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Wie europäische „grüne“ Finanzierungen Big Oil zugutekommen

Nicht weniger als fünfzig Prozent der Gelder in europäischen Investmentfonds werden als „nachhaltig“ bezeichnet. Eine umfassende Untersuchung dieser vermeintlich „grünen“ Anlagen zeigt, wie die Giganten der fossilen Energiewirtschaft fast die Hälfte des investierten Kapitals in der Hand haben, ohne dass die Anleger angemessen informiert werden. Es gibt zwar Gesetze, aber sie erlauben kein Handeln.

Veröffentlicht am 11 Oktober 2023 um 18:57

In Frankfurt, dem Finanzzentrum Europas, schien es ein ganz normaler Dienstag zu sein. In den beiden riesigen Wolkenkratzern der Deutschen Bank gingen Hunderte von Bankern ihrer Arbeit nach. Auf der anderen Straßenseite, bei der DWS, der Vermögensverwaltungssparte der Deutschen Bank, hatten die Mitarbeiter ihren Tag ebenfalls arglos begonnen.

Doch dann, mitten an diesem Morgen im Mai 2022, stürmten etwa fünfzig Polizeibeamte die Büros der Deutschen Bank und der DWS. Mitarbeiter wurden befragt, Akten beschlagnahmt und Daten aus Computersystemen abgefragt. Der Vorwurf: Greenwashing. Die DWS soll ihre Finanzprodukte als wesentlich umweltfreundlicher dargestellt haben, als sie es in Wirklichkeit waren.

Nachhaltige Investments waren einst eine Nische. Ethische Investoren spielten eine bescheidene Rolle bei der Abschaffung der Sklaverei: Sie weigerten sich, Geld in Branchen zu investieren, die für Sklavenarbeit bekannt waren. Eine kleine Gruppe europäischer und US-amerikanischer Anleger wandte sich Ende des letzten Jahrhunderts von Shell ab, weil das niederländisch-britische Unternehmen im von der Apartheid geprägten Südafrika tätig war.

Dann wurden Impact-Fonds gegründet, die sich auf Investitionen mit positiven sozialen Auswirkungen konzentrieren, anstatt Unternehmen auszuschließen. Die niederländische nachhaltige Bank Triodos beispielsweise legte in den 1990er Jahren einen Fonds zur Finanzierung von Ackerland auf, der den ökologischen Landbau fördert. Sein Volumen: 25 Millionen Gulden (umgerechnet: 11,3 Millionen Euro). ‚Er war noch winzig‘, erinnert sich Marilou van Golstein Brouwers. Sie war Geschäftsführerin von Triodos Investment Management und an der Gründung des Fonds beteiligt. ‚Die Leute, einschließlich der Regierung, waren positiv überrascht, dass Privatpersonen bereit waren, in eine öffentliche Sache zu investieren‘.

Nachhaltiges Investieren ist heute keine ‚Winzigkeit‘ mehr, wenn man der Finanzbranche glauben darf. Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Investmentfonds, die den Anspruch erheben, das Geld ihrer Kunden nachhaltig anzulegen, stetig gewachsen. Die Entwicklung begann langsam: Im Jahr 2010 bezeichneten sich nur 3 Prozent der europäischen Investmentfonds als nachhaltig.


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Der Durchbruch kam im Jahr 2015. In diesem Jahr wurde das Pariser Klimaabkommen geschlossen, die Vereinten Nationen legten die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) fest, und Papst Franziskus rief die Menschheit in der Enzyklika Laudato Si dazu auf, bedachtsam mit der Schöpfung umzugehen. Die Anleger haben darauf reagiert. Es geht ihnen nicht mehr nur um die finanzielle Rendite, sondern sie wollen immer häufiger mit ihren Investitionen einen Beitrag zu einer besseren Welt leisten.

Die Finanzbranche ist diesem Ruf gefolgt. In Europa wurden in diesem Jahr rund 100 neue Fonds aufgelegt, die sich als nachhaltig bezeichnen; derzeit kommen pro Quartal rund 100 neue hinzu. Nach Angaben des Finanzdienstleisters Morningstar sind derzeit 50 Prozent aller Gelder in europäischen Investmentfonds als nachhaltig gekennzeichnet. Insgesamt sind das über 4,18 Billionen Euro, ein Betrag, der der Marktkapitalisierung von Alphabet, ASML, Coca-Cola, Nestlé, Pfizer, Samsung, Shell, Toyota, Walt Disney und Walmart zusammen entspricht.

Das ist eine Menge Geld. Aber wo landet es tatsächlich? Halten die Investmentfonds, die Nachhaltigkeit versprechen – und denen Millionen von Europäern Billionen von Euro anvertrauen – wirklich ihr Versprechen?

Die Great Green Investment Investigation wurde ins Leben gerufen, um diese Fragen zu beantworten. Es handelt sich um ein europaweites Kollektiv für investigativen Journalismus, das von den niederländischen Plattformen Follow the Money und Investico gegründet wurde und dem das Handelsblatt (Deutschland), Le Monde (Frankreich), El País (Spanien), IRPI (Italien), De Tijd (Belgien), Børsen (Dänemark), Der Standard (Österreich), Luxemburger Wort und Luxembourg Times (Luxemburg) angehören. Mit 26 Journalisten aus neun verschiedenen europäischen Ländern haben wir untersucht, wo genau das Geld der europäischen Investoren, die nachhaltige Anlagen suchen, landet.

Trump verbessert Ihre Nachhaltigkeitsbewertung

Als großer Stolperstein erweist sich, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht eindeutig gesetzlich definiert ist. Deshalb kann man ihn leicht auf fast alles anwenden. Für viele Investmentfonds bedeutet „Nachhaltigkeit“ lediglich, dass die sogenannten ESG-Kriterien (ESG steht für Environmental, Social and Governance, also Kriterien in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) bei der Entscheidung für ein bestimmtes Unternehmen eine Rolle gespielt haben.

Dies kann weit ausgelegt werden: Viele Fonds, die den Anspruch erheben, nachhaltig zu sein, konzentrieren sich nicht wirklich auf den umwelt-, sozial- oder governance-bezogenen Beitrag eines Unternehmens zur Welt, sondern darauf, wie sich Veränderungen der ökologischen, sozialen oder Governance-Bedingungen auf dieses Unternehmen auswirken könnten.

Tariq Fancy, ehemaliger Leiter der Abteilung für nachhaltige Investitionen von BlackRock, dem weltgrößten Asset Manager, erklärt dies wie folgt: ‚Angenommen, Trump kommt wieder an die Macht. In diesem Fall würden die ESG-Bewertungen vieler Unternehmen steigen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass diese Unternehmen in Amerika mit neuen Sozial- oder Umweltgesetzen konfrontiert werden, abnimmt.‘ ESG misst also nicht wirklich den Einfluss eines Unternehmens auf die Welt, sondern vielmehr, wie die Welt ein Unternehmen beeinflusst. ‚Es geht um Wert, nicht um Werte‘, so Fancy.

Bei den 4,18 Billionen Euro aus europäischen Investmentfonds, die angeblich in nachhaltige Anlagen fließen, handelt es sich also in Wirklichkeit um eine Reihe von Geldtöpfen, die jeweils eine andere Interpretation von Nachhaltigkeit verwenden. Am einen Ende des Spektrums bedeutet nachhaltiges Investieren, dass der Fonds ESG-Bewertungen ‚berücksichtigt‘, wenn er sich entscheidet, in etwas zu investieren. Soziale Auswirkungen sind kein Ziel, und sozialer Schaden ist kein Grund, ein Unternehmen auszuschließen; es wird lediglich untersucht, wie sich eine nachhaltiger werdende Welt auf die Rendite eines Unternehmens auswirken könnte.

Am anderen Ende des Spektrums finden wir die Impact-Fonds, bei denen die finanzielle Rendite keine oder eine geringere Rolle spielt und der Erfolg an der durch eine Investition erzielten sozialen Verbesserung gemessen wird. Dazu gehören Fonds, die in den ökologischen Landbau, in Naturschutzgebiete oder in die Bildung von Mädchen investieren: nicht um damit Geld zu verdienen, sondern um die Welt zu verbessern. Sie definieren Nachhaltigkeit auf eine ganz andere Weise.

Grau, hellgrün, dunkelgrün

Die Europäische Union versucht seit mehreren Jahren, die verworrenen Auslegungen zu klären. Im Jahr 2018 entwickelte sie den Aktionsplan für nachhaltige Finanzen, eine Strategie zur Verlagerung von Geldströmen von Unternehmen, die zur globalen Erwärmung beitragen, auf nachhaltige Initiativen. Inzwischen ist dieser Plan Teil des Green Deal, des Programms, mit dem Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt werden will.

Die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (SFDR) ist ein wichtiger Teil dieses Plans. Nach diesen neuen Regeln, die seit März 2021 offiziell in Kraft sind, sind Fondsmanager verpflichtet, eine Nachhaltigkeitsbewertung ihres Fonds vorzulegen. Dabei können sie zwischen drei Varianten wählen: grau, hellgrün und dunkelgrün. Graue Fonds (offiziell: Artikel 6- und Artikel 7-Fonds) müssen lediglich eine Analyse der Nachhaltigkeitsrisiken vorlegen, denen sie ausgesetzt sind. Hellgrüne Fonds (offiziell: Artikel-8-Fonds) müssen nachhaltige Ziele verfolgen und erklären, wie sie dies tun.

Und schließlich die Artikel 9-Fonds. Der Markt bewirbt diese Kategorie als die nachhaltigste Form der Anlage. Unternehmen wie BNP Paribas, Deutsche Bank, ABN Amro, Unicredit, Deloitte, Robeco und ING Bank bezeichnen diese Fonds als ‚dunkelgrün‘.

Diese Kategorie hat die höchsten Nachhaltigkeitsanforderungen. Fonds, die den Status von Artikel 9 beanspruchen, müssen ein ausdrückliches soziales oder ökologisches Ziel verfolgen, zum Beispiel die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung. Außerdem dürfen sie anderen nachhaltigen Zielen in keiner Weise ‚erheblichen Schaden‘ zufügen. Selbst wenn ein Artikel 9-Fonds nur Menschenrechtsverletzungen verhindern will, dürfen seine Investitionen das Klima oder die Natur nicht wesentlich schädigen.

Ein Fonds, der die Einstufung als Artikel-9-Fonds beansprucht, hat eindeutig kommerzielle Vorteile. Während die Aktienmärkte in den letzten Monaten aufgrund von Inflationsdruck, Geopolitik und drohender Rezession rückläufig waren, floss in Europa mehr Geld in grüne Fonds. Nach Angaben der European Fund and Asset Management Association (EFAMA) haben Artikel-6- und Artikel-8-Fonds seit Anfang des Jahres zweistellige Milliardenbeträge verloren, während das Kapital der Artikel-9-Fonds um 31 Milliarden Euro gestiegen ist. Mit anderen Worten: Die Artikel 9-Kennzeichnung zieht Kunden an.

Tausende von Investitionen in die Luftfahrt und die fossile Brennstoffindustrie

Deshalb konzentriert sich The Great Green Investment Investigation auf diese Artikel 9-Fonds, um herauszufinden, was mit dem Geld der nachhaltigkeitsbewussten europäischen Anleger geschieht. Schließlich müssen diese Fonds die strengsten Anforderungen erfüllen und sollten grüner als grün sein.

Zunächst haben wir alle europäischen Fonds aufgelistet, die sich selbst als Artikel 9 eingestuft haben. Insgesamt sind es 1141 (Stichtag: 30. Juni 2022). Anschließend haben wir versucht, ihr komplettes Portfolio herauszufinden, was bei 838 Fonds, also drei Vierteln der Gesamtzahl, gelang. Die Portfolios enthielten insgesamt 130.000 Anlagen im Wert von über 619 Milliarden Euro.

Wir haben diese Investitionen an einem Nachhaltigkeitsmaßstab gemessen, wobei wir die Schwelle für die Einstufung als ‚nachhaltige Investition‘ niedrig hielten. Während die europäischen Regeln für nachhaltige Investitionen eine weit gefasste Definition von Nachhaltigkeit verwenden – von sozialer Nachhaltigkeit, wie der Achtung der Menschenrechte und guter Beschäftigungspraktiken, bis hin zu ökologischer Nachhaltigkeit, wie der Vermeidung von Schäden an der Natur und der Wasserqualität – haben wir nur die Klimaschäden untersucht, die von den Unternehmen in Europas dunkelgrünsten Fonds verursacht werden. (Weitere Informationen über unsere Recherchemethodik finden Sie hier.)

Doch viele Fonds haben selbst diese niedrige Messlatte nicht erreicht. Bei fast der Hälfte der dunkelgrünen Fonds fanden wir Investitionen in die Luftfahrt- oder fossile Brennstoffindustrie. Ein BlackRock-Artikel-9-Fonds beispielsweise ist mit über einer Milliarde Euro in Energieunternehmen wie RWE (das im Jahr 2020 rund 65 Prozent seiner Energie aus Braunkohle, Steinkohle und Erdgas bezieht), ENEL (43 Prozent) und Nextera (75 Prozent) investiert.

Ein dunkelgrüner Investmentfonds des französischen Vermögensverwalters Carmignac, der laut offiziellen Dokumenten ‚thematisch in Unternehmen investiert, die den Klimawandel mildern‘, investiert unter anderem in den Erdöl-Supermajor TotalEnergies und in Glencore, ein Konglomerat der fossilen Brennstoffindustrie mit großen Beteiligungen am russischen Ölkonzern Rosneft und dem Kohleproduzenten Xstrata.

Gelder aus ganz Europa fließen aus dunkelgrünen Fonds in Investitionen in graue Unternehmen. In Luxemburg fanden wir graue Investitionen in 43 Prozent der Artikel-9-Fonds, prozentual gesehen am wenigsten. In Italien fanden wir graue Unternehmen in über 49 Prozent der Artikel 9-Fonds. Grünes Geld fließt in Investitionen in Supermajors (einschließlich Shell, Total, BP und Saudi Aramco), Fluggesellschaften (einschließlich Lufthansa, Delta und Air France-KLM) und Kohlegiganten (wie RWE, Glencore und Uniper).

Wir haben in Europas dunkelgrünen Fonds graue Anlagen im Wert von über 8,6 Milliarden Euro gefunden. Das bedeutet nicht, dass der Rest besonders grün ist. Die beliebtesten Investitionen sind Microsoft (8,2 Milliarden Euro), das Pharmaunternehmen Novo Nordisk (7,6 Milliarden), Apple (6,7 Milliarden), Alphabet (4,4 Milliarden) und das Pharmaunternehmen Thermo Fisher (4,1 Milliarden). McDonald's, Coca-Cola, Pepsico, L'Oréal und Louis Vuitton Moët Hennessy stehen ebenfalls weit oben auf der Liste.

Europäische Anleger bezahlen für die Zusammensetzung ihres ‚nachhaltigen‘ Fonds. Ein kürzlich von Paul Smeets, Professor für nachhaltige Finanzen an der Universität Amsterdam, durchgeführtes Experiment legt nahe, dass der Finanzsektor für nachhaltige Fonds höhere Gebühren verlangt. Smeets nennt dies ein Greenium, eine grüne Prämie. Dieser Aufschlag liegt zwischen 7,7 und 8,3 Basispunkten. Bei einem Gesamtkapital von 619 Milliarden Euro, das in dunkelgrüne europäische Fonds investiert ist, bedeutet dies eine zusätzliche jährliche Prämie in Höhe von 480 bis 510 Millionen Euro.

‚Und das, obwohl die Verwalter nachhaltiger Fonds bei der Zusammenstellung dieser Fonds den gleichen Aufwand betreiben wie für andere Fonds, eventuell sogar weniger‘, erklärt Smeets. ‚Neben den Nachhaltigkeitsfaktoren haben sie zum Beispiel keine anderen Finanzdaten berücksichtigt. Und jetzt, wo Ihre Untersuchung zeigt, dass nachhaltige Fonds auch in Öl- und Gasunternehmen investieren, sind die Anleger möglicherweise einem doppelten Risiko ausgesetzt: Sie zahlen mehr für einen nachhaltigen Fonds und investieren in etwas, das in Wirklichkeit überhaupt nicht grün ist.‘

Verstoß gegen die Vorschriften

European-VEB, die Interessenvertretung der europäischen Wertpapierbesitzer, ist über die Untersuchungsergebnisse empört. ‚Das ist absolut verwerflich. Man kann nicht einfach ein dunkelgrünes Label verwenden, um Milliarden von Euro zu sammeln, ohne wirklich nachhaltig zu sein. Dieses Label ist kein Marketinginstrument, sondern ein Versprechen an die Anleger.‘

Julien Lefournier, ehemaliger Mitarbeiter der französischen Bank Crédit Agricole und Autor des Buches „L'illusion de la finance verte“ (Die Illusion der grünen Finanzen), nennt dies ‚eindeutige Beobachtungen‘, die beweisen, dass ‚die Rhetorik der Artikel 9-Fonds oft hohl ist‘. ‚Sie tun alles, um den Anlegern vorzugaukeln, dass sie sich im Übergang befinden, investieren aber in altmodische Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie‘. Reclaim Finance, eine französische Nichtregierungsorganisation mit dem Ziel, die Kapitalmärkte nachhaltiger zu gestalten, bezeichnet diese Investitionen als ‚nicht im Einklang mit dem Schutz der Natur und des Klimas‘. Ihr deutsches Pendant Urgewald stellt fest: ‚Artikel 9-Fonds, die vorgeben, einen „Klimawandel“ zu unterstützen, aber in Wirklichkeit immer noch in expandierende Unternehmen mit fossilen Brennstoffen investieren, leugnen die Klimawissenschaft und handeln in höchstem Maße unverantwortlich‘.

Experten argumentieren, dass die Investitionen in die Luftfahrt und die fossile Brennstoffindustrie, die in Artikel 9-Fonds zu finden sind, nicht den europäischen Investitionsregeln entsprechen. ‚Ich verstehe nicht, wie Investitionen in fossile Energien die Umwelt nicht erheblich schädigen können‘, sagt ESG-Experte Ruud Winter. Sjors Vogelsang, ein Rechtsanwalt, der im Bereich des Finanzaufsichtsrechts berät, ist unnachgiebig: ‚Ein Fondsmanager, der einen Fonds als „Artikel 9“ bezeichnet, obwohl er teilweise in Unternehmen investiert, die in fossile Brennstoffe investieren, verstößt gegen die europäischen Vorschriften.‘

‚Darf ich in eine Ölgesellschaft investieren, ja oder nein?‘

Die Vermögensverwalter von grünen Fonds, die graue Anlagen tätigen, sind sich jedoch nicht bewusst, dass sie etwas falsch machen. Sie sagen, es liege an den Regeln, die immer noch nicht deutlich genug machen würden, dass Investitionen in fossile Brennstoffe nicht in einen nachhaltigen Fonds gehören.

Amundi, eine der größten französischen Vermögensverwaltungsgesellschaften, argumentiert, ‚dass der derzeitige Regulierungsrahmen noch keine einheitliche Antwort der Finanzbranche auf die Frage zulässt, was als „nachhaltig“ anzusehen ist und was nicht‘. Axa, die ihre Fonds europaweit anbietet: ‚Der Begriff der „nachhaltigen Investition“ unterliegt nach wie vor verschiedenen Interpretationen, da die bisher von der europäischen Regulierungsbehörde angebotene Definition [...] nicht sehr präzise ist‘. Der spanische Branchenverband für Investmentfonds INVERCO sagt, dass er ‚erstaunt war, dass eine der Fragen [an die europäische Regulierungsbehörde] die Definition von nachhaltigen Investitionen war, mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung der Verordnung‘. Auch die niederländische Actiam ist der Ansicht, dass sie nicht gegen die europäischen Vorschriften verstößt, die der Vermögensverwalter übrigens als ‚Mist‘ bezeichnet. Ich möchte eine Klarstellung. Darf ich in eine Ölgesellschaft investieren, ja oder nein?

Laut der europäischen Aufsichtsbehörde, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), ist das gar nicht so kompliziert. Im vergangenen Sommer hat die ESMA die Regeln noch einmal klar erläutert: ‚Finanzprodukte, die nachhaltige Investitionen zum Ziel haben, sollten nur nachhaltige Investitionen tätigen‘.

Dennoch wird die ESMA nicht gegen Vermögensverwaltungsgesellschaften vorgehen, die graue Anlagen als dunkelgrün verkaufen. Obwohl die Regeln klar sind, ist die ESMA nach eigenen Angaben nicht für deren Durchsetzung zuständig. Das ist Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden, die sich damit schwer zu tun scheinen.

Einerseits finden sie graue Investitionen in einen nachhaltigen Fonds merkwürdig: ‚Es ist sehr schwierig, Unternehmen, die fossile Brennstoffe nutzen, mit Investmentfonds in Einklang zu bringen, die ein nachhaltiges Ziel verfolgen‘, sagt Raoul Köhler, Koordinator für nachhaltige Finanzen bei der niederländischen Behörde für Finanzmärkte (AFM). ‚Mir scheint es offensichtlich, dass Aktien von Unternehmen mit hoher Umweltverschmutzung nicht in einen solchen Fonds gehören. Das wird ein großes Problem sein.‘ Die spanische Aufsichtsbehörde CNMV argumentiert, dass Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, in einem Artikel 9-Fonds nur ‚unter ganz bestimmten Umständen‘ zugelassen sind. ‚Und selbst dann dürfen sie keinen erheblichen Schaden anrichten‘.

Die nationalen Regulierungsbehörden argumentieren jedoch, dass das Gesetz ihnen keine ausreichenden Leitlinien für die Durchsetzung bietet. ‚Der Text ist einfach nicht spezifisch genug‘, sagt die französische AFM. Der Regulierungsbehörde Luxemburgs zufolge stellt sich die Frage, was genau unter Greenwashing zu verstehen ist. ‚Das Problem mit Greenwashing ist seine Komplexität, und leider gibt es derzeit keine einheitliche Definition auf europäischer Ebene.‘ Die niederländische AFM sagt, sie habe die ESMA gebeten, zu ‚klären, was eine nachhaltige Investition ist und was einen „erheblichen Schaden“ darstellt. Wir verstehen daher, warum die Vermögensverwaltungsgesellschaften noch nicht alles richtig machen‘.

Der ESMA ist unklar, woher diese Zweideutigkeit kommt. In einem Gespräch mit The Great Green Investment Investigation sagte die Aufsichtsbehörde: ‚Es gibt zwar kein ausdrückliches Verbot von Investitionen in fossile Brennstoffe als „nachhaltige Investitionen“, aber es dürfte ziemlich schwierig sein, solche im Rahmen nachhaltiger Investitionen zu tätigen, da nachgewiesen werden muss, dass sie keine ökologischen oder sozialen Ziele beeinträchtigen. [...] Es dürfte in der Tat recht schwierig sein zu argumentieren, dass Investitionen in fossile Brennstoffe den Grundsatz DNSH (Do No Significant Harm) respektieren.‘

Maßnahmen sind möglich

Die Razzia bei der DWS beweist, dass es tatsächlich möglich ist, gegen Greenwashing im Finanzsektor vorzugehen. Die deutschen Behörden wurden tätig, nachdem sie entdeckt hatten, dass der Vermögensverwalter in seinem Jahresbericht angab, bei mehr als der Hälfte seines gesamten investierten Vermögens – 451 Milliarden Euro – würden ESG-Faktoren berücksichtigt, um das Portfolio nachhaltig zu gestalten. Das erwies sich als falsch, was dazu führte, dass bei der DWS die Polizei vor der Tür stand.

In den USA wurde die Investmentbank BNY Mellon im Frühjahr dieses Jahres mit einer Geldstrafe in Höhe von eineinhalb Millionen Dollar belegt, weil sie es versäumt hatte, Nachhaltigkeitsprüfungen für die von ihr als nachhaltig beworbenen Investitionen durchzuführen. Letzten Monat wurde die Investmentbank Goldman Sachs zu einer Geldstrafe von 4 Millionen Dollar verurteilt. Es hatte sich herausgestellt, dass erst ESG-Analysen durchgeführt worden waren, nachdem die Entscheidung, in ein Unternehmen zu investieren, bereits gefallen war, was bedeutet, dass die Nachhaltigkeit ein nachträglicher Gedanke und kein Auswahlkriterium war.

Selbst bei grauen Investitionen in Europas dunkelgrünen Fonds können die nationalen Behörden einfach Maßnahmen ergreifen, wenn sie dies wollen. Das sagt Myriam Vander Stichele, Mitglied einer Expertengruppe, die im Auftrag der Europäischen Kommission die Grundlage für europäische Gesetze und Vorschriften für nachhaltige Investitionen legte. Eine ihrer Prioritäten war es, die Aufsichtsbehörden zum Ergreifen von Maßnahmen zu befähigen. Fonds mit einer klaren nachhaltigen Zielsetzung sollten nicht in Aktien von Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie investieren dürfen. Sie können dann ihr Nachhaltigkeitsversprechen nicht einhalten. Eine Aufsichtsbehörde ist durchaus berechtigt, Fonds zu bestrafen, die die Anleger täuschen.

Vander Stichele kann daher nicht verstehen, warum es keine Durchsetzung gibt. Wenn die AFM nicht oder zu spät tätig wird, ist das ein großes Risiko. Die Glaubwürdigkeit des nachhaltigen Investierens steht auf dem Spiel. Die dänische Verbraucherorganisation Forbrugerrådet Tænk sagt: ‚Das zerstört das Vertrauen in grüne Investmentfonds, und wenn das passiert, riskieren wir, die Milliarden für einen Übergang zu erneuerbaren Energien zu verlieren. Das wird uns allen schaden.‘ European-VEB befürchtet nicht wiedergutzumachenden Schaden: ‚Der größte Zyniker von allen ist der enttäuschte Idealist. Wir laufen Gefahr, dass eine große Gruppe von Anlegern, die bei ihrer Fondsauswahl auf Nachhaltigkeit achten, enttäuscht wird und den Glauben an eine nachhaltige Wirtschaft verliert.‘

Seit Anfang dieses Jahres haben mehrere europäische Vermögensverwaltungsgesellschaften ihre Artikel 9-Fonds auf Artikel 8 herabgestuft. Unterdessen sind jedoch zahlreiche neue Artikel-9-Fonds hinzugekommen, so dass sich letztlich die Zahl der Fonds erhöht, die sich als „dunkelgrün“ bezeichnen.

Hier erfahren Sie mehr zur Methodik.

The Great Green Investment Investigation ist ein Gemeinschaftsprojekt von Ties Joosten, Ties Gijzel, Yara van Heugten, Remy Koens, Tom Bolsius, Leon de Korte, Linda van der Pol, Emiel Woutersen, Daniele Grasso, Carlotta Indiano, Fabio Papetti, Mathias Hagemann-Nielsen, Frederik Vincent, René Bender, Sönke Iwersen, Martin Murphy, Lars-Marten Nagel, Ingo Narat, Michael Verfürden, Volker Votsmeier, Joseph Gepp, Lars Bové, Peter van Maldegem, Yannick Lambert, Thomas Klein, Adrien Sénécat. Die Umfrage wurde veröffentlicht von Follow the Money, Investico, De Groene Amsterdammer, Børsen, De Tijd, Handelsblatt, IRPImedia, Luxemburger Wort, Luxembourg Times, El País, Le Monde, Der Standard, Domani. Weitere Informationen zu dieser Arbeit finden Sie auf Follow the Money.
Dieser Artikel ist für den Europäischen Pressepreis 2023 nominiert und wird in Zusammenarbeit mit dem Preis veröffentlicht. Der Originalartikel auf Follow the money

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