art von kulturellen Unterschieden, die erklärt, warum Nordeuropa nun, als es um die Banken Zyperns ging, gesagt hat: „Basta“.

Wenn es Europa nicht schaffen sollte, die Regeln des öffentlichen Lebens irgendwie aufeinander abzustimmen, droht die immer grösser werdende Vertrauenslücke schlussendlich dazu zu führen, dass erst die Eurozone, und anschließend die EU selbst zusammenbricht.

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