In den Ruinen des Darulaman-Palastes in Kabul, Januar 2010 (AFP)

Die Quadratur des Kreises

Die westlichen Regierungen müssen aufhören, Afghanistan auf eine Kulisse für innerpolitische Keilereien zu reduzieren und sich und die Öffentlichkeit in Illusionen zu wiegen, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Das betrifft: die Realisierbarkeit der eigenen Ziele, den baldigen Abzug und – vor allem – das Happyend.

Veröffentlicht am 29 Januar 2010 um 16:42
In den Ruinen des Darulaman-Palastes in Kabul, Januar 2010 (AFP)

"Alle reden über Afghanistan – und meinen doch die eigenen Interessen", schreibt Tomas Avenarius in der Süddeutschen Zeitung. "Schade eigentlich angesichts der ungezählten Gebeine, die seit 1979 entlang des Hindukusch verrotten." Die Alliierten müssten sich jetzt darauf konzentrieren, "was erreicht werden kann und was nicht. Das magische Afghanistan-Viereck also: Frieden und 'Nation-Building'. Demokratie und Rechtsstaat samt Frauenrechten. Landesweite Entwicklung. Und ein Ende der geopolitischen Ambitionen fremder Mächte, die diese seit Jahrhunderten in Afghanistan ausfechten. Wie in der Wirtschaftstheorie können diese vier Ziele nicht gleichzeitig erreicht werden. Auf mindestens eines muss verzichtet werden, weil es den anderen Punkten fundamental widerspricht. Es kann und wird also nicht alles gut werden. Weil es nicht geht."

Dazu gehört laut Avenarius' Analyse die Einsicht, das die Taliban am Ende einen Teil der Macht haben werden. Auch das Argument, das Land würde bei einem Abzug in den Bürgerkrieg zurückfallen, ist "obsolet". "Der Bürgerkrieg läuft ohne Unterbrechung." Das Ziel kann nur sein, eine verlorene Generation aus Afghanen, Taliban und War Lords zu modernisieren. Aussteigerprogramme seien hier keine schlechte Idee. Aber das braucht Zeit. Mehr Zeit, "als es die innenpolitischen Überlegungen einer Angela Merkel zulassen. Das ist ein weiterer Aspekt der afghanischen Tragödie."

Koalition

Den Europäern ist der Krieg eine immer schwerere Last

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Nach acht Jahren Krieg wird die Öffentlichkeit in Europa müde. In Deutschland will die Regierung beim Parlament beantragen, 850 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken, während – den letzten Umfragen zufolge – zwei Drittel der Deutschen den Rückzug der 4.280 von Berlin ausgesandten Soldaten befürworten. In Frankreich äußert ein Teil der Opposition seine Zweifel über die Stichhaltigkeit der Intervention in Afghanistan und lehnt das Aussenden weiterer Truppen ab. Die Niederlande kündigten vor kurzem an, sie wollten Afghanistan im Laufe 2010 verlassen. Sogar die britische Öffentlichkeit, die bisher hinter ihrer Regierung stand, zieht langsam nicht mehr mit. "Alle europäischen Länder haben ihre Afghanistan-Politik nach ihren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ausgerichtet, anstatt im Hinblick auf ihre eigenen Interessen und Mittel zu handeln", bedauert Nick Witney, ehemaliger Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur.

Eine harte Nuss für die USA

Wenn man von den britischen, deutschen und französischen Truppen absieht, die mit jeweils 10.000, 4.280 und 3.750 Soldaten das zweit-, dritt- und viertgrößte Kontingent der Koalition stellen, sind die Streitkräfte der kleinen Länder manchmal so symbolisch und zusammengewürfelt (250 Albaner, 50 Finnen, 10 Bosnier...), dass sie die Aufgabe der NATO-Verantwortlichen erschweren. Dazu dann noch das Sprachproblem in einer Koalition aus 43 Ländern. Und die "Caveats", die Beschränkungen, die manche Hauptstädte ihren Truppen vor Ort auferlegen. Für die amerikanische Armee gestaltet sich also der Umgang mit manchen europäischen Teinehmern ganz schön kompliziert. Allerdings suchen die Amerikaner, die mit ihren bald 100.000 Soldaten – im Vergleich zu knapp 40.000 Europäern – die Kampfhandlungen in Afghanistan leiten, in der Teilnahme ihrer Alliierten eher ein politsches Symbol als militärische Effizienz.

Isabelle Lasserre, Le Figaro (Paris).

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