Kind bei der Einnahme eines Wurmmittels während der Kampagne "UNICEF CAR, Mother and Child Survival ”, (Zentralafrikanische Republik, 2008). Photo : Pierre Holtz für UNICEF.

Bittere Pillen für arme Länder

Oft halten europäische Zölle Medikamente an Entwicklungsländer zurück. Denn sie verdächtigen die Herkunftsstaaten das Patentrecht nicht zu respektieren. Hilfsorganisationen prangern diese Praxis seit langem an. Diese spielt der Pharma-Industrie in die Taschen. Den Schaden haben die Kranken.

Veröffentlicht am 19 Juni 2009 um 15:56
Kind bei der Einnahme eines Wurmmittels während der Kampagne "UNICEF CAR, Mother and Child Survival ”, (Zentralafrikanische Republik, 2008). Photo : Pierre Holtz für UNICEF.

Am 4. Dezember 2008 wurde im Hafen von Rotterdam eine Ladung des blutdrucksenkenden Medikaments Losartan beschlagnahmt. Es stammte aus Indien und war für Brasilien bestimmt – und stand in keinem der beiden Länder unter Patentschutz. Dennoch wurden die Tabletten wegen Verdacht auf Patentrechtsverletzung vom Zoll beschlagnahmt. Die Ladung wurde erst nach 36 Tagen wieder freigegeben und nach Indien zurückgeschickt. Die 300.000 Brasilianer, für die das Medikament bestimmt war, mussten auf die medizinische Hilfe verzichten.

Der Vorfall im Hafen von Rotterdam ist nur ein Beispiel von vielen und wirft die Frage auf, inwieweit die Europäische Union den Warenverkehr beeinträchtigt. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen, wie Oxfam Novib und Médecins sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen), meldeten, dass letztes Jahr in den Niederlanden 17 aus Nicht-EU-Staaten stammende und für Entwicklungsländer bestimmte Medikamentenposten beschlagnahmt wurden. Anfang des Jahres wurde auch ein großer Posten Anti-HIV-Medikamente von der Clinton Foundation, die auf dem Weg nach Nigeria waren, konfisziert. Die letzte Beschlagnahmung betraf vergangenen Monat in Frankfurt einen Posten Antibiotika.

"Unter diesen Bedingungen können wir unmöglich arbeiten", meint Alexandra Huember von de Arbeitsgruppe Medikamente von Médecins sans Frontières in Genf. Laut Oxfam Novib wird die Durchfuhr von Generika, die für Entwicklungsländer bestimmt sind, bewusst und systematisch behindert. "Die Verwechslung von Generikum und Kopie scheint eine allgemein gültige Strategie zu sein, um gegen den Handel mit Generika vorzugehen. Die Pharma- Industrie, die die Patente besitzt, zieht als einzige einen Vorteil daraus. Die Verlierer sind die Patienten in den Entwicklungsländern", erklärt Esmé Berkhout, Gesundheitsberaterin bei Oxfam Novib.

Berkhout betont die Tatsache, dass der Import von Generika aus Billigpreisländern wie Indien für die medizinische Hilfe in Entwicklungsländern eine echte Lösung darstellt. Im Jahr 2001 ist durch die Markteinführung der Generika der Preis für HIV-Inhibitoren um 10.000 Dollar auf unter 350 Dollar pro Patient pro Jahr zurückgegangen.

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Den Hilfsorganisationen zufolge müssen die Hersteller von Generika ständig neue Hindernisse bewältigen, trotz der internationalen Abkommen, die den Zugriff auf Medikamente für die Entwicklungsländer fördern sollen. Die internationale Völkergemeinschaft verhandelte 2001 im Rahmen der von der Welthandelsorganisation (WTO) organisierten Doha-Runde über den Beschluss, für die Entwicklungsländer im Bereich des geistigen Eigentums eine Ausnahme zu machen, damit sie die preisgünstigeren Generika der patentierten Medikamente importieren können. Die Verschärfung der EU-Richtlinien im Hinblick auf den Schutz des geistigen Eigentums, hier insbesondere des Patentrechts, scheint jedoch im Gegensatz zu den Erklärungen der Doha-Runde zu stehen.

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Auf die Anfragen der internationalen Hilfsorganisationen hin teilte die EU mit, dass sie das Doha-Abkommen durchaus einhält, doch dass sie aufgrund der bedeutenden Warenströme mit Medikamentenkopien aus Ländern wie Indien und China strenge Kontrollen vornehmen muss. Die Kommission erwiderte auch, dass die Medikamente nicht beschlagnahmt, sondern nur vorübergehend "zurückgehalten" werden.

Die Hilfsorganisationen verdächtigen die Pharma-Industrie, einen direkten Einfluss auf den Zoll auszuüben. Bei der Beschlagnahmung des Losartan-Postens aus Indien soll der Zoll von der amerikanischen Firma Merck benachrichtigt worden sein, die in Europa immer noch das Patent für dieses Medikament besitzt.

In einer Erklärung an Médecins sans Frontières gibt Merck zu, dass man im Fall des Rotterdamer Hafens, "mehr darauf hätte achten sollen, dass die Medikamente für ein Land bestimmt waren, in dem Merck keinen Patentanspruch mehr besitzt".

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