Jenseits von Kolonialismus


Europa war gestern. China und andere Tigerstaaten sind heute Afrikas erste Partner. Wenn der alte Kontinent wieder Fuß fassen will, sollte er sich an Pekings oder Brasilias Pragmatismus orientieren: „Business first“.

Veröffentlicht am 12 Februar 2013 um 12:44


Machtverhältnisse erkennt man an kleinen Dingen. Beispielsweise nimmt in Lusaka kein sambischer Minister an den Feierlichkeiten für den niederländischen Königinnentag oder für den amerikanischen Unabhängigkeitstag teil. In manchen dieser Ministerien sind Brasilianer, Inder und Chinesen wie zuhause, wird dort über Investitionen verhandelt. Daran sieht man, dass in Afrika der weiße Mann keine Rolle mehr spielt.

Die Meute der „afrikanischen Löwen“, wie die wachsenden Volkswirtschaften des Kontinents in Anspielung auf den „asiatischen Tiger“ der Neunzigerjahre genannt werden, wird größer: Nigeria, Ghana, Sambia, Angola, Uganda, Ruanda und Äthiopien. Nach zehn Jahren Wirtschaftswachstum sprießen in den Hauptstädten nun Wolkenkratzer, Sushibars und iPhones.

Der weiße Mann ist immer noch da: Diplomaten, Berater und Entwicklungshelfer. Nur spielt er keine bedeutende Rolle mehr. In den Siebzigerjahren bestand 70 Prozent des Geldstroms von Nord nach Süd aus Entwicklungshilfe. Heute sind es nur noch 13 Prozent. 


Unheimliches, unberechenbares Afrika

Das abnehmende Gewicht der Hilfen wurde nicht durch zunehmenden Handel und mehr Investitionen des Westens wettgemacht. Der westeuropäische Anteil am internationalen Handel in Afrika ist in den vergangenen dreißig Jahren von 51 auf 28 Prozent gesunken.

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Sicher, einige westliche Konzerne wie Heineken oder Unilever investieren in Afrika, doch sind diese schon seit langem auf dem Markt präsent. Die Mehrheit der westlichen Unternehmen hat keine Afrikastrategie. Sie finden Afrika unheimlich und unberechenbar.

Die größte Veränderung in Afrika wurde von einer Seite in Gang gesetzt, die nicht einmal darauf aus war. China wollt sich in Afrika mit Kupfer, Zinn, Bauxit, Eisenerz, Coltan und Holz eindecken und ließ deshalb als Geschenk an die afrikanischen Machthaber Brücken, Eisenbahnen, Flughäfen und Fußballstadien bauen, um sich die Bodenschätze zu sichern. 


Der räuberische Kapitalisten

Gute Absichten hat die asiatische Supermacht nicht. Der weiße Mann beobachtet das mit Sorge. Sein eigenes Unvermögen überspielt er durch ein moralisches Urteil: China sei ein räuberischer Kapitalist, der Afrika ausplündert. Das entlockt der afrikanischen Elite, die den zunehmenden Wohlstand geniest, nur ein spöttisches Lachen. „Habt ihr Westler das nicht selbst ein Jahrhundert lang gemacht?“

Bleibt dem weißen Mann nichts anderes, als den Schwanz einzuziehen und Afrika zu verlassen? Sicher nicht! Er muss aber seine Rolle und seine Beziehung zu Afrika überdenken. Zunächst muss er das Überlegenheitsgefühl und den Paternalismus ablegen, die er hundertfünfzig Jahre Afrika entgegengebracht hat. Dass die Afrikaner mit den Chinesen glücklich sind, rührt nicht zuletzt aus dem sachlichen (sprich: gleichwertigen) Geschäftsverhältnis mit dem asiatischen Partner her.

Geopolitik, Wirtschaft und Entwicklungshilfe



Dann muss der Westen klären, was er eigentlich in Afrika sucht. Es gibt mindestens drei Gründe für eine neue Afrikapolitik: Geopolitik, Wirtschaft und humanitäre Hilfe.

Es hat eine Weile gedauert, doch Frankreich, gefolgt von England und den USA, hat eingesehen, dass ein islamistischer Maghreb keine gute Aussicht darstellt. Doch weder die Vereinigten Staaten noch China wollen im Kampf gegen islamistische Radikale und Räuberbanden an vorderster Front stehen. Europa aber hat ein geopolitisches Interesse an einem stabilen Afrika.

Der zweite Grund für eine neue Afrikapolitik ist wirtschaftlicher Natur: In einem Zeitalter, indem die Rohstoffe knapp werden, ist Afrika der Hüter der größten Vorräte. China hat Zugang zu den Rohstoffen und auch Brasilien und Indien haben ihren Anteil. Doch behindert durch seine koloniale Vergangenheit bleibt der weiße Mann außen vor.

Und: Das wirtschaftliche Motiv ist doppelt. Afrika besitzt nicht nur Rohstoffe, sondern ist auch ein rasch wachsender Markt für die europäische Industrie. Die Unternehmensberater von McKinsey und KPMG meinen, dass nirgends der Return in Investment größer sei als in der Sahara.

Wen kümmert der „Neokolonialist“?

Der dritte Grund für die Afrikapolitik ist vertrautes Terrain: Mitgefühl für Menschen, die in bitterer, aussichtloser Armut leben. Afrikas Wachstumspfad ähnelt nicht dem der westlichen Welt. Der sogenannte „Trickle-down“, das Durchsickern des Wohlstands in die unteren Schichten, bleibt aus.

In den aufstrebenden Volkswirtschaften Angolas und Mosambiks nimmt die Armut zu. Des Weiteren wurde keine Diversifizierung der Wirtschaft unternommen, was die „Löwen“ anfällig für jeden Rückgang der Rohstoffpreise macht.
Konflikte infolge zunehmender Ungleichheit und Hungersnöte, sowie der Klimawandel, wird die Zahl der humanitären Katastrophen steigen lassen.


Der weiße Mann sollte ich von China die Kunst der Realpolitik abgucken und eine eigenständige, fantasievolle Afrikapolitik entwerfen. Darüber hinaus muss der Westler sich von seiner beladenen Vergangenheit befreien: Er sollte ihm egal sein als „Neokolonialist“ abgestempelt zu werden, wenn er am Wettlauf um die Rohstoffe teilnimmt. Er muss darüber hinaus von seinem Überlegenheitswahn Abstand nehmen und Afrika als gleichwertigen Partner behandeln.

Es ist richtig, dass Frankreich die islamistischen Rebellen in Mali bekämpft. Aber später sollte man auch nach den Regeln der Realpolitik auch darauf bestehen, dass man bei der Vergabe der Konzessionen für Ackerland oder Uran an erster Stelle steht.

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