Analyse Energiemärkte

Ist Biogas eine nachhaltige Alternative zu Erdgas?

Trotz der rückläufigen Tendenz seit August 2022 werden die europäischen Erdgaspreise voraussichtlich auf einem höheren Niveau bleiben als vor der russischen Invasion der Ukraine. Auch die Gaspreise werden voraussichtlich weiter schwanken.

Veröffentlicht am 28 März 2023 um 10:30

Neben den Klimazielen ebnen die steigenden oder schwankenden Erdgaspreise den Weg zu alternativen Energien, die nicht nur ein Mittel zur Verringerung der nationalen CO2-Bilanz sind, sondern mehr und mehr zu einem strategisch wichtigen Sektor werden. Die europäischen Institutionen, in denen Bioenergie ein wichtiges Thema geworden ist, erwarten von der Branche ein erhebliches Wachstum. 

Biogas und seine veredelte Version Biomethan sind in der Lage, das derzeitige Energiesystem zu dekarbonisieren, im Gegensatz zu kohlenstoffarmer Elektrizität. Zudem können die beiden Gase Stromsysteme, die auf erneuerbaren Energien basieren, flexibler machen, wie das Beispiel Dänemark zeigt. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist der Anteil von Biomethan im dänischen Gasnetz erheblich gestiegen und erreichte gegen Ende des Jahres 35 Prozent des insgesamt eingespeisten Gases. 


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Nach Angaben der Internationalen Energieagentur liegen über 60 Prozent der Produktionskapazitäten von Biogas in Europa und Nordamerika. Europa ist mit 20.000 Biogas- und Biomethananlagen die führende Region in der Biogaserzeugung.

Aktuelle Biogas- und Biomethanproduktion

Ein Bericht des Oxford Institute for Energy aus dem Jahr 2017 zeigt, dass das Wachstum der Branche in Europa hauptsächlich zwischen 2009 und 2015 stattgefunden hat, mit einem Ausbau der Biogasanlagen von 6.000 auf 17.000. Nach Deutschland sind Italien und Frankreich die beiden Länder mit den meisten Anlagen.

Die Entwicklung hängt von den politischen Rahmenbedingungen ab, vor allem von Anreizsystemen wie Einspeisetarifen, aber auch davon, welche Rohstoffe für die Erzeugung von Biogas verwendet werden dürfen. So wurde beispielsweise der Biogas-Boom in Deutschland gebremst, als 2014 ein Gesetz eingeführt wurde, das die Verwendung von Mais zur Biogasproduktion eingeschränkt hat. Grund dafür war, dass weniger Rohstoffe zur Herstellung von Biogas verwendet werden sollten, die auch zur Lebensmittelversorgung beitragen können. Die jüngste Nahrungsmittelkrise aufgrund der geopolitischen Spannungen mit Russland hat dieser Argumentation recht gegeben.  

Auch die Industrie hat nach wie vor Einwände: Bevor sie die notwendigen Investitionen für Biogasproduktionen tätigt und den Import von Erdgas einschränkt, will sie langfristige Sicherheiten und eine vereinfachte Bürokratie.

Der Fall Dänemark 

Dänemark hat beschlossen, dass Energiepflanzen zur Biogasherstellung bis 2030 vollständig abgeschafft werden sollen. Das Land wird seine Aufmerksamkeit auf Abfälle und Rohstoffe verlagern. Etwa ein Drittel des dänischen Biogases stammt bereits aus Gülle, wobei 10 Prozent der Biogasproduktion auf Schweinegülle entfallen. Die restlichen zwei Drittel stammen aus der Landwirtschaft und aus organischen Haushaltsabfällen.

Dänemark ist derzeit das europäische Land mit dem größten Wachstum in der Branche. Die Biogaserzeugung stieg von etwa 1,39 TWh (0,14 Mrd. m³) im Jahr 2014 auf 7 TWh (0,7 Mrd. m³) im Jahr 2021. Den höchsten Anteil von Biogas und Biomethan am Gesamtgasverbrauch hat Dänemark mit 24 Prozent, gefolgt von Schweden (20%) und der Slowakei (12%).

"Es gibt in Dänemark bereits ein Ausschreibungssystem, das 2020 genehmigt und 2021 in ein Gesetz umgesetzt wurde. Uns fehlt nur noch die Genehmigung der staatlichen Hilfen aus Brüssel. Wir hoffen, dass wir sie sehr bald bekommen", erklärt Bruno Sander Nielsen, Direktor des dänischen Biogasverbandes. Der dänische Biogassektor dürfte noch weiter wachsen, wenn sich die europäischen Institutionen auf leichter zugängliche Beihilfen für bestimmte Sektoren einigen und die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern zunimmt. 

"Der Anstieg der Biomethanproduktion sowie der Rückgang des Erdgasverbrauchs aufgrund von Preissteigerungen können bis Ende 2027 zu einer vollständigen Substitution führen", meint Nielsen. Mit anderen Worten: Das Land könnte bald völlig unabhängig von fossilem Gas sein. Die dänische Industrie wird sich nicht nur auf Subventionen verlassen. Es gibt auch implizite Anreize, wie die Verpflichtung zur CO2-Reduzierung im Verkehrssektor, die die Akteure der Energiebranche dazu zwingen werden, neue Kraftstoffe zu entwickeln. "Biogas ist sehr wettbewerbsfähig. Das bedeutet, dass ein Teil der Biogaserzeugung im Rahmen der Förderprogramme in nicht subventioniertes Biomethan umgewandelt werden wird. Derzeit werden 80 Prozent des Biogases in Biomethan umgewandelt und in das Netz eingespeist. 

Langfristiges Potenzial und Ziele 

Italien ist ein weiteres europäisches Land mit großem Biogas-Potenzial aufgrund der kurzen Wintersaison und der konsolidierten landwirtschaftlichen Produktion. Im Gegensatz zu Dänemark wird das meiste Biogas in Italien derzeit direkt zur Wärme- und Stromerzeugung genutzt und nicht zu Biomethan aufbereitet. Das Land arbeitet jedoch daran, das zu ändern.

Nach Angaben lokaler Landwirtschaftsverbände könnten in den nächsten Jahren rund 100 neue Konsortien in Italien Biogas produzieren. Nach einem 10-prozentigen Wachstum in den nächsten 12 Monaten könnte die Produktion bis 2026 um 500 Prozent steigen, so der italienische Biogasverband (CIB), der die Biogasproduktion im Agrarsektor vertritt. Laut CIB geht die italienische Regierung davon aus, dass die Biomethanproduktion im Jahr 2026 2,3 bis 2,5 Mrd. m³ erreichen wird und der Agrarsektor bis 2030 6,5 Mrd. m3 Biomethan produzieren wird. Weitere 1,5 Mrd. m³ könnten bis 2030 mit Hilfe von EU-Fördergeldern aus der Verarbeitung von Siedlungsabfällen stammen. 

"Der REPowerEu-Plan der Europäischen Kommission erkennt die wichtige strategische Rolle von Biomethan bei der Energiewende an: Es wird erwartet, dass bis 2030 mehr als 35 Mrd. m³ Biomethan in der EU erzeugt werden. Darüber hinaus kann das europäische Biomethanpotenzial bis 2050 eine Produktion von weit über 167 Mrd. Kubikmetern erreichen, was 35-62 Prozent des Gasbedarfs im Jahr 2050 decken würde", erklärte der CIB.

Der Verband hat einen Fahrplan für die agrarökologische Umstellung der italienischen Landwirtschaft vorgelegt, der darauf abzielt, eine Kreislaufwirtschaft zu fördern und die Emissionen im Einklang mit den EU-Zielen zu reduzieren. Italien fördert insbesondere den sequenziellen Anbau, d. h. den Anbau von zwei oder mehr Kulturen nacheinander auf demselben Feld im selben Jahr, wodurch sowohl landwirtschaftliche Erzeugnisse für die Lebensmittelproduktion als auch organisches Material für die Biogasproduktion gewonnen werden. 

"Dieses Modell wurde in Italien bereits vor 10 Jahren entwickelt. Wir sind unserer Zeit sehr weit voraus. So hat sich bis 2050 ein großes Potenzial entwickeln können. Die strategische Bedeutung des Biogassektors hat auch damit zu tun, dass wir den Böden im Mittelmeerraum, wo die Erosion ein weitverbreitetes Phänomen ist, wieder Nährstoffe zuführen müssen", sagte David Chiaramonti, Vizerektor der Universität Turin. 

Nicht alle großen landwirtschaftlichen Erzeuger in der EU (Spanien, Frankreich, Polen, Rumänien, Deutschland) verfügen über klimatische Bedingungen, die eine unkomplizierte Umsetzung des sequenziellen Anbaus ermöglichen. Dennoch befassen sich auch nördliche Mitgliedsstaaten wie Dänemark mit diesem Thema. Chiaramonti betont, dass die aktuellen Diskussionen auf europäischer Ebene einschließlich der Debatte über die neue Richtlinie über erneuerbare Energien (RED3) im Laufe des Jahres abgeschlossen sein dürften.  

Integration von Biomethan und Wasserstoff 

Trotz des jüngsten Widerstands gegen die Nutzung von Energiepflanzen für die Biogaserzeugung in Deutschland gehen Experten davon aus, dass die Biogasproduktion auch dort steigen wird. Grund dafür ist vor allem der Sinneswandel der Bundesregierung, ausgelöst durch die aktuellen geopolitischen Spannungen. "Ende Dezember hatten wir ein paar Tage, an denen die Biogasbranche der drittgrößte Stromerzeuger in Deutschland war, weil Wind und Sonne fehlten. Die Regierung hat die Bedeutung von Biogas mittlerweile erkannt", sagt Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer des Fachverbandes Biogas. 

Die Debatte um die deutsche Strategie wird voraussichtlich noch bis Ende des Jahres andauern. Die Kernfrage ist, welche Einsatzstoffe künftig in Biogasanlagen verwendet werden sollen. Weitere Fragen sind, ob das Biogas direkt zur Stromerzeugung (Kraft-Wärme-Kopplung) oder zur Erzeugung von Biomethan für andere Sektoren einschließlich des Verkehrs genutzt werden soll.

"Es ist machbar, Power-to-Gas in Biogasanlagen zu integrieren, da bei der Produktion von Biomethan viel CO2 anfällt, das zur Herstellung von Methan aus Wasserstoff verwendet werden kann. Dies würde die Prognosen für Biogas und Biomethan in Deutschland auf 180 TWh (18,42 Mrd. m3) und 230 TWh (23,54 Mrd. m3) erhöhen", so Maciejczyk. Mit anderen Worten: Die Biogas- und Biomethan-Technologien sind bereits ausgereift, aber Innovation und Integration mit anderen Energiequellen könnten, wenn sie gefördert werden, nachhaltig noch weitere Früchte tragen.

Biogas verhindert die Stickstoffverschmutzung und fängt Methanemissionen auf, die andernfalls aus Mülldeponien oder Güllelagunen entweichen würden. Eine wissenschaftliche Studie von drei Forschern des Imperial College London, die in One Earth veröffentlicht wurde, weist darauf hin, dass die Emissionen aus der Biomethan- und Biogasversorgungskette aufgrund der hohen Methanverlustraten bisher möglicherweise unterschätzt wurden.

Grenzüberschreitender Handel, technologische Verbesserungen und ein Umdenken in der Landwirtschaft könnten zu einem Rückgang der Preise für Biogas und Biomethan führen, die auf Länderebene bereits wettbewerbsfähig sind. So rechnet das französische Energieunternehmen ENGIE mit einer Kostensenkung von 30 Prozent bis 2030 und der Verein Gas für's Klima schätzt, dass Biogas und Biomethan zwischen 2030 und 2050 durchschnittlich um das Dreifache in Deutschland, Frankreich, Italien und Dänemark zunehmen werden.

Die Prognosen variieren jedoch stark. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sind Schätzungen der Produktion besonders kompliziert, da Biogas und seine Derivate in der Regel in der Nähe des Erzeugungsortes verbraucht werden, und zum anderen hängen die Daten von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die sich - nach Ansicht mancher- zu langsam entwickeln.

In Partnerschaft mit der European Data Journalism Network

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