„Europa braucht einen gewählten Chef.” So die Gedanken des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair während eines „umfangreichen Interviews“ mit der Londoner The Times. Blair, der derzeit Gesandter für das Friedensquartett für den Nahen Osten ist und lukrative Beraterrollen in globalen Finanzinstitutionen ausübt, ist der Auffassung, dass „sich die Europäer mit der Europäischen Union verbundener fühlen“, wenn sie deren Präsidenten wählten. Die Wähler hätten für die Institutionen der EU wie dem Europäischen Parlament, das demokratisch gewählt wird, wenig übrig. Dies illustriert er damit, dass es ihm auf die Frage der Times „unmöglich ist, dessen Parlamentsmitglieder zu nennen“. Blairs Vorschlag würde dem Europäischen Präsidenten die größte Wählerschaft der Welt bieten, so die Londoner Tageszeitung.
So sagte Blair:
„Für Europa ist es jetzt ausschlaggebend zu verstehen, dass man heute die Menschen nur für Europa interessieren kann, wenn man sich von der an die Nachkriegszeit angelehnten Sichtweise entfernt, die die Bedeutung der EU hauptsächlich im Friedenserhalt sieht. Für die Generation meiner Kinder ist das ein seltsames Argument. Dass europäische Nationen gegeneinander Krieg führen könnten, empfinden sie nicht als reale Bedrohung.”
„Doch was ihnen vollständig einleuchtet, ist, dass Europa in einer Welt in der vor allem China zur dominierenden Weltmacht des 21. Jahrhunderts wird, besser zusammenarbeitet.“
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Im The Guardian spricht die britische Labour-Abgeordnete Diane Abbot von einem „kalten Schauer, der so manchem den Rücken heruntergelaufen sein muss“. Denn ihrer Meinung nach gibt es keinen Zweifel darüber, „welchem bestimmten braun gebrannten Globetrotter er die Rolle übertragen wollte.”
Während ein künftiger Präsident Blair sicherlich „davon träumt, erneut Seite an Seite mit dem Präsidenten der USA auf einem Podium zu stehen“, könnte er eine ernstzunehmende Konkurrentin haben. Das Berliner Magazin Cicero sinniert über das Schicksal der deutschen Kanzlerin und weist darauf hin, dass sie zwar wenig Chancen hat, 2013 erneut ihr Amt zu bekleiden, deswegen aber keineswegs vorhat, in die Geschichte als Wahlverliererin einzugehen. Auf der Suche nach einer neuen Rolle konzentriert sie sich nun auf „den mächtigen und renommierten Job des Präsidenten des Europäischen Rats. Mutig und klug hat sie sich dafür eingesetzt, diese Stelle mit einer schwachen Persönlichkeit [2009] zu besetzen, um eines Tages sagen zu können: ‚Jetzt brauchen wir aber eine starke Lösung.’ Natürlich denkt Angela Merkel an das Schicksal von Angela Merkel.”
Derzeit stehen an der Spitze der EU der Präsident des Europäischen Rats, der Belgier Herman Van Rompuy, und José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission. Keiner von beiden wurde direkt ins Amt gewählt. Dem Daily Telegraph zufolge ist ihre persönliche „Fehde“ wer nun „Europas wahrer Chef“ sei an einem Punkt angelangt, dass beide beschlossen haben, zum Gipfeltreffen der EU mit Russland am 10. Juni jeder in seinem eigenen VIP-Jet anzureisen. Die Kosten von Barrosos Lufttaxi von Brüssel nach Russland werden auf 55 000 bis 80 000 Euro beziffert, berichtet die Londoner Tageszeitung.