Ideen Corona-fonds

Europa kann nur weiterleben, wenn die Europäer jetzt füreinander einstehen

Peter Bofinger, Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, Rainer Forst, Marcel Fratzscher, Ulrike Guérot, Jürgen Habermas, Axel Honneth, Eva Menasse, Julian Nida-Rümelin, Volker Schlöndorff, Peter Schneider und Margarethe von Trotta fordern einen Corona-Fonds.

Veröffentlicht am 4 April 2020 um 13:50

In den vergangenen Tagen sind allein in Italien und Spanien Tausende am Coronavirus gestorben, in Italien waren es 1000 in 24 Stunden, in Spanien 800. Diese Meldungen kommen nicht von einem anderen Planeten oder von einem weit entfernten Kontinent. Sie erreichen uns aus unseren Nachbarländern, denen wir verbunden sind. Wir, die Verfasser, gehören zu den Liebhabern der mediterranen Kultur. Aber man muss kein Liebhaber sein, um über das ungeheure Ausmaß der Zerstörung zu erschrecken, das das Coronavirus in diesen Ländern jetzt schon angerichtet hat.

Die Pandemie hat überall in Europa beeindruckende Beispiele von Nachbarschaftshilfe und Solidarität hervorgebracht. Tausende von jungen Leuten melden sich freiwillig, um allein lebende ältere Menschen in ihren Wohnungen zu versorgen; das Land Sachsen nimmt schwer kranke Patienten aus Italien auf, das Saarland bietet unversorgten französischen Patienten Hilfe an, andere Bundesländer sowie der Bund engagieren sich ebenfalls. Ein neues Klima ist zu spüren: Es ist geradezu populär, Hilfsbereitschaft, Empathie und Hoffnung zu zeigen.

Aber in der entscheidenden Frage bleiben die Nordländer gegenüber den Brüdern und Schwestern aus dem Süden zurückhaltend: Sie weigern sich strikt, einem von allen EU-Mitgliedern garantierten Fonds zuzustimmen, durch den es möglich wäre, die riesigen finanziellen Lasten der Krise gemeinsam zu schultern. Ein solcher Fonds würde vermeiden, dass ein Schock, der im Prinzip alle Mitgliedsstaaten trifft, jene Länder überfordert, die schon vor der Krise mit einer sehr hohen Staatsverschuldung zu kämpfen hatten.

Die Europäische Kommission sollte daher einen Corona-Fonds einrichten, der in der Lage ist, sich auf den internationalen Kapitalmärkten möglichst sehr langfristig zu verschulden. Aus diesem Fonds sollten die Mittel als Transfers an die Mitgliedsstaaten fließen. Mit dieser Konstruktion würde verhindert, dass sich die Verschuldung der einzelnen Mitgliedsstaaten erhöht. Der Fonds würde aus dem EU-Haushalt Mittel für die Zinszahlungen erhalten.

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Der von uns vorgeschlagene Fonds sollte nicht mit dem Modell der Eurobonds verwechselt werden, die als Lösung für die Euro-Krise der Jahre 2010 bis 2012 vorgeschlagen worden waren. Bei den Eurobonds ging es darum, eine gemeinsame Haftung für einen erheblichen Teil der in der Vergangenheit entstandenen nationalen Verschuldung zu etablieren. Bei den Corona-Bonds sollen die aktuell und in den kommenden Monaten entstehenden Schulden gemeinschaftlich getragen werden. Es geht also um eine zeitlich begrenzte Maßnahme, die es Italien und anderen in ihrer Existenz bedrohten Ländern erlauben würde, die Krise und die Zeit danach politisch und ökonomisch zu überleben. Hier nichts zu tun käme unterlassener Hilfeleistung gleich.

Es ist für uns nur schwer nachvollziehbar, warum die Bundeskanzlerin und der Vizekanzler so große Vorbehalte gegenüber diesem für die europäische Solidarität und Stabilität notwendigen Schritt an den Tag legen. Bei dieser Solidarität geht es auch um ein gemeinsames Bewusstsein von der Krise. Es gilt gerade jetzt, Wege zu finden, mit denen wir verdeutlichen können, dass wir zusammengehören, dass wir vom gleichen "Zauber gebunden sind", wie es in unserer Hymne heißt.

Wozu soll die EU denn gut sein, wenn sie in Zeiten von Corona nicht zeigt, dass Europäer zusammenstehen und für eine gemeinsame Zukunft kämpfen? Das ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern auch eines Eigeninteresses. In dieser Krise sitzen wir Europäer alle in einem Boot. Wenn der Norden dem Süden nicht hilft, dann verliert er nicht nur sich selbst, sondern auch Europa.

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