Demonstranten hinter einem Banner bei einer Demonstration gegen "Fracking". Bukarest, 4. April 2013

Was stinkt denn hier so?

Polen, und in seinem Schlepptau auch Europa, wird bald über die Zukunft seiner Schiefergasvorkommen entscheiden. Für die Gegner der Abbautechnologien ist dies die letzte Gelegenheit, den Kontinent vor der Katastrophe zu retten – oder ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen zu schützen.

Veröffentlicht am 30 Mai 2013 um 11:45
Demonstranten hinter einem Banner bei einer Demonstration gegen "Fracking". Bukarest, 4. April 2013

In Dobrich folgt eine Protestaktion auf die nächste. Die rund 110.000 Einwohner zählende Stadt im Nordosten Bulgariens fordert, dass die Erkundung von Schiefergasvorkommen im benachbarten Rumänien sofort eingestellt wird. Von Dobrich bis zur Grenze sind es rund 40 km und bis zu dem Gebiet, auf welchem der amerikanische Energiekonzern Chevron bald seine geologischen Untersuchungen starten soll, noch weiter.

Doch diese Entfernungen bedeuten den Protestlern nichts. Sie kämpfen gegen die Energieunternehmen, denn sie betrachten diese als Zerstörer der historischen Region Dobrudscha, die teils in Rumänien, teils in Bulgarien liegt. Hauptgrund für die Kontroverse ist eine Abbaumethode namens „hydraulisches Aufbrechen“, besser bekannt als „Fracking“. Aktivisten in Dobrich sind der Überzeugung, dass die ganze Region kontaminiert würde, wenn bei der Förderung von Schiefergas große Mengen Wasser, Sand und Chemikalien, darunter auch Reinigungsmittel, unter hohem Druck in Gesteinsspalten eingepresst werden.

In Dobrich, wo seit anderthalb Jahren regelmäßig Protestaktionen abgehalten werden, ist man sich der Macht der Straßendemos sehr wohl bewusst. Eben eine solche massive Protestwelle, unterstützt von einer gut organisierten Umweltschutzbewegung, zwang das bulgarische Parlament im Januar 2012 dazu, ein Moratorium über das Fracking zu verhängen. Dadurch wurde Bulgarien nach Frankreich das zweite europäische Land, in dem die Erkundung und der Abbau von Schiefergaslagerstätten verboten sind.

Feuer aus dem Hahn

Die Inspiration für Protestaktionen wie in Dobrich stammt aus den Vereinigten Staaten, wo der Kampf über den Schiefergasabbau durch Fracking noch erbitterter war als überall sonst. Die bulgarischen Schiefergasgegner verwenden – wie auch ihre Gesinnungsfreunde in anderen europäischen Ländern – dieselben Argumente und hören auf denselben Propheten: den Filmemacher Josh Fox. Jeder, der seinen Dokumentarfilm Gasland von 2010 gesehen hat, wird wahrscheinlich zum eingeschworenen Gegner des Bohrens nach Schiefergas.

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Fox reiste durch mehrere Staaten der USA und sammelte Zeugenberichte von Menschen mit chronischen Gesundheitsproblemen. Seine Recherchen beweisen erhöhte Krebsraten sowie eine nachweisbare Belastung von Luft, Brunnen- und Oberflächenwasser. In einer der verblüffendsten Szenen des Films zündet ein Landbesitzer aus Weld County, Colorado, Gas an einem Brunnenwasserhahn in seinem Haus mit einem Feuerzeug an. Gasland löste eine weltweite Hysterie aus, der Autor gewann einen Emmy und wurde für einen Oscar nominiert.

Unterdessen gingen drei Journalisten, zwei Iren und ein Pole, das an, was sie für Falschinformationen über das Verfahren des Schiefergas-Hydrofrackings hielten. Ihr Film FrackNation wurde über Crowdfunding auf der Website Kickstarter finanziert und erreichte das finanzielle Ziel von $150.000 (€116.018) in nur drei Wochen.

Die durchschnittliche Spendenhöhe lag bei $60. Die Autoren von FrackNation wollten beweisen, dass Schiefergas eine sichere, rentable Energiequelle sei, das war von Anfang an klar. Zunächst jedoch wollten sie die von Gasland aufgestellten frackingfeindlichen Behauptungen überprüfen. Sie fanden dabei zahlreiche Widersprüchlichkeiten sowie ein paar eindeutige Unwahrheiten.

Doch FrackNation heimste lange nicht soviel Anerkennung ein wie Gasland. Dies veranschaulicht die grundlegende Schwierigkeit, rationale Diskussionen über die Schiefergastechnologie zu führen: Die so genannten „normalen“ Leute sind sich immer noch nicht im Klaren, ob Fracking nun sicher ist oder nicht.

Routinemäßige Skepsis

Bevor Bulgarien das Hydrofracking verbot, konnte die Regierung in Sofia an der Technologie nichts Schlechtes finden. Mehrere Unternehmen, vorwiegend aus den USA, hatten Interesse an den auf über 500 Milliarden Kubikmeter geschätzten Schiefergasvorkommen des Landes bekundet.

Würde das Schiefergas genutzt, so würde es wahrscheinlich Bulgariens Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland verringern – eine Abhängigkeit, die sich in den kommenden Jahren durch die Eröffnung der South Stream Erdgasleitung, die durch bulgarisches Gebiet führt, noch vertiefen wird.

Der Widerstand gegen den Abbau von Schiefergas ergibt sich auch aus der Befürchtung, seine Verbreitung könne die europäische Energielandschaft erschüttern. Die tschechische und die ungarische Kernkraftindustrie sehen die Schiefergastechnologie als Bedrohung. Sie entwickelten ihre Kraftwerke in der Hoffnung, neue Käufer für den dort erzeugten Strom zu finden.

In Deutschland könnte die Einführung der Schiefergastechnologie das ganze Projekt der grünen Energien untergraben. Dabei geht es nicht nur um die Stromerzeugung, sondern auch um den Verkauf der Technologien zur Stromerzeugung durch Wasser, Wind, Sonne und Biomasse. Würde nun eine kostengünstige Alternative in Europa verfügbar, auch in Polen, dann müssten die deutschen Firmen neue Märkte in anderen Gebieten der Welt erschließen.

Ähnliche Betrachtungen motivierten auch Frankreich, Europas heftigsten Gegner der Schiefergastechnologie. Auch hier spielten Bedenken über die Auswirkungen auf den stark entwickelten Atomkraftsektor des Landes eine Rolle. Zugleich glaubt Staatspräsident François Hollande, Fracking habe unerwünschte Nebenwirkungen, und ist entschieden gegen den Einsatz dieser Technologie.

Schiefergas bedroht die russische Wirtschaft

Litauen ist ein weiteres Land, das ein Moratorium über die Erkundung von Schiefergasvorkommen verhängt hat, und zwar hauptsächlich aus ökologischen Gründen. Das Land ist fast ausschließlich auf Importe aus Russland angewiesen, für die es 40 Prozent mehr zahlt als Deutschland – daher befasst sich Vilnius mit der energiewirtschaftlichen Unabhängigkeit.

Litauens Schiefergasvorkommen würden den Energiebedarf des Landes für ein Jahrzehnt decken und es war auch kein Zufall, dass EU-Energiekommissar Günther Oettinger ausgerechnet in Vilnius am 10. März 2013 eine wichtige Botschaft übermittelte: nämlich, dass die Schiefergastechnologie in den Verhandlungen der EU mit Gazprom ein starkes Druckmittel darstellen kann. Der russische Staatsmonopolist ist der größte Erdgasproduzent weltweit und besitzt in mehreren EU-Ländern eine fast monopolartige Stellung.

Deshalb versucht Moskau, den Enthusiasmus für die Schiefergastechnologie zu dämpfen, wie es nur kann. Offiziell betrachtet Gazprom das Schiefergas zwar nicht als Gefahr, doch die Ausmaße der russischen Gegenkampagne legen nahe, dass die Technologie womöglich die größte Bedrohung ist, der sich die Firma momentan ausgesetzt sieht.(PLM)

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