Erhitzter britischer Blätterwald.

Was die Zeitungen sagen

Für wen sollten die Briten am 6. Mai stimmen? Hier ist eine Auswahl verschiedener Titelseiten und Leitartikel aus der Landespresse. Eine Sache steht jedoch schon jetzt fest: Auch wenn Großbritannien – wie es die Konservativen behaupten – nicht "zerbrochen" ist, so ist es ganz sicher wütend.

Veröffentlicht am 5 Mai 2010 um 15:41
Erhitzter britischer Blätterwald.

Über Gordon Brown

"Dass er ein fürchterlicher Regierungschef ist, hat Gordon noch lange nicht zu einem kleinen gemacht. Weit gefehlt! Seit Mrs. Thatcher ist er der größte Politiker den wir kennen. Ein Mann, der in jeder Lage aufrecht steht, in der gegenwärtigen aber sogar als Titan hervorsticht. Sein Vorbild? Prometheus. An dessen Leber wurde täglich herum gefressen, was zeigt, über welch außerordentliche Talente er verfügt. Dank dieser kann er nicht nur provozierend und sadistisch attackieren, sondern sich im Anschluss daran auch völlig sinnloserweise wieder davon erholen." Bald Gordon werden die Qualen ein Ende nehmen. Matthew Norman,The Independent

Über Nick Clegg

"Clegg punktet, weil er absolut aufrichtig wirkt. Auch hier zeichnet sich eine Art Rangordnung ab: Brown bemüht sich um menschliches Klartext-Englisch, aber Cameron ist einfach besser, weil er die Kunst simpler und fließender Sätze beherrscht. Auch wenn man sich fragen muss, ob seine Worte nicht ganz einfach das geschickte Gerede eines aalglatten Geschäftsmannes sind. Clegg zeigt sich ebenso sicher wie Cameron. Seine Sätze sind – insofern das möglich ist – sogar noch umgangssprachlicher und einfacher zu verstehen. Und er hat gegenüber seinem konservativen Rivalen einen großen Vorteil: Wenn es um Aufrichtigkeit geht, scheint keiner so überzeugend zu sein wie er. Er gilt als ein wirklich ehrlicher Mann." Wie konnte derjenige, der bereits unter "ferner liefen" gezählt wurde, also die Show stehlen? Jonathan Freedland, The Guardian

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Warum die Briten die Konservativen wählen sollten

"Mit der Erinnerung an die New Labour wird man auch die Korrumpierung der demokratischen Prozesse, die Politisierung des öffentlichen Dienstes, die Verwandlung der Richter in Gesetzesgeber (siehe Human Rights Act), sowie die Schwächung des Oberhauses und die Zerstörung des privaten Rentensystems (auf das die ganze Welt einst neidisch blickte) verbinden. Sie waltete und schaltete über die Einführung eines Sozialsystems, welches keine Arbeitsanreize mehr schuf, führte eine Reihe von blutigen und höchst fragwürdigen Kriegen, betrog uns um das Referendum zum Vertrag von Lissabon und ermutigte eine noch nie dagewesene Masseneinwanderung – wodurch unser öffentlicher Dienst und unsere bloße Identität als Nation unerträglichen Belastungen ausgesetzt wurden." Wählt entschieden dafür, dass Großbritannien nicht mehr blind ins Vergehen schreitet. Leitartikel in The Daily Mail

Warum die Briten nicht die Konservativen wählen sollen

"Ich habe keine Tory-Phobie. Das würde bedeuten, dass ich irrationale Antworten gebe. Ich hasse sie aus einem Grund. Eigentlich sind es mehrere Gründe. Für den Streik der Grubenarbeiter, die fortschreitende Diskriminierung, den Verkauf der Sozialwohnungen, und dafür, dass die Taschen der Reichen immer voller, während die Armen immer vernichtender behandelt wurden. Und das sind nur einige wenige Gründe… Als junger Mann verfolgte Cameron das soziale Massaker von Grubenschließungen und Massenarbeitslosigkeit, beobachtete die Regierung Margaret Thatchers und dachte: Das sind meine Leute." Ich hasse Tories. Gary Younge, The Guardian

Über Diskriminierung

"Mal ganz ehrlich: Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erleben würde, an dem die Partei der Tories einen in Birmingham geborenen Sikh-Unternehmer als Kandidaten aufstellen würde. Und auch wenn ich noch immer mit der Idee eines asiatischen Tory zu kämpfen habe – es mutet mir so unwahrscheinlich an wie ein miauender Hase –: Wenn ein Einwanderer-Kind und Abgeordneter der Tories diesen Sitz erhält, der von der Gründung 1950 bis zu dem Zeitpunkt an, als Tony Blair als Regierungschef die Macht übernahm, konservativ war, dann wäre das ein ermutigendes Zeichen dafür, dass die Politik in Wolverhampton – der ersten britischen Stadt, die Masseneinwanderung erleben musste –, letztlich nicht mehr diskriminierend zwischen verschiedenen ‚Rassen‘ unterscheidet." Ich bin für Labour, aber… Sathnam Sanghara, The Times

Über das Thema, über das niemand spricht

"Unser Land durchlebt eine schwierige Zeit. Diese ist entscheidender als viele von uns wahrhaben wollen. Es ist eine Schande, dass Gordon Browns erbärmliche und – für ihn – vernichtende Beleidigung einer Frau, die in der vergangenen Woche für ganz England sprach, die Aufmerksamkeit von dem abgelenkt hat, was anderenfalls zur bedeutendsten Geschichte dieses Wahlkampfes hätte werden können: Der Bericht des Instituts für Steuer- und Finanzanalysen, aus dem hervorgeht, dass keine der wichtigsten Parteien dazu in der Lage ist, sich klar und deutlich dazu zu äußern, wie sie das Defizit in den Griff bekommen will. Man hat die Parteien in einer Art Paralleluniversum zur wirklichen Wirtschaft und den tatsächlichen internationalen Märkten leben lassen. Schließlich erfreuten sich ihre Wähler an ihren Diskussionen über "Werte", "die große Gesellschaft" und "Fairness" – eine Art Trugbild einer politischen Debatte. Die Realität wird uns aber früh genug einholen. Spätestens am Freitag.” Wählt mit Vorsicht und bereitet Euch auf das Schlimmste vor. Simon Heffer, The Daily Telegraph(jh)

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