Analyse Migration und Arbeit

Ausländische Arbeitskräfte – ein unverzichtbarer und vernachlässigter Stützpfeiler der europäischen Wirtschaft

Drittstaatsangehörige sind in den meisten Ländern der Europäischen Union ein strukturelles Element des Arbeitsmarktes. Der Schutz der Rechte ausländischer Arbeitnehmender stößt jedoch allzu oft auf rechtliche und politische Hindernisse.

Veröffentlicht am 22 November 2023 um 18:55

„Ohne ausländische Arbeitskräfte können sich bestimmte Wirtschaftszweige nicht halten“. In Frankreich haben die Äußerungen der Ministerin für Solidarität, Aurore Bergé, Anfang September 2023 für viel Gesprächsstoff gesorgt. Während heute in Frankreich ein neuer Gesetzentwurf zur Kontrolle der Einwanderung diskutiert wird, sorgt die Idee einer Regularisierung illegal eingewanderter Arbeitnehmender in Mangelberufen für Kontroversen. Dabei ist der Plan der französischen Regierung weit von einer allumfassenden Öffnung der Grenzen entfernt. Vielmehr wird die Idee vertreten, dass es einerseits Arten von Migration gibt, die drastisch reduziert werden müssen, und andererseits Arbeitsmigration – ein Konzept, das dem Zeitgeist entspricht, wenn man den laufenden Debatten in anderen Europäischen Staaten Glauben schenkt.

„Die Politiker versuchen, ein Gleichgewicht zwischen dem Arbeitskräftemangel auf der einen Seite und der Beschränkung der Einwanderung auf der anderen Seite zu finden“, betont ein Bericht des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) vom Juni 2023, der die Sozialversicherungssysteme von 26 europäischen Ländern analysiert. In diesem Zusammenhang sind die ersten Betroffenen die Arbeitnehmenden, die sich illegal im Land aufhalten. „Was das Arbeitsrecht betrifft, so haben Arbeitnehmende ohne Papiere im Prinzip die gleichen Rechte wie alle anderen Arbeitnehmenden“, erklärt Marie-Laure Morin, Juristin für Sozialrecht und ehemalige Ehrenamtliche in einem Verein zur Unterstützung von Migrant*innen. „Wenn Arbeitgebende jedoch den Arbeitsvertrag brechen, weil sich der/die Arbeitnehmende illegal im Land aufhält, ist der Vertragsbruch naturgemäß gerechtfertigt und der/die Arbeitnehmende hat keinen Anspruch auf irgendeine Entschädigung. Ebenso genießt er/sie keinen Mutterschutz oder – im Falle von Mitarbeitervertreter*innen – gewerkschaftlichen Schutz vor Entlassung. Die Irregularität seiner/ihrer Situation überwiegt gegenüber dem gesetzlichen Schutz.“

Der Status ist die wichtigste Quelle von Rechten für Ausländer*innen. Er ist häufig an eine Beschäftigung geknüpft , was ein besonders hohes Maß an Abhängigkeit der Arbeitnehmenden von den Arbeitgebenden schafft.

Politik der zwei Geschwindigkeiten

Vor allem aber hat die Europäische Union eine Politik eingeleitet, die nach der Situation der Arbeitnehmenden und der Art des Berufs und der Qualifikation differenziert. Sie verfolgt hiermit das Ziel, die legale und hochqualifizierte Arbeitsmigration zu stärken ... und alles zu unterdrücken, was nicht dazu gehört. „Wir wollen diejenigen, die arbeiten, nicht diejenigen, die nur profitieren wollen“, fasste es der französische Innenminister Gérald Darmanin im Dezember 2022 zusammen. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörte die Schaffung einer Aufenthaltsgenehmigung für Mangelberufe wie das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Baugewerbe, das Reinigungsgewerbe und Haushaltshilfen.

Auf europäischer Ebene verabschiedete der Europäische Rat am 7. Oktober 2021 die Richtlinie über die „Blaue Karte“ für hochqualifizierte Arbeitnehmende aus Drittstaaten. Dieses Zulassungssystem, das nach und nach in den Mitgliedsstaaten umgesetzt wurde, will Arbeitskräfte in Mangelbranchen anziehen und halten. Um dies zu erreichen, werden flexiblere Kriterien angewendet: Erleichterung der Mobilität innerhalb der EU, Lockerung der Familienzusammenführung oder auch Vereinfachung der Verfahren für die Arbeitgebenden. Eine weitere aktuelle Reform ist die Einführung einer einheitlichen Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Im März 2023 nahm der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten des Europäischen Parlaments einen Bericht zur Aktualisierung der Richtlinie an, in dem ein einheitliches Verwaltungsverfahren für die Erteilung einer Genehmigung für Drittstaatsangehörige vorgesehen war, das später auf Saisonarbeiter*innen oder Personen, die einen vorübergehenden Schutzstatus genießen, ausgeweitet wurde.


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In seinem kurz darauf (im Juni 2023) veröffentlichten Bericht wies das ETUI darauf hin, dass „einige Elemente des EU-Rechts, wie die Richtlinie über eine einheitliche Erlaubnis, es ermöglichen, bestimmte Arbeitnehmende (z. B. solche, die sich weniger als sechs Monate im Land aufhalten) von ihrem Geltungsbereich auszunehmen, und die Kommission hat darauf hingewiesen, dass nicht weniger als 18 Mitgliedstaaten von dieser Option Gebrauch machen.“

Den Forscher*innen zufolge haben Migrant*innen aus Drittländern, die für kurze Zeit zum Arbeiten in die EU kommen, außerdem keinen Anspruch auf Gesundheitsversorgung, Arbeitslosenversicherung oder Rentenansprüche ... In der Regel sind Sozialversicherungsleistungen nämlich Personen vorbehalten, die sich seit mindestens einem Jahr in einem Mitgliedstaat aufhalten. In Deutschland beispielsweise brauchen Arbeitgeber keine Sozialversicherungsbeiträge – wie vom Sozialgesetzbuch des Landes vorgesehen – für Saisonarbeiter*innen zu zahlen, die nicht länger als 102 Tage arbeiten. Landwirtschaftliche Saisonarbeiter*innen aus der Ukraine, Georgien oder den Balkanstaaten sind jedoch nur selten einem Schutzsystem in ihrem eigenen Herkunftsland angeschlossen.

Europäischer Wille vs. nationale Politik

Es muss darauf hingewiesen werden, dass das letzte Wort angesichts des Ermessensspielraums, den die Staaten in Bezug auf das Einwanderungs- und Arbeitsrecht haben, immer noch bei den Staaten liegt. „Selbst in Bereichen, in denen es europäische Instrumente zur Regelung der Einwanderung gibt (Saisonarbeit, Blaue Karte, innerbetrieblicher Transfer), sind Drittstaatsangehörige mit großen Unterschieden hinsichtlich ihrer Rechte auf soziale Sicherheit konfrontiert“, so die Autor*innen des Berichts. Die Regularisierung und der Zugang zu einer ständigen Aufenthaltsgenehmigung sind jedoch alles andere als alltäglich. In Italien, wie auch in Frankreich, ziehen kollektive Protestbewegungen ausländischer Arbeiter*innen manchmal Regularisierungswellen nach sich. Zuletzt in Frankreich: Rund 100 Arbeiter*innen ohne Papiere, die auf den Baustellen der Olympischen Spiele tätig waren, wurden von der Präfektur des Départements Seine-Saint-Denis legalisiert, unterstützt durch eine lokale Zweigstelle der Gewerkschaft Confédération générale du travail (CGT). Drissa, der seit vierzehn Jahren auf französischem Boden ist, arbeitete bislang mit einer falschen Identität, die es ihm nicht erlaubte, Beiträge zu zahlen. „Aber ich habe nie länger als drei Monate ohne Arbeit verbracht. Im Gegenteil, jetzt, wo ich eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung habe, wollen mich viele Arbeitgebende nicht mehr einstellen, weil es für sie teurer ist.“

In diesem Zusammenhang scheint die kollektive Organisation von Wanderarbeiter*innen und ihr Schutz auf europäischer Ebene eine Lösung zu bieten. Die Gewerkschaften weisen allerdings auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung in der Praxis hin. Der ETUI-Bericht erwähnt den Fall des schwedischen Arbeitsmarktes, wo der Schutz der Arbeitnehmenden durch Tarifverträge und die Mitgliedschaft in Gewerkschaften gewährleistet wird. „Aber Drittstaatsangehörige sind häufig in Sektoren mit geringer Tarifbindung oder in Unternehmen beschäftigt, die nicht den Arbeitgeberverbänden angeschlossen sind, und fallen daher nicht in den Geltungsbereich von Tarifverträgen. Dies setzt diese Arbeitnehmenden potenziell Arbeitsbedingungen aus, die nicht den Normen entsprechen“, betonen die Autor*innen.

Seit 1990 existiert allerdings ein Text: Die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte von Wanderarbeiter*innen von 1990, ein Referenzvertrag zu dieser Thematik. „Die Konvention ist aber einer der am meisten vernachlässigten Texte des internationalen Menschenrechts, und kein großes westliches Zielland hat sie ratifiziert“, schrieb Matthieu Tardis, Mitbegründer des Vereins Synergie Migrations und Spezialist für europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik, im Jahr 2019. Dem Forscher zufolge nehmen die westlichen Staaten die Konvention stattdessen als ein Instrument zugunsten der Einwanderung wahr, das ihre Souveränität untergraben würde.

Politische Instrumentalisierung

Auch der am 23. September 2020 von der Europäischen Kommission vorgestellte Migrationspakt hat an dieser Situation nichts geändert. Er schafft einen rechtlich nicht bindenden Rahmen für die Zusammenarbeit und schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, aus denen die Staaten wählen können, um die Ziele zu erreichen, die ihnen prioritär erscheinen. Obwohl der Pakt als „Soft Law“ – sogenanntes „weiches“, nicht bindendes Recht – bezeichnet wird und eine progressive Wirkung haben könnte, indem er die Staaten zur Zusammenarbeit bringt, beherrschen diese trotz allem weiterhin die nationale, regionale, bilaterale und damit auch internationale Migrationspolitik.

„Diese Dominanz wird durch die Zunahme einer feindlichen Stimmung gegenüber Immigrant*innen genährt, aber auch durch die zunehmende Infragestellung des Multilateralismus als Modus zur Lösung internationaler Probleme“, analysiert Matthieu Tardis, der der Ansicht ist, dass Europa „von einem auf Menschenrechten basierenden Ansatz in einen Managementansatz für Migrationsströme“ abgeglitten ist.

„Immer mehr Politiker*innen beschuldigen das Recht, Migrant*innen zu sehr zu schützen“, stellt der Forscher fest. „Trotz der Aufnahme von 4 Millionen Ukrainer*innen im Jahr 2022 will die EU keine andere Politik als diejenige in Betracht ziehen, die seit 20 Jahren nicht funktioniert. Die extreme Politisierung der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Migration in einem Kontext der Polarisierung unserer Gesellschaften führt zu der institutionellen Blockade, in der wir uns befinden“, schlussfolgert er.


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