Noch drei Mal Schmiergeld, und wir sind zu Hause. Nahe des Dorfes Mingir, 80 km südlich von Chisinau.

Warten auf das Rückfahrticket

Am 28. November wählen die Moldauer ihre Volksvertreter. Es geht um viel: den Ausweg aus der politischen und sozialen Krise des kleinen Landes und eine Annäherung an die EU oder Russland. Im Ausland hoffen viele Emigranten, dass sie endlich die Rückreise antreten können.

Veröffentlicht am 26 November 2010 um 15:39
Noch drei Mal Schmiergeld, und wir sind zu Hause. Nahe des Dorfes Mingir, 80 km südlich von Chisinau.

Ob wir es wollen oder nicht, die Moldauer hoffen innbrünstig, dass die „Tragödie Voronin” beendet ist [Der von 2001 bis 2009 amtierende Präsident Vladimir Voronin hat noch immer keinen Nachfolger. Die nun gewählten Volksvertreter sollen einen neuen Staatschef designieren]. Genauso denken auch die, die während des Lucinschi-Regimes ausgewandert sind [Petru Lucinschi war Präsident von 1997 bis 2001]; in einer Zeit, wo bekannt war, dass die Menschen in der Republik Moldau unter unmenschlichen Bedingungen lebten und sogar an Hunger starben. Das Exodus-Phänomen hat sich unter dieser Regierung ständig ausgeweitet – auf einmal gab es aus heiterem Himmel unzählige Firmen, die sich auf Kosten der Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung bereichert haben.

Ende der 90er Jahre verlangten besagte Firmen noch 800-900 US Dollar pro Person für eine „Reise nach Europa”, unter Voronins Regentschaft stieg dieser Betrag sogar auf 3000-4000 Euro. Als Gegenleistung dafür fälschten diese Unternehmen Arbeitsbücher, Stempel, Visa, russische, slowakische und tschechische Pässe. Und ich übertreibe nicht, wenn ich feststelle, dass die Moldauer Ende der 90er aus dem eigenen Land vertrieben wurden, weil das alltägliche Elend seinen Höhepunkt erreichte mit riesigen Rückständen bei der Auszahlung von Renten und Gehältern.

Emigranten warten auf Abtritt der Kommunisten

Die von Lucinschi „Vertriebenen” haben das Land mit der Hoffnung verlassen, in zwei bis drei Jahren zurückzukehren, nach einem Regimewechsel. Und von da rührt auch ihr Hass auf die Kommunisten. Es ist bekannt, dass die PCRM (Kommunistische Partei der Republik Moldau) die Bedingungen dafür geschaffen hat, dass immer mehr Moldauer in die Emigration gegangen und immer weniger zurückgekehrt sind. Die möglichen finanziellen und strategischen Ursachen dieser sozialen Katastrophe können wohl folgendermaßen zusammengefasst werden:

1. Das von den Emigranten erwirtschaftete Geld sicherte einen Großteil des Staatshaushaltes der Republik Moldau. Im Jahr 2008 machten die Geldüberweisungen 36,2 Prozent des BIP aus, was das Land zum Spitzenreiter der Staaten machte, die am Tropf solcher Auslandsüberweisungen am Leben erhalten werden. Allein im Jahr 2009 schickten die im Ausland lebenden Moldauer auf offiziellem Weg über die Banken 1,25 Milliarden Dollar; in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres waren es 763 Millionen. Nicht zu vergessen sind dabei die Zahlungen auf nicht offiziellem Weg. Dieses System ermöglichte es den Kommunisten, ihre Wähler zu belügen, indem sie behaupteten, die staatliche Grundfinanzierung zu sichern.

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2. Statt diese Mittel in die Ankurbelung der Wirtschaft zu investieren und im Land zu belassen, gab die ehemalige Regierung das Geld für unnötige Importgeschäfte aus. Auf diese Weise wurden nicht unerhebliche Geldsummen gewaschen, die direkt in die Taschen der Politiker wanderten.

3. Indem sie die Auswanderung vorantrieben, konnten die Kommunisten sogar von der Abwanderung der zumeist jungen Arbeitskräfte profitieren. Im Land blieben nur noch ältere, müde Wähler zurück, die mit kleinen „Wahlgeschenken” wie Mindestanhebungen bei Renten und hohen Preissteigerungen leicht zu manipulieren waren.

4. Indes hatten die protegierten „Tourismusfirmen” weiterhin Bestand und zogen mit Lügen weiter fleißig den Moldauern das Geld aus den Taschen. Auch wenn die Firmen Lucinschis mit einer weißen Weste davon gekommen sind und es im Strafgesetzbuch seit 2002 den Tatbestand des „Menschenhandels” gibt und seit 2006 den der „illegalen organisierten Migration”, haben sich die Kommunisten trotzdem stets über die Gesetze hinweggesetzt.

Besuch im Land des Schmiergelds

In der Zwischenzeit haben die meisten „Vertriebenen” es geschafft, ihren Aufenthalt im europäischen Ausland zu legalisieren, sie sind dort gut integriert und haben den Familiennachzug geregelt. Sie unterstützen die Republik Moldau zwar auch weiterhin durch Geldüberweisungen, aber das wird ihnen nicht gedankt. Ganz im Gegenteil: im Heimatland glaubt man, sie seien reich – hier sieht niemand wie sie gedemütigt am Straßenrand ausharren, in der Hoffnung, jemand möge sie als Tagelöhner beschäftigen.

Zu Voronins Zeiten hatten die Ausgewanderten selbst bei Kurzbesuchen in der Heimat das Gefühl, in einem „Land der Diebe” angekommen zu sein. Beim Zoll wurde Schmiergeld verlangt, und auch bei Behördengängen wurde Ihnen das Geld überall abgerungen..... Mehr noch, die Preise für Flugtickets waren (und sind es noch) übertrieben hoch – was soviel bedeutet wie „wir brauchen euch nicht, aber wenn ihr trotzdem kommen wollt, müsst ihr mehr bezahlen!” Nach einigen Tagen Heimaturlaub waren unsere Landsleute wieder drauf und dran, so schnell wie möglich wieder Richtung Europa zu fahren.

Moldau - ein Refugium für Greise

Das erklärt auch, warum diese Menschen die Kommunisten verabscheuen und ihre Zukunft ohne Voronin sehen. Mit dem letzten Regierungswechsel ist auch die Zahl der Auswanderer zurückgegangen [die Demokraten der Allianz für die Europäische Integration (Alianta pentru Integrare Europeana, AIE) stellt seit 2009 die Regierungskoalition]. Laut Zahlen der Generalstaatsanwaltschaft sind im Jahr 2009 die Fälle von Menschenhandel um 14,3 Prozent gegenüber 2008 gesunken; die Fälle von Kinderhandel sogar um 16 Prozent. Es wird auch weniger Schmiergeld genommen als früher, auch denn das Phänomen weiterhin besteht und besorgniserregend ist. Einige Auswanderer haben zwar auch in die AIE (Allianz für die Europäische Integration) kein Vertrauen, wissen aber gleichzeitig, dass etwas besseres eben nicht zu haben ist....

Wie schon 2001 warten sie, dass sich etwas ändert. Viele möchten gerne endlich nach Hause zurückkehren, aber nur unter der Bedingung, dort auch überleben zu können. Sie wären sogar bereit, sich zu Hause mit 500 Euro statt der in Europa verdienten 1.000 zufrieden zu geben. In den italienischen Bergen baut sich einer unserer Schriftsteller gerade eine Villa. Er hat seinen Sohn seit sieben Jahren nicht mehr gesehen. Der bittet ihn, ihm ein Gerät zur Herstellung von Pässen zu schicken, damit auch er die Republik Moldau verlassen kann....

Wir dürfen nicht vergessen, dass es viele solcher Kinder und auch Erwachsene gibt. Sie alle erwarten den 28. November auf gepackten Koffern. Sollten die Kommunisten tatsächlich ein Comeback erleben, dann glaube ich wirklich, dass die Republik Moldau zum „Refugium für Greise und Greisinnen“ werden wird. Sollten die Demokraten an der Macht bleiben, und sich nichts verändern, dann wird die große Auswanderungswelle sich noch um einige Jahre verzögern. Wenn auch noch die Ärzte abwandern, dann sterben die Alten hier reihenweise. Und was bleibt uns dann noch?

Aus dem Rumänischen von Ramona Binder

Auswanderung

Weniger EU, mehr Russland

Laut der rumänischen Tageszeitung Adevarul leben zwischen 300.000 und 1 Million Moldauer im Ausland, was mehr als ein Viertel der Landesbevölkerung ausmacht.„Das langfristig beliebteste Ziel ist die Europäische Union, wo sie mindestens 500 Euro monatlich verdienen können, auch wenn sie illegal arbeiten“, erläutert die rumänische Tageszeitung. „Aber die Reise in einen EU-Mitgliedsstaat ist mit etwa 2.630 Euro ziemlich teuer“, davon werden vor allem die Mittelsmänner bezahlt, die Schengen-Visa für die Migranten organisieren. Um diese Welle zu stoppen, „hat die EU der Republik Moldau Hilfsleistungen in Höhe von Drei Milliarden Euro zugesichert, um Arbeitsplätze für die Rückkehrer in die Heimat zu schaffen.“ Das Projekt, an dem zwölf EU-Mitgliedsstaaten beteiligt sind, ist auf drei Jahre angelegt. Im Gegenzug, so Adevarul weiter, begrüßt Russland, das jedes Jahr eine Million seiner aktiven Bevölkerung verliert, die Einwanderung aus der Republik Moldau. „Jedes Jahr kommen um die 500.000 Moldauer zum arbeiten nach Russland.“ Diese Einwanderung an Saisonarbeitskräften wird noch durch die gemeinsame russische Sprache und dem visafreien Reisen zwischen den beiden Ländern erleichtert.

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