Nachrichten Migration – Eine Herausforderung für Europa (1/5)

Einwanderer bereiten Malta Kopfschmerzen

Die winzige Insel Malta steckt mitten in einer „kulturellen Invasionskrise“: Tausende afrikanische Migranten stürzen sich in die Fluten des Mittelmeers um die maltesischen Küsten zu erreichen und eine Pforte zur EU zu finden. Die an die EU gerichteten Bittgesuche und Hilferufe sind bisher allerdings auf taube Ohren gestoßen. Nun muss Brüssel aber endlich eingreifen.

Veröffentlicht am 8 August 2013 um 15:36

Anfang dieser Woche ist ein mit Flüchtlingen überladenes Schlauchboot in Schwierigkeiten geraten. Seine Insassen versuchten, aus Afrika zu fliehen, um sich in Europa in Sicherheit zu bringen.

Als das Boot, das in Libyen mit Kurs auf den kleinsten Mitgliedsstaat der EU losgefahren war, zu sinken begann, machte die maltesische Armee mobil. In einem dreizehnstündigen Nachteinsatz versuchte sie, die 112 Passagiere zu retten.

Acht von ihnen wurden auf dem Luftweg zu Notfallbehandlungen ins nächste Krankenhaus befördert. Alle anderen wiesen deutliche Anzeichen einer beginnenden Austrocknung, Erschöpfungssymptome, und Sonnenstiche auf.

Diese Geschichte ist bei weitem kein Einzelfall. Jede Woche kommen ganz ähnliche Boote an den Ufern der Insel an. Vergangenen Monat hat [Maltas] Ministerpräsident Joseph Muscat versucht, zwei Flugzeuge voller somalischer Migranten nach Afrika zurückzuschicken, ohne sich ihre Asylforderungen auch nur anzuhören.

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Damit griff [er] die jüngsten Vorschläge einer „Abschiebungs“-Politik auf, wie sie in Australien praktiziert wird, noch bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Übergangsregelung erlassen konnte, die derartige Methoden als illegal verurteilt. (Im Nachhinein hat Muscat allerdings erklärt, dass er die Rückführung nicht wirklich durchgeführt hätte. Seine Androhung sollte lediglich dazu dienen, einen Eingriff der EU herbeizuführen.)

Das Tor nach Europa

Ob dies wirklich nur ein Bluff war, sei dahingestellt. Deutlich aber wurde dadurch, wie verzweifelt die Regierung ist. Bevor Malta 2004 der EU beitrat, war die Zahl der Immigranten unbedeutend. Aufgrund seiner geografischen Nähe zu Nordafrika ist [die Insel] für Einwanderer, die einen Weg nach Europa suchen, aber seitdem zu einer regelrechten Eingangstür geworden. im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung werden [in Malta] weltweit die meisten Asylantrage gestellt.

Das liegt natürlich auch an seiner kleinen Größe. Die Insel ist kleiner als die [der Südküste Großbritanniens vorgelagerte] Isle of Wight. Die 17.000 ausweislosen Einwanderer, die im vergangenen Jahrzehnt [in Malta] ankamen, entsprechen 2,7 Millionen Migranten in Großbritannien.

Nach der lebensgefährlichen Reise leben die Flüchtlinge unter ärmlichen Bedingungen. Zudem können Migranten ohne gültige Ausweispapiere in Malta bis zu 18 Monate lang festgehalten werden. Dafür werden sie in überfüllten Gewahrsamszentren untergebracht.

Grund zur Sorge

Letzte Woche verurteilte der [Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, kurz] EGMR, die Bedingungen, unter denen einige Einwanderer festgehalten wurden, als „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“, die mit einer Geldbuße von 60.000 Euro bestraft werden kann. Zu den aufgelisteten Kriterien gehören niedrige Temperaturen, unzureichende Ernährung, ein mangelnder Zugang zu frischer Luft oder die Unmöglichkeit, sich Bewegung zu verschaffen.

[[Wie überall auf der Welt ist die Einwanderungspolitik in den letzten Wochen zur Obsession geworden.]] Während Australien von allen Seiten für seine Flüchtlingslager in Papua-Neuguinea kritisiert wird, liefern sich die Briten heftige Diskussionen um die ethischen Grundsätze der Bekämpfung der illegalen Einwanderung durch das Innenministerium.

Und als ich letzte Woche meine Familie in Malta besuchte, war die Frage der Immigration egal wo ich hinkam Gesprächsthema Nummer eins. Und auch beim Durchblättern der landesweiten Zeitungen [stellte ich fest], dass ein Blatt nach dem anderen [der Einwanderungspolitik] gewidmet war.

Wie anderswo spielen auch hier nicht nur der Bevölkerungsdruck, sondern noch viele andere Faktoren eine Rolle. Die Einwanderer, die hauptsächlich aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara stammen, fallen in einem Land, das zuvor nur sehr wenige Ausländer beheimatete, natürlich schnell ins Auge.

Besorgnisbekundungen über eine „kulturelle Invasion“ gibt es inzwischen ebenso viele wie Anekdoten über steigende Kriminalitätsraten in den Gegenden, in denen die Immigranten sich aufhalten. Dabei gibt es für keine einzige [dieser Geschichten] Beweise. Und dennoch ist es bereits zu rassistischen Übergriffen gekommen.

Eine Herausforderung für Malta und Europa

Die Bewohner Maltas müssen und werden sich nach und nach an eine stärker multikulturell geprägte Gesellschaft anpassen. In der Zwischenzeit aber fühlt sich das Land ganz so, als sei es nicht in der Lage, diese Situation irgendwie bewältigen zu können. Die Frage, ob dies eine „Krise“ ist oder nicht, steht auch weiterhin zur Debatte.

Zumal viele Einwanderer Malta letzten Endes doch wieder verlassen und Studien der Universität Oxford gezeigt haben, dass man das Ausmaß der Lage durch den Gebrauch von Gewahrsamseinrichtungen auch übertreibt. Allerdings führt die Regierung ins Feld, dass sie einfach nicht die Mittel hat, um mit all den Booten fertig zu werden, die mit zahlreichen Einwanderern beladen an den Ufern [der Insel] ankommen.

Europäische Asylpolitik ist dringend notwendig

[Folglich] fordert sie die EU immer wieder dazu auf, einen politischen Kurs einzuschlagen, der alle [Staaten] dazu zwingt, einen Teil der Gesamtlast zu übernehmen. Auf diese Weise würde man auch alle anderen Länder in Europa dazu verpflichten, einen Teil der Einwanderer aufzunehmen, die in den „Grenz“-Ländern wie Malta ankommen.

In der Vergangenheit setzten sich Italien, Zypern und Griechenland für diese Lösung ein, die alle [drei] gegen eine riesige Antragsflut von Asylgesuchen ankämpfen, insbesondere seit dem Arabischen Frühling. Aber in Brüssel stoßen sie üblicherweise auf Widerstand.

[[Klar ist, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher.]] Ohne Integration, mit abgeschotteten und ausgebeuteten ethnischen Minderheiten und anschwellenden rassistischen Ressentiments. Rückdrängungsversuche wie jene, die letzten Monat stattfanden, sind zu Recht illegal.

Wenn die EU aber tatsächlich für einen angemessenen Schutz von Asylsuchenden ist, dann muss sie den Grenzländern auch dabei helfen, politische Programme zu erarbeiten, durch die sie dies erreichen können. Länder wie Malta, die kaum Erfahrung im Umgang mit der Einwanderungsproblematik haben, sollten nicht einfach so ihrem Schicksal überlassen werden.

Um die Migranten nach ihrer Ankunft unterstützen zu können, müssen geeignete Systeme geschaffen werden. [Asyl-]Anträge müssen schneller bearbeitet, und die [Einwanderer] bei Gewährung [von Asyl] besser integriert oder umgesiedelt werden. Um all diese Dinge in die Praxis umzusetzen, muss die EU Ressourcen bereitstellen und sich für eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten einsetzen.

Illegale Immigration

Geteiltes Europa

In der Nacht vom 5. zum 6. August weigerte sich die Regierung in Malta, eine Gruppe von 102 illegalen Zuwanderern aufzunehmen. Mit dieser Entscheidung läutete sie eine Kraftprobe mit der Europäischen Kommission ein, die vor allem „die Schwachstellen der Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich deutlich macht“, meint La Libre Belgique.

EU-Innenkommissarin Cécilia Malmström hob die humanitäre Notlage hervor und machte deutlich, dass die Rücksendung der Flüchtlinge nach Libyen möglicherweise einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung darstellt, der sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch der internationalen Gesetzgebung verankert ist.

Unterdessen berichtet die Tageszeitung aus Brüssel, dass die maltesische Regierung auf ihrem Standpunkt behaart und der Überzeugung ist, rechtmäßig gehandelt zu haben. Wie La Libre Belgique berichtet, ist diese Ablehnung kein Einzelfall. In diesem Kontext prangert das Tagesblatt die Tatsache an, dass die Bearbeitung von Asylanträgen, die theoretisch harmonisiert wurde, noch immer von einem zum anderen EU-Land unterschiedlich abläuft.

Zudem machen einige der Mitgliedsstaaten nicht einmal mehr „ein Geheimnis daraus, dass sie alles daran setzen, ihre im Rahmen der Genfer [Flüchtlings]konvention eingegangenen Verpflichtungen nicht einhalten“ zu müssen.

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