So erzeugt man laut Mary Dejevsky einen "Zusammenprall der Kulturen": eine rumänische Roma-Familie auf ihrer "freiwilligen Rückführung" nach Buckarest am Pariser Flughafen, August 2010.

Sarkozy tut das Richtige

Während die Innenminister mehrerer EU-Staaten in Paris über Einwanderung reden, wird Präsident Nicolas Sarkozys harte Gangart gegen illegale Roma-Lager zuhause und im Ausland geschmäht. Eine britische Kolumnistin übernimmt seine Verteidigung.

Veröffentlicht am 6 September 2010 um 14:50
So erzeugt man laut Mary Dejevsky einen "Zusammenprall der Kulturen": eine rumänische Roma-Familie auf ihrer "freiwilligen Rückführung" nach Buckarest am Pariser Flughafen, August 2010.

Gegen Ende der französischen Sommerferien gab Präsident Sarkozy Anweisung, die Roma-Lager und Hüttensiedlungen, die an den Rändern der französischen Städte und Vororte wie die Pilze aus dem Boden geschossen waren, abzureißen und ihre Einwohner zu verhaften und auszuweisen. Ein Lauffeuer der Verurteilung ging durch ganz Europa. Seine Motivationen wurden in Frage gestellt: Frönte er da nicht vielleicht doch einer elementaren Demagogie, um von seiner eigenen Unbeliebtheit abzulenken? War er nicht rücksichtslos über das Gesetz hinweggegangen – schließlich sind die Roma ja EU-Bürger und genießen somit das Recht auf freien Personenverkehr? Der Vatikan schaltete sich ein, wie auch der UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung, welcher Frankreich dazu aufforderte, mehr für die Integration der Roma-Familien zu tun, ihre Kinder auszubilden und sie in angemessenen Wohnräumen unterzubringen.

Was natürlich bewundernswert idealistisch ist, und durchaus richtig, aber relativ unnütz, wenn man ein französischer Bürger ist, der sein ganzes Leben in Frankreich gelebt hat, seine Steuern zahlt und beim Aufwachen plötzlich hinter seinem eigenen Garten ein Dritte-Welt-Lager – nennen wir die Dinge ruhig beim Namen – vorgefunden hat, das jeden Tag größer wird. Was sollen die Behörden tun? Hier handelt es sich nicht um Reisende, die ein Stück Ackerland kaufen, an einem langen Wochenende dorthin ziehen und dabei gegen die Baubestimmungen verstoßen, sondern um einen Einmarsch ganz anderer Art.

Parasiten eines zivilisierten Staatswesens

Als Italien vor ein paar Jahren mit einem ähnlichen Problem konfrontiert war, wartete die Regierung ab und drückte auch bei ganz schön garstiger Selbstjustiz ein Auge zu. In Frankreich ist es gar nicht so weit gekommen, vielleicht eben weil Sarkozy eingeschritten ist. Verurteilt man ihn, muss man jedoch eine Alternative vorschlagen können, und die ist ziemlich schwer zu finden. Es gibt ganze Familien, die ohne sanitäre Einrichtungen leben und an kein Versorgungsnetz angeschlossen sind. Sie arbeiten, wenn überhaupt, in der Schattenwirtschaft und ihr Leben in Frankreich ist wahrscheinlich immer noch angenehmer und einträglicher als es in ihrer Heimat jemals sein könnte. Für sie besteht zur Rückkehr kein Grund. Wie die Dinge liegen, sind sie jedoch in materieller wie in kultureller Hinsicht Parasiten eines zivilisierten Staatswesens. Sie haben nichts getan, um etwas aufzubauen und konnten nichts für sich selbst hervorbringen.

Das ist die blanke, nicht politisch korrekte Wahrheit. Die Ausweisungen könnten durchaus zu einer Bevölkerung im endlosen Rundlauf führen, da Abgeschobene dazu tendieren, wieder zurückkommen zu wollen. Doch sollen die französischen Steuerzahler für Schulen, Dienstleistungen und Ausbildung aufkommen müssen, um Roma-Familien zum französischen Mindestlebensstandard hochzuhieven? Soll von Frankreich erwartet werden, dass es die Integration fördert, vor der sich Rumänien, Bulgarien, die Slowakei und andere Länder drücken? Und wenn nicht, können bzw. sollen die Roma dann vom freien Personenverkehr, der in der ganzen Europäischen Union gilt, ausgenommen sein? Es ist Heuchelei, darauf zu beharren, dass derart kontrastierende, nebeneinander laufende Lebensstandards und Erwartungen leicht zu handhaben sind und dass die Neuankömmlinge – wenn überhaupt – ohne einen riesigen Aufwand an Geld und Wohlwollen reibungslos aufgenommen werden können. Und das Roma-Problem ist nicht das einzige.

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Zusammenprall der Kulturen direkt vor unserer Haustür

Vor etwa einem Jahr kam ein deutscher Bericht zu dem Schluss, dass sich die türkischstämmigen Deutschen der zweiten und dritten Generation entgegen aller Vorhersagen in der Türkei verheiraten und somit eine ganz neue, unerwartete Welle der so genannten Primärimmigration auslösen. Ähnliches trifft auch auf einen Teil der pakistanisch- und bengalischstämmigen Bevölkerung in Großbritannien zu, die ihr Dorfsystem in britischen Stadtteilen nachgebildet hat und sich Ehepartner von "zuhause" holt.

Das Konzept, Integration sei einfach nur eine Frage der Generation, ist noch nicht erwiesen. Großbritannien, Frankreich und Deutschland wollten möglichst billige Arbeitskräfte aus dem Ausland, und die bekamen sie auch. Doch dadurch, dass wir in ländlichen Gebieten weniger entwickelter Länder rekrutierten, verpflanzten wir im Endeffekt ganze Dörfer und importierten Mikrokosmen einer Rückständigkeit, die wir selbst schon längst bewältigt hatten. Mit den neuen Bräuten, Bräutigamen und deren Angehörigen, die sie ganz legal aus dem Heimatland mitbringen dürfen, hat Großbritannien nun ein selbstgezogenes Problem mit korrupten Wahlen, Zwangsehen, Entführungen, "Ehrenmorden" und Behinderungen, die – wie in der Sendung Dispatches auf Channel 4 neulich gesehen – aus Ehen zwischen Cousins und Cousinen ersten Grades hervorgehen. Die Tuberkulose, die schon fast ausgerottete Krankheit der viktorianischen Slums, ist heute wieder da und für ihre Behandlung werden Geld und Arbeitskraft aufgewendet, die die reichen Länder eigentlich für andere Dinge hätten ausgeben wollen.

Einerseits ist dies der postkoloniale Knackpunkt und vielleicht sollte unsere postkoloniale Generation den anderen das Geld nicht missgönnen, denn schließlich haben wir diese Länder zu unserer Zeit ja auch ausgebeutet. Doch die Gegenüberstellungen, die daraus erfolgen, dass ganze Gruppen von Menschen über die Grenzen kommen, lassen einen Zusammenprall der Kulturen direkt vor unserer Haustüre befürchten, und zwar nicht aufgrund der Religionen, sondern vielmehr aufgrund der verschiedenen Lebensstandards.

Übersetzung: Patricia Lux-Martel

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