EGMR in Straßburg verurteilt italienisches Gesetz zur künstlichen Befruchtung

Veröffentlicht am 29 August 2012 um 13:04

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in erster Instanz festgehalten, dass das italienische Gesetz aus dem Jahr 2004 zur künstlichen Befruchtung „das Recht auf Privatsphäre“ verletze, da es keine Pränataldiagnostik (PND) für Erbkrankheiten erlaube, berichtet La Stampa und verwechselt im übrigen auf dem Titelblatt den Straßburger Gerichtshof mit der Europäischen Union.

Das Gericht gab einem Ehepaar Recht, bei dem beide Partner gesunde Träger der Mukoviszidose sind und das eine künstliche Befruchtung wünschte, um die in vitro gezeugten Embryonen auf diese Krankheit zu untersuchen. Die künstliche Befruchtung wurde aber mit der Begründung verweigert, dass nach italienischem Recht diese Krankheit nicht zu jenen gehöre, die mittels Pränataldiagnostik ermittelt werden dürfen. Dem Paar bleiben also nur zwei Möglichkeiten: die Reise ins Ausland oder eine natürliche Schwangerschaft mit dem Risiko eines therapeutischen Schwangerschaftsabbruchs für den Fall, dass der Fötus von der Krankheit betroffen sei, was das Paar bereits einmal durchlebt hatte. Ein Widerspruch im italienischen Recht, auf den der Gerichtshof ausdrücklich hinwies.

Die italienische Regierung hat angekündigt, dass sie in Berufung gehen wird.

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In der Turiner Tageszeitung schreibt der Jurist und ehemalige EMGR-Richter Vladimiro Zagrebelsky, dass das Gericht mehrere Fakten berücksichtigte:

Die überwiegende Mehrheit der europäischen Länder erlaubt die künstliche Befruchtung, um die Vererbung genetischer Krankheiten zu vermeiden (nur Italien, Österreich und die Schweiz verbieten sie). Ein Verbot, dass in der italienischen Gesetzgebung ungerechtfertigt und im Zusammenhang mit dem Trend auf europäischer Ebene ungerecht ist. Eine Gesetzgebung, die ohne Grund das Recht eines Paars auf persönliche Entscheidungen und auf Familie beschneidet. [...] Es ist ein Bereich, in dem der individuellen Entscheidung Platz eingeräumt werden muss (die Entscheidung, nicht auf ein gesundes Kind verzichten zu wollen) und wo es in der Verantwortung der Ärzte liegt, die Fortschritte in Forschung, Wissen und bei den menschlichen Möglichkeiten so gut es geht zu nutzen.

„Das Gericht folgte nicht der italienischen Regierung, die argumentierte, es bestehe ein Risiko der eugenischen Selektion, sowie bei der Gesundheit der Mutter und für das Gewissen der Ärzte“, kommentiert ihrerseits die Warschauer Gazeta Wyborcza. Die Tageszeitung betont des Weiteren, dass die Entscheidung des Gerichts auch auf das polnische Gesetz zur künstlichen Befruchtung, welches in Vorbereitung ist, Auswirkungen haben wird:

Die beiden Gesetzesvorlagen, die noch nicht dem Parlament unterbreitet wurden, sehen vor, dass die künstliche Befruchtung nur im Fall der Unfruchtbarkeit angewendet werden dürfe. Ausgeschlossen sind also fruchtbare Paare, welche legitime Gründe haben, zu befürchten, ihre Kinder könnten von einer Erbkrankeit betroffen sein und die mittels einer künstlichen Befruchtung einen gesunden Embryo wählen wollen. Auch wenn die Entscheidung des Gerichts nur das jeweilige Land betrifft, so stellt sie einen Präzedenzfall dar, welcher für alle Mitgliedsstaaten des Europarates verbindlich ist. [...] Mit anderen Worten: Will Polen ein Gesetz zur künstlichen Befruchtung beschließen, wird das Land die Entscheidung des Gerichts berücksichtigen müssen.

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