Lech Walesa (links), Solidarność-Chef , sein Berater Bronislaw Geremek (2. von rechts) im Gespräch mit dem polnischen Präsidenten Wojciech Jaruzelski (2. von links) und Regierungschef Mieczysclaw Rakowski, 18. April 1989 in Warschau. AFP

Der Anfang vom Ende vor 20 Jahren

Polen feiert zwanzig Jahre politischer Unabhängigkeit. Doch die Gefühle sind gemischt. Während Gazeta Wyborcza ihr Glas auf ein freies, jedermann gehörendes Polen erhebt, beklagt Pawel Lisicki in Rzeczpospolita eine Zeit des "Gedächtnisschwunds und des schwindenden Sinns für Staatsbürgerpflichten."

Veröffentlicht am 4 Juni 2009
Lech Walesa (links), Solidarność-Chef , sein Berater Bronislaw Geremek (2. von rechts) im Gespräch mit dem polnischen Präsidenten Wojciech Jaruzelski (2. von links) und Regierungschef Mieczysclaw Rakowski, 18. April 1989 in Warschau. AFP

Am 20. Geburtstag der ersten freien polnischen Wahlen, die der kommunistischen Herrschaft ein Ende setzten, schreibt Adam Michnik, Kolumnist bei der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborsza: "1989 war das Jahr, als Polen die Oberhand über sein grausames Schicksal gewann. (…) Das bisher geknebelte und hilflose Volk fand endlich eine Stimme." Und er fügt hinzu: "Eine, die die ganze Welt hörte". Er bezeichnet Solidarność-Führer Lech Wałęsa und den Kommunisten Wojciech Jaruzelski als Anführer eines "polnisch-polnischen Krieges". Beide, so der Autor, dienten Polen auf dem Weg zur Demokratie. Das Wahlergebnis dieses Jahres wurde an einem Moment bekannt, als "wir, die Leute von Solidarność die Reaktion aus Moskau fürchteten". Es sei ihr hoch anzurechnen, dass die kommunistische Partei das Wahlergebnis, was ihre eigene Auflösung einläutete, offiziell anerkannte. Wie Solidarność "verstand sie, dass wir uns auf dünnem Eis bewegten, dass Sowjet-Truppen immer noch in Polen stationiert waren". Der Autor richtet eine Hommage an Papst Johannes Paul II. und die katholische Kirche, für "ihre bedeutende Rolle während des Durchbruchs." 1989, so der Autor, "zeigten die Polen der Welt ihre beste Seite – mutig und tolerant." Und wenn Bitterkeit über die Vergangenheit herrscht, und Probleme über die Gegenwart, "dann gibt es andere Gelegenheiten, sich die eigenen Sünden vorzuwerfen."

Die letzten zwanzig Jahre können aber auch anders zusammengefasst werden, glaubt andererseits Paweł Lisicki von der konservativen [Rzeczpospolita](http:// http://www.rp.pl/artykul/9158,314982_Pawel_Lisicki__Nasze_swieto_4_czerwca_.html). Es sei eine Zeit "der Amnesie und des schwindenden Sinns für Staatsbürgerpflicht" gewesen. Die Schuldigen für kommunistische Gräueltaten wurden bestraft, die öffentliche Definition von Gut und Böse verschwamm. Anstatt stolz "auf unsere Nation zu sein", meint der Leitartikler von Rzeczpospolita, "brachte man uns bei, uns zu schämen, und einer starken nationalen Identität mit Misstrauen zu begegnen". Eine mögliche Erklärung dafür findet sich in der Tatsache, dass die polnische Unabhängigkeit nicht Frucht eines Sieges über den Kommunismus war, sondern "ein Vertrag mit dem alten Regime". Im Gegensatz zu Minchik meint er, dass die Wahlen am 4. Juni 1989 nur teilweise frei waren. Solidarność gewann sie deutlich. Jedoch, "anstatt daran zu denken, den Kommunisten so schnell wie möglich die Macht zu entreißen, versuchte Solidarność den Enthusiasmus der Anhänger zu unterdrücken". Natürlich sind selbst für Lisicki die Ereignisse des 4. Juni 1989 nicht völlig unbedeutend. Er schließt mit dem Kommentar, dass letzten Endes der Tag, an dem "Polen bewiesen, dass sie fähig sind, sich auf sich selbst zu konzentrieren und die Freiheit zu wählen", des Gedenkens wert sei.

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