Weltmeister im Nase-vorn-haben: der französische TGV und der deutsche ICE am Pariser Gare de l'Est.

Der Hochgeschwindigkeitskrieg

Die Bahnriesen aus Frankreich und Deutschland streiten sich um die europäischen Hochgeschwindigkeitszüge. Dabei wäre, so The Economist, eine Fusion die bessere Lösung.

Veröffentlicht am 9 September 2010 um 14:35
JR_Paris  | Weltmeister im Nase-vorn-haben: der französische TGV und der deutsche ICE am Pariser Gare de l'Est.

Am Gare de l’Est in Paris scheint die deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem richtigen Weg zu sein. Dank eines Joint Venture der beiden Unternehmen läuft da etwa der ICE der Deutschen Bahn aus Frankfurt ein und die SNCF schickt ihre Züge bis ins tiefste Deutschland. Jeder Zug hat einen deutschen und einen französischen Schaffner an Bord. Abgesehen von Details – so lehnen etwa die französischen Gewerkschaften ab, dass ihre Hauptschaffner den Fahrgästen der ersten Klasse Mahlzeiten servieren, also müssen die Deutschen das alleine machen – verstehen sie sich gut. "Wenn wir im selben Zug sind, dann sind wir ein Team", sagt Marine Dubois, die französische Kontrolleurin im ICE von 13.09 Uhr nach Frankfurt.

Das Gemeinschaftsunternehmen der Deutschen Bahn und der SNCF, dem deutschen und dem französischen Bahnriesen, wurde 2007 mit hohen Erwartungen gestartet. Positivisten sagten damals einen offenen europäischen Markt voraus, in welchem Züge und Fahrgäste ohne viel Aufhebens die Landesgrenzen überqueren würden. Doch alte nationale Rivalitäten kommen wieder zum Vorschein. Die Beziehungen in den Vorstandsetagen haben sich zum Bösen gewendet und sogar das Joint Venture könnte heute gefährdet sein.

Die Deutsche Bahn kündigt "blutige Schlacht" an

SNCF und Deutsche Bahn stehen zum ersten Mal in direkter Konkurrenz um die Herrschaft über die europäischen Hochgeschwindigkeitszüge. Seit Januar dürfen alle europäischen Bahnunternehmen mit internationalen Verbindungen jenseits ihrer Grenzen tätig sein. Zudem drängen die französischen Züge rapide auf den deutschen Inlandsmarkt, der bereits für ausländische Firmen geöffnet ist. Letztes Jahr beantragte Keolis, ein Tochterunternehmen der SNCF, das Recht, Langstreckenverbindungen zwischen deutschen Großstädten zu betreiben. Die Deutsche Bahn kündigte empört eine "blutige Schlacht" an und warnte die Franzosen, dass "es im Krieg keine Gewinner gibt".

Am 31. August hielten der französische und der deutsche Verkehrsminister mit den Vorstandsvorsitzenden der beiden Firmen eine Krisensitzung ab. Deutsche Bahn und SNCF müssen normale Geschäftsbeziehungen unterhalten, genau wie Lufthansa und Air France, so der französische Verkehrsminister. Doch auch die Minister streiten sich um die Bahn. Unterstützt durch die Bundesregierung beschuldigt die Deutsche Bahn Frankreich, seinen den ausländischen Zügen nach wie vor verschlossenen Bahnmarkt auf unfaire Weise abzuschirmen. Die SNCF hingegen beschwert sich, dass Deutschland den Bahnbetrieb der Deutschen Bahn nicht vollständig von seinem Unternehmen für die Schienen-Infrastruktur getrennt hat, was die Konkurrenz potentiell benachteiligt. Die Europäische Kommission leitet diesbezüglich gerichtliche Schritte ein.

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ICE im Eurotunnel? - Vermessen und arrogant

Weitere Auseinandersetzungen stehen im Oktober bevor, wenn die Deutsche Bahn einen ICE-3 im Eurotunnel testet. Die Firma will die Verbindung nach London rechtzeitig für die Olympischen Spiele 2012 einrichten, wodurch es mit dem Monopol des SNCF-mehrheitlichen Eurostars im Tunnel vorbei wäre. Um den Tunnel nutzen zu können, versuchte die Deutsche Bahn letztes Jahr zunächst, sich selbst in den Eurostar einzukaufen. Der SNCF-Vorstandsvorsitzender Guillaume Pepy nannte diesen Plan "verfrüht, vermessen und arrogant".

Die Deutsche Bahn ist bereits der größte Betreiber im Frachtverkehr. Ihre Unternehmen sind in Polen, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und weiteren Ländern tätig. Für die Franzosen ist es besonders bitter, dass die SNCF – vor allem wegen ihrer Gewerkschaften – große Verluste im Frachtverkehr einbüßt, während die französische Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, Euro Cargo Rail, bald lukrative zehn Prozent des Markts erobert hat.

ICE, reich und geräumig vs TGV, schnell und billig

Nun will die Deutsche Bahn an Stelle der SNCF auch in der Bahnbeförderung von Personen die Führung übernehmen. Im April kaufte sie das britische Unternehmen Arriva, das Bahn- und Buslinien in zwölf europäischen Ländern betreibt. Vor den Verhandlungen mit den Deutschen hatte sich Arriva erst an die SNCF-Tochter Keolis gewandt. Französische Politiker hatten versprochen, ein Kaufangebot der SNCF zu unterstützen. Doch das Angebot der Deutschen Bahn war besser.

Die Franzosen reagierten auf den Aufbau eines zukünftigen DB-Imperiums dadurch, dass sie die SNCF in ein neues europäisches Impulszentrum verwandeln wollten. Sie übernahmen also 20 Prozent der italienischen Nuovo Trasporto Viaggiatori, eines neuen Privatunternehmens, das ab nächstem Jahr Hochgeschwindigkeitszüge betreiben wird.

Wer wird wohl den Kampf um die Passagiere gewinnen? Der ICE ist geräumiger. Der französische train à grande vitesse (TGV) ist schneller. Der TGV ist gewöhnlich auch billiger.

Der Königsweg ist die Fusion

Die Deutsche Bahn besitzt eine höhere Eigenkapitalbasis und einen größeren Inlandsmarkt. Sie hat auch höhere Umsätze und Erträge – für 2009 verzeichnete sie einen Nettogewinn von 830 Millionen Euro, gegen 980 Millionen Euro Verlusten für die SNCF – und verfügt somit über eine größere Kriegskasse für Akquisitionen oder Auslandserweiterung. Die Liberalisierung der grenzüberschreitenden Verbindungen vollzieht sich für die SNCF zu einem besonders heiklen Zeitpunkt. Zum ersten Mal verzeichnet ihre TGV Abteilung eine Wachstumsflaute, nachdem sie in der Vergangenheit Gewinne brachte.

Auch die Firmenkultur der beiden Unternehmen ist verschieden. Die deutsche Bahnreform von 1994 zwang die Deutsche Bahn dazu, ihre Produktivität zu verbessern. Die SNCF steht stärker unter dem Einfluss der Gewerkschaftsmacht und muss aufholen. Manche sind der Meinung, aufgrund der Unterschiede der beiden Firmen sei eine Fusion wohl die beste Antwort auf die heutigen Spannungen. Die Deutschen könnten der SNCF zeigen, wie man gewinnbringenden Frachtverkehr betreibt, und die Franzosen könnten ihnen beibringen, wie man bei hoher Geschwindigkeit Fahrgäste transportiert.

Übersetzung: Patricia Lux-Martel

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