Schauen wir uns einige Zahlen an, die diesen bedeutenden Einfluss deutlich machen: Heute zählt Brüssel etwa 25.000 Lobbyisten (von denen 11.000 offiziell registriert sind). Etwa 1,5 Milliarden Euro werden jedes Jahr von den Lobbyisten ausgegeben. So gibt zum Beispiel allein der European Chemical Industry Council jährlich 11 Millionen Euro aus. Einige Lobbying-Unternehmen (Fleishman-Hillard, FTI Consulting, Burson-Masteller...) gehören außerdem zu den Unternehmen, die - an den Lobbyismus-Kosten gemessen - am meisten ausgeben. Diese Überrepräsentierung wird von vielen Akteuren häufig kritisiert. Darüber hinaus ergab eine Umfrage unter EU-Bürgern im Jahr 2013, dass "78% der französischen Bürger der Meinung sind, dass Lobbyarbeit einen zu großen Einfluss auf die europäischen Institutionen hat".
Angesichts der Macht der Interessenvertreter haben die europäischen Institutionen im Laufe der Zeit spezifische Regeln für die Regulierung der Lobbyarbeit verabschiedet. So wurden die ersten politischen Maßnahmen beispielsweise erst 1992 ergriffen, als das Europäische Parlament sein Transparenzregister verabschiedete. Im Jahr 2014 machte die neue Juncker-Kommission einen großen Schritt vorwärts: Ein Regelwerk zur Stärkung der Transparenz wurde verabschiedet. Seitdem müssen alle Kommissare, ihre Kabinettsmitglieder und alle Generaldirektoren ihre Meetings mit Interessenvertretern veröffentlichen. Darüber hinaus müssen sich alle Kommissare an einen neuen Verhaltenskodex halten, der im Februar 2018 verabschiedet wurde.
Schließlich hat sich das Europäische Parlament im Jahr 2019 durch die Einrichtung eines obligatorischen “legislativen Fußabdruck” für legislative Berichterstatter hervorgetan, anhand dessen die Bürger sehen können, wer die europäische Gesetzgebung beeinflusst.
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Erstens sind Koordinierung und Zentralisierung der europäischen Institutionen unzureichend. Selbst wenn das Europäische Parlament und die Kommission solide Garantien für Transparenz bieten, ist dies beim Europäischen Rat, und insbesondere beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss noch nicht der Fall. Ferner hat der Europäische Bürgerbeauftragte vor Kurzem eine Untersuchung über den Mangel an Transparenz beim Europäischen Rat eingeleitet, und dabei auf "Verwaltungsmissstände" im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen.
Zudem sind die Verhandlungen über die obligatorische Einführung des Transparenzregisters bisher gescheitert, obwohl die Sanktionen nicht abschreckend genug sind.
Zweitens, obwohl das europäische Register die direkte Einflussnahme (Kontakte zwischen Lobbyisten und politischen Entscheidungsträgern, Registrierung von Interessenvertretern ...) erfasst, ist dies nicht der Fall, wenn es um indirekte Einflussnahme geht. Infolgedessen unterschätzen viele Firmen ihre Ausgaben in dem europäischen Register, indem sie einige Ausgaben im Zusammenhang mit indirekter Einflussnahme einfach nicht angeben. Zum Beispiel die Organisation eines Kolloquiums oder Werbekampagnen. Außerdem gehört die unabhängige Ethikkommission, die Ratschläge formulieren kann, zur Europäischen Kommission und hat keine wirkliche Sanktionsbefugnis.
Drittens gibt es ein wirkliches Verbesserungspotenzial: Nur ein Drittel der OECD-Länder hat Auflagen eingeführt, welche die sogenannte Praxis der "Drehtüren" unterbinden. Weltweit haben nur zwei von fünf Ländern strengere Lobbypraxis-Regeln erlassen. Um diese nationalen Unterschiede zu beseitigen, könnte ein europäischer Ansatz hilfreich sein. Die europäischen Regeln scheinen viel weiter zu gehen als die Regeln der einzelnen Länder und sollten im Rahmen eines neuen europäischen Transparenznetzwerks noch verstärkt werden.
Ein europäisches Transparenz-Netzwerk und eine europäische Transparenzbehörde könnten eine großartige Lösung sein
Über eine europäische Harmonisierung der Transparenzregeln hinaus, sollte beim Austausch von nationalen und europäischen Informationen eine bessere Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten gefördert werden. Wenn eine gemeinsame Vereinbarung zwischen den Staaten und den europäischen Institutionen zustande käme, wäre es notwendig, alle Transparenzregeln über die Arbeitsweise der Europäischen Union vertraglich festzulegen. Ferner wäre es interessant, ein europäisches Transparenznetzwerk zu gründen. Wir halten es für grundlegend, Einflussnahme und Sanktionen gegenüber Konzernen zu verstärken.
Trotzdem glauben wir, dass eine bessere europäische Koordinierung zu diesem Thema wichtig ist. Deshalb sollte die derzeitige "Transparenz-Bewegung" in Europa stärker zentralisiert und harmonisiert werden, wobei nationale Besonderheiten berücksichtigt werden sollten, wie ein Bericht der OCDE bereits im Jahr 2012 hervorgehoben hat.
Außerdem sollte die erste Priorität die Harmonisierung der Transparenzpolitik zwischen den europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten sein. Wir glauben, dass die Schaffung einer europäischen Behörde für mehr Transparenz, die alle aktuellen Initiativen unter der Führung der europäischen Institutionen harmonisieren und kontrollieren würde, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung wäre. Diese neue Institution könnte die Ergebnisse der Regelung bewerten, neue Maßnahmen vorschlagen und zu guter Letzt über Sanktionsbefugnisse verfügen. Vor allem könnte diese neue Institution eine gemeinsame Definition des Lobbyismus verabschieden, und gemeinsame Registrierungsverfahren zwischen allen europäischen Institutionen einführen.
Außerdem hat das "Netzwerk für Transparenz" bereits bewiesen, dass es notwendig ist, Erfahrungen und Informationen auszutauschen und eine Kultur der Transparenz zu fördern. Dann wäre es einfacher, gemeinsame Prinzipien zwischen den europäischen Ländern festzulegen und "eine große Schwester" durchzusetzen. Als Beispiel könnten das Europäische System der Zentralbanken oder Europol dienen. Diese neue Institution würde die Befugnisse der europäischen politischen Parteien, der europäischen politischen Stiftungen und einige Vorrechte des europäischen Bürgerbeauftragten umfassen.
Schließlich könnten wir uns vorstellen, dass die Europäische Union viele einschränkende Regeln in ihrem Vertrag über die Arbeitsweise verankert. Sie könnte sich dabei an den 10 Empfehlungen der OECD orientieren. Damit sie effektiv umgesetzt werden können, erfordern alle diese Ideen jedoch einen europäischen Konsens.. Gehen wir davon aus, dass die neue Europäische Kommission in der Lage sein wird, diesen durchzusetzen. Eine offizielle Konferenz mit Lobbyisten und Regierungsvertretern könnte ein erster Schritt sein, um sich ihre Vorschläge zur Selbstregulierung anzuhören.
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